Liebe Opernfreundinnen! Auch wenn Ihr mir jetzt Morddrohungen
schickt und mich zur Persona non grata erklärt - ich kann nicht
anders. Eine gewisse Kritik muß auch bei einem Superstar sein.
Ist er auch noch so sympathisch und herzerfrischend nett.
Jonas Kaufmann ist der beste deutsche Tenor, den ich in 50
Jahren live das Italienische Fach (Belcanto / Verismo) habe
singen hören. Ein Grande des Italianita. Ein begnadeter Tenor in
diesem Bereich. Geradezu unfassbar, was für ein Stimmvolumen der
smarte, blendend aussehende Sänger hat. Sein Andrea Chenier ist
unübertroffen! Sein Turridu klingt, als hätte Mascagni die Rolle
genau für ihn geschrieben! Sein Maurizio (La Dolcissima Effigie)
hat nie jemand toller gesungen! Was für ein Ausdruck bei
Zandonais "Giulitta! Son io!" (Giulietta et Romeo) - man könnte
mitweinen. Was hat dieser Ausnahmesänger für eine phänomenale
Atemtechnik; seine Gesangstechnik, gerade die großen Bögen, sind
wirklich atemberaubend. Wo nimmt er die Luft her? Wie entsteht
die Stimme bei so einer eigentlich leichtgewichtigen Person. Er
straft alle sogenannten Fachleute Lügen, die behaupten eine
große Stimme brauche einen großen (gemeint ist die "dicke
Wampe"!) Resonanzkasten. Unsinn! Da steht ein junger Kerl, der
erheblich jugendlicher wirkt, als seine 42 Lenze vermuten lassen
und singt zum Herzerweichen schön; noch dazu mit einem Ausdruck,
der seinesgleichen suchen kann. Da tritt kein Pausenclown a la
Villazon auf und kein sensibler Minimalsänger Florez, der in
Essen vor kurzem wegen einiger weiblicher Fans
(fotografierender, eigentlich liebenswürdiger älterer Damen, die
teilweise über 200 Euro ausgegeben hatten) fast sein Konzert
abgebrochen hätte bzw. darauf im zweiten Teil das Publikum mit
Arienreduktion bestrafte.
Nein, Jonas Kaufmann ist ein
Sensation - nicht nur auf Silberscheibe, sondern besonders live.
Aber... !
Warum singt er teilweise im falschen Fach?
Entschuldigt bitte, liebe goldene Wagner-Ketten-Träger (ich
weiß, Ihr seid unbarmherzig), warum singt der Junge solche
Kawenzmänner wie Siegmund, Parsifal oder auch Lohengrin - wobei
letzterer ja nicht ganz so schwer ist, also ein zu bewältigende
Part ist? Jonas Kaufmann gibt alles - er singt wie um sein
Leben. Aber die "Winterstürme" sind - egal wie oberflächlich
kühn es klingt - absolut nicht sein Fach! In der Gralserzählung
arbeitet er schon clever mit Reduktion; das klingt dann nicht so
stimmmordend. Man möchte ihm raten - vielleicht ist es ja auch
eine Frage der Honorierung -:
"Junge, bitte lass die
Finger von Wagner! Wir wollen Deine geniale Stimme auch noch in
20 Jahren hören! Das ist wirklich nicht Dein Fach, egal wie laut
die Fans jubeln."
Drei Zugaben: 1) "L´anima stanca"
(Adriana Lecoureur / Cilea) 2) "Du bist die Welt für mich" (Der
singende Traum / Richard Tauber) 3) "Ombra di nube" (ebd.)
Wobei die Operetteneinlage sicherlich eher ein Dankeschön
ans Publikum und eine Hommage an den großen Richard Tauber sein
sollte, als ernstgemeinte Interpretation, denn für dieses Fach
fehlt Kaufmann doch der nötige Schmelz, und die Stimme ist
eigentlich zu schwer; dennoch war es der meistbejubelte Titel
des Abends. Leider ist das scheinbar leichteste Fach aber immer
noch das allerschwerste.
Besonderes Lob geht an die
Bochumer Symphoniker (Nebenbei: eines der besten
Mahler-Orchester Deutschlands, neben den Bambergern) unter dem
jungen Ausnahmedirigenten Jochen Rieder. Selten hörte man bei
Galakonzerten als quasi Begleitband ein so hervorragendes
Orchester, welches die Ouvertüren zur Sizilianischen Vesper, die
Wagner Vorspiele (1./3. Akt), Saint-Saens "Danse Bacchanale",
das wunderbare Vorspiel zum 4.Akt von Catalanis "La Wally" und
Mascagnis Intermezzo mit solcher Bravour, Eigenständigkeit und
Feinschliff spielten. Intermezzi mit Genussfaktor. Bravo!
Fazit: Ein hinreißender Abend - ein Galaabend der Oper. Sehr
anständig, dass selbst die teuren Karten (120 Euro) nur wenig
über dem Preis einer guten Operkarte lagen. Kaufmann ist eben
kein Abzocker, sondern eine ehrliche Haut und hochsympathische
Erscheinung - ein Megastar mit wirklicher Weltstimme. Trotz
meiner kleinen Einwände ein absoluter Sterne-Abend, den man
nicht so schnell vergisst.