rbb Kulturradio, 17. August 2011
Andreas Göbel
Konzert, Berlin, Waldbühne, 16. August 2011
Waldbühne Berlin: Anna Netrebko, Jonas Kaufmann und Erwin Schrott
 
War es das "Klassikereignis des Jahres"?
 
Bescheidenheit klingt anders: Als "Gipfeltreffen der Stars" wurde das Waldbühnen-Konzert von Anna Netrebko, Jonas Kaufmann und Erwin Schrott vollmundig vom Veranstalter angekündigt. Und das Publikum kam: Bis auf die äußeren Seitenränge mit Sichtbehinderung war die Waldbühne ausverkauft, das Wetter hat mitgespielt, und entsprechend waren die Besucher in Jubelstimmung. Und das ist letztlich auch das Wichtigste bei einer solchen Veranstaltung: Ein solcher Abend hat in erster Linie eine kommerzielle Funktion und weniger eine künstlerische. Da geht es ums Geldverdienen – Kartenpreise bis über 400 Euro sprechen eine eigene Sprache. Die Sänger sind oft nur Spielbälle zwischen Veranstaltern, Agenturen und CD-Firmen. Werbung ist alles: Auf den Leinwänden links und rechts von der Bühne waren unter anderem Autowerbung und Tourneedaten von Anna Netrebko und Erwin Schrott für 2012 zu sehen.

Anspruchsvolles Programm
Bei der Programmfolge hat man sich Gedanken gemacht. Es war nicht übermäßig populär, sollte wohl nicht billig wirken, sondern eher einen gediegenen, gehobenen Anspruch suggerieren. Also keine Hitparade vom Vogelfänger bis zu La donna è mobile, sondern neben großen Arien auch teilweise wenig bekannte, oft ungewöhnlich lange Opernszenen. Das Terzett aus Verdis Lombarden etwa ist so gut wie nie zu hören. Große Oper sollte es sein; dazwischen wurde Leichteres eingestreut mit Zarzuela, Tango und Operette. Man hat insgesamt durchaus auf eine anspruchsvolle Mischung geachtet.

Ein Gipfeltreffen der Stars?
Nun, im Falle von Anna Netrebko und Jonas Kaufmann durchaus. Beide haben diesen Auftritt ernst genommen und nicht unter ihrem sonst üblichen Niveau gesungen. Natürlich war die ganze Sache für echte Opernfans eher ein Genuss unter Vorbehalt: Ein solches Freiluftkonzert in dieser Größenordnung geht nicht ohne Verstärkung und Lautsprecher. Geklungen hat es dann leider wie eine schlecht remasterte Monoaufnahme aus den 50er-Jahren. Die Höhen und Tiefen waren übersteuert; dazwischen war nicht viel zu hören. Teilweise hat es sogar in den Ohren wehgetan. Dennoch: Die Leistung stimmte. Anna Netrebko war nicht schlechter als bei ihren Opernauftritten.

Der Tenor überzeugte
Der Höhepunkt war die große Szene der Leonora aus Giuseppe Verdis Troubadour. Hier konnte sie alles ausspielen, was dazugehört. Eine nuancenreiche Gestaltung mit dem Mut, auch die leisen Momente auszukosten. Jonas Kaufmann war ebenso in herausragender Form: unglaublich kontrolliert, mit Strahlkraft in den Spitzentönen. Daneben zeigte er aber auch Wärme und Tiefe und schaffte mühelos den Spagat bei den Liedern mit Schnulzengefahr wie Du bist die Welt für mich von Richard Tauber oder Freunde, das Leben ist lebenswert von Franz Lehár. Das hatte alles Schmelz, wurde aber nie kitschig, und das können heute nur noch wenige Tenöre so überzeugend.

Der Dritte im Bunde schwächelte
Mit diesem hohen Niveau konnte Erwin Schrott nicht mithalten. Zu farb- und kraftlos wirkte sein Bariton – trotz Verstärker. Es fehlten gleichermaßen Durchschlagskraft wie interpretatorische Größe. Die Registerarie aus Mozarts Don Giovanni hat er mal eben locker heruntergesungen; auch die Tangos hat man schon besser gehört. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er, wäre er nicht der Ehemann von Anna Netrebko, sicher nicht in dieser Promiliga mitsingen dürfte.

Die Begleitung funktionierte
Die anderen Mitwirkenden blieben Hintergrund: Der Neue Kammerchor Potsdam entledigte sich seiner Aufgaben sauber, ohne wirklich einmal glänzen zu können. Die Prager Philharmonie spielte ebenso sicher und zuverlässig bei ihren Ouvertüren und Zwischenspielen. Das schnurrte ab wie ein Uhrwerk und war doch nur seelenlose Perfektion, aber genau das war offensichtlich gefordert. Die Choristen und Musiker mussten funktionieren und das taten sie auch reibungslos.

Eine perfekte Show
"Das Klassikereignis des Jahres" – so wurde der Abend vom Veranstalter angepriesen. Man sollte dabei allerdings "-ereignis" durch "-show" ersetzen – dann könnte es stimmen. Alles war bis ins Kleinste durchinszeniert. Das Duett aus Porgy and Bess von George Gershwin beispielweise. Das hatte schon etwas Besonderes, stand mit Netrebko und Schrott eben tatsächlich ein echtes Ehepaar auf der Bühne, das dieses Liebesduett sang. Beide haben das perfekt zelebriert: Sie legte ihm ihren Zeigefinger auf die Brust, er streichelte sie zärtlich über Kinn und Hals und fasste ihren bloßen Arm. Die Münder der beiden waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt – und pünktlich zum Orchesterausklang gab es dann den Kuss. Und das alles für das Publikum auf Großbildleinwand. Dagegen ist nichts einzuwenden; man muss es nur so sehen: Alle haben perfekt genau die Show abgeliefert, für die das Publikum freiwillig diese horrenden Eintrittspreise bezahlt hat.

Die Rechnung ist letztlich aufgegangen – im wahrsten Sinne des Wortes.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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