Essen. Das Auge hört mit: Was längst für jedes Plattencover
gilt, macht auch vor dem Klassiktempel nicht halt. Wenn einer
wie Jonas Kaufmann auftritt, bucht man ein Komplettpaket:
dunkler Lockenschopf, glutvolle Augen, charmantes Lächeln und -
ja, deswegen strömten die Fans schließlich in Essens
Philharmonie - jener Stimme, mit der sich der 42jährige Münchner
spätestens
seit seinem Bayreuther „Lohengrin" oder an der
Seite von Star-Anna (Netrebko) in die Sphäre der Traumtenöre
sang.
Als er jetzt schlank, gut gelaunt im smarten Smoking
die fast zum Stehkragen gefüllte Philharmonie betrat, schienen
die letzten krankheitsbedingten Absagen wie Schnee von gestern.
Im Gegensatz zum zumindest rein optisch rivalisierenden
Tenorhelden Rolando Villazon eroberte Kaufmann sichtlich
ausgeruht und mit der für ihn typischen ausdrucksstarken
Mittellage und entspannt-strahlender Höhe den Saal. Die
Klassik-Szene hat ihn nach Absagen in München oder Mailand
wieder. Dass der Hype auch entsprechend weitergeht, dafür werden
die Marketing-Strategen schon sorgen.
Zwischen
italienischem Verismo der Puccini-Zeitgenossen Cilea, Mascagni
und Giordano und natürlich Wagner spannte sich Kaufmanns
romantischer Bogen, für den die Bochumer Symphoniker unter
Jochen Rieder den perfekt grundierten wie (sänger-) freundlich
transparenten Boden bereiteten.
Kaufmanns Timbre: nach
wie vor unverwechselbar. Eher baritonal, mit einem expressiven,
wenn auch leicht verschleiertem Piano, wie in Ponchiellis Hit
„Cielo e mar" direkt zu Anfang zu erleben. Wenn er seine Stimme
öffnet, zur dramatischen, nie unangenehm harten Höhe führt,
spürt man seine Reserven. Wer nach der Szene des Andre Chenier
„Un di all'azzurro spazio" aus Giordanos gleichnamiger Oper noch
Siegmunds „Winterstürme" und vor allem Lohengrins Gralserzählung
nicht nur kraftvoll, sondern stilsicher folgen lässt, gewinnt
auf breiter Front. Und wer wollte nach drei Zugaben - darunter
Cileas „L'anima ho stanca" oder dem entwaffnend-charmant
gesungenen Tauber-Hit „Du bis die Welt für mich" - noch über ein
leicht belegtes Mezzavoce reden, wenn der Saal tobt?