Die Zeit der Picknickkörbe in der Waldbühne ist vorbei: Dort, wo
sonst Decken ausgebreitet und selbstgemachte Rouletten
ausgepackt wurden, standen jetzt die Stuhlreihen mit den
teuersten Plätzen und das VIP-Champagner-Zelt. Doch trotz
Eintrittspreisen von knapp 60 bis über 400 Euro war die fast
20.000 Zuschauer fassende Waldbühne bis auf die Seitentribünen
gut gefüllt für ein „Gipfeltreffen der Stars". Und wenn es auch
nur in kommerzieller Hinsicht das in aller Bescheidenheit
angekündigte „Klassikereignis des Jahres" geworden ist, so
wurden doch die Erwartungen auf ein Sängerfest der Extraklasse
im Wesentlichen nicht enttäuscht.
Nach zwei gemeinsamen
Konzerten in München und Wien waren Anna Netrebko, Erwin Schrott
und Jonas Kaufmann zusammen mit Marco Armiliato am Pult der
Prager Philharmonie schon ein eingespieltes Team. Routiniert
schlug also Erwin Schrott, dem die undankbare Aufgabe des ersten
Auftritts zukam, thematisch passend zur Registerarie die „Vogue"
auf. Noch mehr hätte man ihm allerdings eine Übertitelanlage
gewünscht, um das Publikum an seinen herrlich differenzierten
Schilderungen der einzelnen von Don Giovanni bevorzugten
Frauentypen teilhaben lassen zu können. Nach einer emotional
eher auf Sparflamme gesungenen Butterfly-Arie von Anna Netrebko
sorgte Jonas Kaufmann mit einem hinreißenden „Cielo e
mar" aus Ponchiellis »La Gioconda« für den ersten echten
Höhepunkt des Abends. Den Tenor hatte das Publikum ohnehin zu
seinem Liebling erkoren und begrüßte ihn schon vor jedem seiner
Auftritte mit Extraapplaus, auch wenn der tragische Abschied des
Turiddu dann eher den Geschmack des Kenners als den des
Eventtouristen traf. Denn wie Kaufmann hier den Schmelz seiner
unverwechselbaren dunkel-samtigen Tenorstimme mit tief
berührender Emotionalität verband, darüber lässt sich eigentlich
nur in Superlativen schwärmen. Bei seinen Ausflügen ins
leichtere Genre, die „Du bist die Welt für mich" von Richard
Tauber und - als Zugabe - „Freunde, das Leben ist lebenswert"
aus der Lehár-Operette »Giuditta« galten, lag ihm dann im
übertragenen Sinne die ganze Arena zu Füßen. Seit Fritz
Wunderlich dürfte es keinen Tenor gegeben haben, der es
verstanden hätte, dieser oft viel zu oberflächlich angegangenen
Musik mit ähnlich strahlenden Spitzentönen und künstlerischer
Ernsthaftigkeit eine vergleichbare Wirkung zu verleihen.
Lediglich in dem einzigen Duett mit Anna Netrebko, der
St.Sulpice-Szene aus »Manon«, wurde man den Eindruck nicht los,
dass sich Kaufmanns zwischenzeitlich an Wagners Siegmund
gestählte Tenorstimme in der leichteren französischen Oper nicht
(mehr) ganz zuhause fühlt.
Dass die Szene eher
nach Puccini als nach Massenet klang, war jedoch auch Anna
Netrebkos erstaunlich wuchtiger Tongebung zuzuschreiben. Dabei
war gerade ihr die vielleicht größte Sensation an diesem Abend
zu verdanken. Nachdem ein etwas ratloses Publikum mit einem zwar
grundsätzlich wunderschönen, aber wenig effektvollen Terzett aus
»I Lombardi« in die Pause entlassen worden war, kehrte La
Netrebko im zweiten Teil des Abends in einem nachtblauen statt
sonnengelben Abendkleid zurück und nahm die Zügel in die Hand.
Mit ihrer deutlich voller und dramatischer gewordenen
Sopranstimme warf sie sich in die große Szene der Leonora aus
dem vierten Akt von Verdis »Trovatore« und riss dank perfekter
Atemkontrolle, vorbildlich ausgestalteter Verzierungen und
wundervoll ausschwingender Melodiebögen das gesamte Publikum zu
Begeisterungsstürmen hin. Nach der temperamentvoll gestalteten
Cabaletta konnte man sich sicher sein, dass sich Anna Netrebko
auf dem besten Weg befindet, die empfindliche Lücke im
liricospinto-Verdifach zu schließen. Wenig später begab sie sich
dann in eine völlig andere musikalische Welt und stimmte
zusammen mit Erwin Schrott, der ansonsten werbewirksam und
durchaus charmant Tangos aus seiner aktuellen CD darbot, das
Duett aus »Porgy und Bess« an, das beiden reichlich Gelegenheit
gab, sich zur Freude vieler Zuseher endlich auch als Liebespaar
zu präsentieren.
Die für Events dieser Art übliche
Gratwanderung zwischen Populärem und Anspruchsvollem also, gegen
die auch grundsätzlich nichts einzuwenden ist. Eher schon
dagegen, dass an diesem Abend jegliches dramaturgische Konzept
fehlte, Komponisten, Stilrichtungen, Stimmungen, Oper, Operette
und Tangos sich in ungeordneter Reihenfolge abwechselten. Oder
dagegen, dass außer einem arg bemühten Scherz um einen
Lippenstiftfleck, den Anna Netrebko am Ende des »Manon«-Duetts
in Jonas Kaufmanns Gesicht hinterlassen hatte und der später von
Erwin Schrott mit einem (sichtbar präparierten) Taschentuch
abgewischt wurde, der Humor eher zu kurz kam. Ein echtes
Ärgernis bedeutete es aber, wie der zweite Teil des Konzerts
durch nicht weniger als vier lange Ouvertüren und Zwischenspiele
in die Länge gezogen wurde, und zumindest eine kleine
Enttäuschung war es dann auch, dass das Zugabenprogramm mit nur
einer Arie (bzw. einem Tango) pro Sänger äußerst sparsam
ausfiel. Dabei war es schon fast kurios, wie die drei
Sängerstars dem erwartungsvoll jubelnden Publikum noch mit
Sektgläsern in der Hand zuprosteten - und dann kurzerhand
zusammen mit dem Orchester die Bühne verließen, ohne wenigstens
noch zum üblichen Brindisi aus »La Traviata« anzusetzen. Die
Zuschauer nahmen es in dem Bewusstsein, trotz allem ein Konzert
der Extraklasse miterlebt zu haben, merklich überrascht, aber
gelassen hin.