Münchner Merkur, 04.02.2011
Gabriele Luster
 
Ausnahmezustand
 
Bizets „Carmen" im Nationaltheater: Jonas Kaufmann als berührender Don Jose
 
Ein Sänger genügt - das Haus ist ausverkauft: Jonas Kaufmann gelang das am Mittwochabend in der von Lina Wertmüller inszenierten „Carmen", die schon vor neun Jahren das Bühnenlicht erblickte und - so scheußlich ist wie am ersten Tag. Aber mit dem Postkarten-Klischee, mit der grässlichen Deko, mit Kindern und Tieren will man sich ja gar nicht aufhalten, gibt es doch Bizéts Musik! Aber ach, sie wurde an diesem hochgestimmten Abend aus dem Graben gepeitscht, dass sie Fetzen nur so flogen. Der junge Dan Ettinger suchte sein Glück im Knallig-Groben, in extremen Tempi, in der überrumpelnden Phonstärke. Dabei begrub er Bizéts Trockenheit, die Eleganz und die gestochene Genauigkeit (in Ensembles und Chören schlingerte es zuweilen bedenklich) mit flatternder Hand. Keine Spur von Raffinement, gar Erotik. Schade, dass Anita Rachvelishvilis Carmen in diesem Fahrwasser mitsegelte - sich im Spiel plump vulgär gab und ihrer Partie mit auftrumpfender Riesenstimme alles knisternd Chansonhafte austrieb. Auch Aga Mikolajs Micaela gelang es nicht das zwischen Schüchternheit und Mut schwankende Landmädchen lebendig werden zu lassen. Überdies mangelte es ihrem raumgreifenden, in der Höhe schön abgerundeten Sopran an Linie und Geschmeidigkeit.

So hatten die Herren leichtes Spiel: Jonas Kaufmann zeichnete den Don José bis zum bitteren Mörder-Ende als einen vom Lande. Wie sehr ihn Carmen in einen leidenschaftlichen Ausnahmezustand versetzt, machte er mit kraftvoller, viriler Höhe klar. Da waren das leicht Gutturale beim Start und der - in gern präsentierter Kaufmann-Manier - ins äußerste Pianissimo getriebene, spröde Beginn der "Blumen-Arie" sofort verziehen. Mit tiefenstarkem, elegant geführtem Bariton imponierte Kyle Ketelsen als leider nur posierender Escamillo. Und am Rande überzeugte wieder einmal Nikolay Borchev als Moralès.
 






 
 
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