Opernglas, Oktober 2011 
U. Ehrensberger
Konzert, Berlin, Waldbühne, 16. August 2011
Gipfeltreffen der Stars
 
 
Die Zeit der Picknickkörbe in der Waldbühne ist vorbei: Dort, wo sonst Decken ausgebreitet und selbstgemachte Rouletten ausgepackt wurden, standen jetzt die Stuhlreihen mit den teuersten Plätzen und das VIP-Champagner-Zelt. Doch trotz Eintrittspreisen von knapp 60 bis über 400 Euro war die fast 20.000 Zuschauer fassende Waldbühne bis auf die Seitentribünen gut gefüllt für ein „Gipfeltreffen der Stars". Und wenn es auch nur in kommerzieller Hinsicht das in aller Bescheidenheit angekündigte „Klassikereignis des Jahres" geworden ist, so wurden doch die Erwartungen auf ein Sängerfest der Extraklasse im Wesentlichen nicht enttäuscht.

Nach zwei gemeinsamen Konzerten in München und Wien waren Anna Netrebko, Erwin Schrott und Jonas Kaufmann zusammen mit Marco Armiliato am Pult der Prager Philharmonie schon ein eingespieltes Team. Routiniert schlug also Erwin Schrott, dem die undankbare Aufgabe des ersten Auftritts zukam, thematisch passend zur Registerarie die „Vogue" auf. Noch mehr hätte man ihm allerdings eine Übertitelanlage gewünscht, um das Publikum an seinen herrlich differenzierten Schilderungen der einzelnen von Don Giovanni bevorzugten Frauentypen teilhaben lassen zu können. Nach einer emotional eher auf Sparflamme gesungenen Butterfly-Arie von Anna Netrebko sorgte Jonas Kaufmann mit einem hinreißenden „Cielo e mar" aus Ponchiellis »La Gioconda« für den ersten echten Höhepunkt des Abends. Den Tenor hatte das Publikum ohnehin zu seinem Liebling erkoren und begrüßte ihn schon vor jedem seiner Auftritte mit Extraapplaus, auch wenn der tragische Abschied des Turiddu dann eher den Geschmack des Kenners als den des Eventtouristen traf. Denn wie Kaufmann hier den Schmelz seiner unverwechselbaren dunkel-samtigen Tenorstimme mit tief berührender Emotionalität verband, darüber lässt sich eigentlich nur in Superlativen schwärmen. Bei seinen Ausflügen ins leichtere Genre, die „Du bist die Welt für mich" von Richard Tauber und - als Zugabe - „Freunde, das Leben ist lebenswert" aus der Lehár-Operette »Giuditta« galten, lag ihm dann im übertragenen Sinne die ganze Arena zu Füßen. Seit Fritz Wunderlich dürfte es keinen Tenor gegeben haben, der es verstanden hätte, dieser oft viel zu oberflächlich angegangenen Musik mit ähnlich strahlenden Spitzentönen und künstlerischer Ernsthaftigkeit eine vergleichbare Wirkung zu verleihen. Lediglich in dem einzigen Duett mit Anna Netrebko, der St.Sulpice-Szene aus »Manon«, wurde man den Eindruck nicht los, dass sich Kaufmanns zwischenzeitlich an Wagners Siegmund gestählte Tenorstimme in der leichteren französischen Oper nicht (mehr) ganz zuhause fühlt.

Dass die Szene eher nach Puccini als nach Massenet klang, war jedoch auch Anna Netrebkos erstaunlich wuchtiger Tongebung zuzuschreiben. Dabei war gerade ihr die vielleicht größte Sensation an diesem Abend zu verdanken. Nachdem ein etwas ratloses Publikum mit einem zwar grundsätzlich wunderschönen, aber wenig effektvollen Terzett aus »I Lombardi« in die Pause entlassen worden war, kehrte La Netrebko im zweiten Teil des Abends in einem nachtblauen statt sonnengelben Abendkleid zurück und nahm die Zügel in die Hand. Mit ihrer deutlich voller und dramatischer gewordenen Sopranstimme warf sie sich in die große Szene der Leonora aus dem vierten Akt von Verdis »Trovatore« und riss dank perfekter Atemkontrolle, vorbildlich ausgestalteter Verzierungen und wundervoll ausschwingender Melodiebögen das gesamte Publikum zu Begeisterungsstürmen hin. Nach der temperamentvoll gestalteten Cabaletta konnte man sich sicher sein, dass sich Anna Netrebko auf dem besten Weg befindet, die empfindliche Lücke im liricospinto-Verdifach zu schließen. Wenig später begab sie sich dann in eine völlig andere musikalische Welt und stimmte zusammen mit Erwin Schrott, der ansonsten werbewirksam und durchaus charmant Tangos aus seiner aktuellen CD darbot, das Duett aus »Porgy und Bess« an, das beiden reichlich Gelegenheit gab, sich zur Freude vieler Zuseher endlich auch als Liebespaar zu präsentieren.

Die für Events dieser Art übliche Gratwanderung zwischen Populärem und Anspruchsvollem also, gegen die auch grundsätzlich nichts einzuwenden ist. Eher schon dagegen, dass an diesem Abend jegliches dramaturgische Konzept fehlte, Komponisten, Stilrichtungen, Stimmungen, Oper, Operette und Tangos sich in ungeordneter Reihenfolge abwechselten. Oder dagegen, dass außer einem arg bemühten Scherz um einen Lippenstiftfleck, den Anna Netrebko am Ende des »Manon«-Duetts in Jonas Kaufmanns Gesicht hinterlassen hatte und der später von Erwin Schrott mit einem (sichtbar präparierten) Taschentuch abgewischt wurde, der Humor eher zu kurz kam. Ein echtes Ärgernis bedeutete es aber, wie der zweite Teil des Konzerts durch nicht weniger als vier lange Ouvertüren und Zwischenspiele in die Länge gezogen wurde, und zumindest eine kleine Enttäuschung war es dann auch, dass das Zugabenprogramm mit nur einer Arie (bzw. einem Tango) pro Sänger äußerst sparsam ausfiel. Dabei war es schon fast kurios, wie die drei Sängerstars dem erwartungsvoll jubelnden Publikum noch mit Sektgläsern in der Hand zuprosteten - und dann kurzerhand zusammen mit dem Orchester die Bühne verließen, ohne wenigstens noch zum üblichen Brindisi aus »La Traviata« anzusetzen. Die Zuschauer nahmen es in dem Bewusstsein, trotz allem ein Konzert der Extraklasse miterlebt zu haben, merklich überrascht, aber gelassen hin.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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