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Der Neue Merker |
Udo Klebes |
„WERTHER“ 23.1. Opéra Bastille (Pr.14.1.)
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Im Opernhimmel
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Allein die Ankündigung richtete das Augenmerk vieler Opernliebhaber im
Januar auf das Pariser Operngeschehen: jonas kaufmann gibt sein Debut als
Werther in Massenets gleichnamiger Oper. Die Standhaltung des enormen
Erwartungsdrucks in der realen Umsetzung bescherte der Opéra National denn
auch gleich zu Beginn des neuen Jahres ein ultimatives Ereignis, von dem
sich durch die Live-Übertragung einer der Vorstellungen auch ein breiteres
Publikum am Fernsehschirm überzeugen konnte.
Wer die stimmliche Entwicklung des heute wohl gefragtesten deutschen
Tenors seit längerer Zeit mitverfolgt hat und seine besonderen Stärken
kennt, konnte sich in seiner Vermutung einer Ideal-Rolle für diesen
hochbegabten Künstler kaum täuschen. Das dunkel sämige Timbre, die
beispielhafte Verschmelzung dynamischer Feinheiten, die Sensibilität der
Stimmführung, der Glanz und die Strahlkraft der nie als eliminierte Töne
platzierten Forte-Höhen, die delikate und gerade auch von den Franzosen so
gelobte Artikulation ihrer Sprache – dies und noch viel mehr vereinen sich
in dieser durch und durch von romantischer Naturschwärmerei bestimmten Figur
auf vollkommene Weise. Wie eine Kostbarkeit wirkt der Vortrag, als gelte es
gleichermaßen dem Goethe’schen Geist im Textgehalt wie auch der subtilen
musikalischen Dramaturgie Massenets in vollem Umfang gerecht zu werden. So
sehr Kaufmann eine Neuinszenierung verdient hätte, kam ihm die von der Royal
Opera Covent Garden übernommene Produktion des Filmregisseurs benoit jacquot
bei der Erarbeitung dieser Rolle sehr entgegen. Weil sie ihn in kein
Korsett, keine Richtung zwingt, sondern ihm im authentischen Rahmen der
Goethe-Zeit einen unverbogenen und konzentrierten Zugang auf die Essenz des
Stückes ermöglichte. So konnte er einen introvertierten, in seiner
Verletzlichkeit befangenen Charakter entwickeln, bei dem die vehementen
Ausbrüche und Entladungen an den Höhepunkten dann umso leidenschaftlichere
und überrumpelndere Momente darstellten als dies bei einer unter
Dauer-Hochdruck leidenden Interpretation möglich wäre. Speziell die
Sterbeszene spannte sich bei ihm zu einem großen Bogen des Abgesangs, des
Dahinscheidens, in dem das Aufflackern der verschiedenen musikalischen
Motive in berückender Schönheit versinnbildlicht wurde.
Entscheidenden Anteil daran hatte michel plasson am Pult des in
vorbildlicher Klangbalance gehaltenen und mit warmem und weichem Grundton
glänzenden orchestre de l’opera national de paris, weil der Veteran der
französischen Oper sich alle Zeit nahm, um den Gehalt dieser tristaneske
Züge tragenden Partitur hörbar zu machen, quasi ihre Substanz auszukosten
und in aller Sorgfalt ohne nachlassende Spannung zu zelebrieren. Langsamkeit
bedeutete hier nicht Erlahmen oder Stillstand, vielmehr höchste
Aufmerksamkeit und Liebe zum Werk.
So war das Orchester der entscheidende Träger dieser Produktion, in die sich
auch alle anderen Solisten nahtlos einfügten und den Partien das geben
konnten, was sie verlangen. sophie koch ist eine in ihrem zuerst
schüchternen Auftreten, in ihrer natürlichen Art des Singens eine
überzeugende, aber auch einen impulsiven Kern in sich tragende Charlotte mit
aufrichtigem, leicht melancholischem Tonfall und einer Emphase, die in den
Szenen mit Werther bei aller emotionellen Herausforderung durch ihren
Partner kontrolliert bleibt und ihren Mezzo in den Spitzen-Momenten vor
unschönen Ausuferungen bewahrt. Neben dem sterbenden Werther berührt sie vor
allem in der Schlichtheit des vokalen Einsatzes. Es ist ja auch kein Wunder,
dass sie neben diesem so bewegend poetisch von der Welt Abschied nehmenden
Dichter wie unter Schock steht und für sie alles zu Ende ist („Tout est
fini“). Der Kontrast zum Weihnachtsgesang der Kinder aus der Ferne ( der
kinderchor der nationaloper ) könnte nicht größer sein.
Mit hell durchdringendem, schlank und leicht wie eine Perlenkette geführtem
Sopran bildete anne-catherine gillet als Sophie das immanente
Schwestern-Gegenstück. ludovic tézier bekräftigte den Albert vor allem mit
markant männlichem Bariton. Seine Ausstrahlung in der hier weitgehend aufs
Stehen beschränkten Rolle füllte indes nicht die weiten räumlichen
Dimensionen der Opéra Bastille. Erst bei der Fernseh-Übertragung war zu
sehen, wie deutlich seine düster bösen Blicke sind, die Charlotte bei der
erzwungenen Pistolen-Übergabe wie magnetisiert treffen. alain vernhes gab
dem Amtmann mit großzügigen Gesten und ebensolcher stimmlicher Süffisanz die
rechte Würze. Die Genre-Szenen der beiden trinkfesten Kumpane Schmidt und
Johann füllten andreas jäggi und christian tréguier mit der entsprechend
kontrastierenden Charakter-Komik. Sie alle wussten ihre Rollen ohne die
vertiefende Hand eines Regisseurs zu beleben. Wenn die deutsche Presse ihre
ganze Häme über diese angeblich vorgestrige Museums-Inszenierung
ausschüttet, zeigt dies wieder einmal, wie minimale Aktionen keine Bedeutung
mehr haben, weil sie nicht mehr wahrgenommen werden. Auch die ganz und gar
nicht pur naturalistischen Bühnenbilder von charles edwards ( ein
angedeuteter Innenhof mit Tor und Brunnen-Nische in der Mauer, ein mit
Herbstlaub besäter Mauer-Vorplatz der unsichtbaren Kirche, ein breiter und
spärlich möblierter Wohnraum in Alberts Haus, die wie eine Puppenstube
hereingefahrene Kammer des Werther ), sondern mit der Lichtgestaltung von
andré diot zu eigenen ästhetischen Kunstwerken verschmelzenden Räume finden
bei ihnen in solcher Verkennung nicht die verdiente Beachtung. Ganz zu
schweigen von einem so stimmungsvoll bedeutenden Augenblick, wenn Werther in
der gesteigerten Erregung der vorgetragenen Ossian-Verse das Blatt Papier
wie in Trance aus den Händen gleitet, und dieses wie der Hauch einer
Erinnerung zu Boden flattert.
Es steht außer Frage, dass die Personenführung seitens des Regisseurs hätte
ambitionierter und prägnanter ausfallen können ( so zeigte sich eben wer
Naturtalent zur selbst initiierten Gestaltung hat, wer nicht ), aber in
diesem optischen Umfeld mit christian gasc Kostümen der Werther-Zeit ( mit
seiner dunklen Lockenpracht sieht Kaufmann darin gerade zu wie ein Ebenbild
von damals aus) entfaltet sich das Werk als glaubwürdiges, in sich ruhendes
individuelles Gesamtkunstwerk.
Die Zeugen dieser Aufführung wussten den Wert des Erlebten zu schätzen und
brachten es in größter Euphorie zum Ausdruck. In deutschsprachigen Landen
ist es nur selten vergönnt, die Oper so beseelt und voller Freude zu
verlassen.
Und Wien darf sich freuen im Januar 2011 als zweites Opernhaus eine
Kostprobe von Jonas Kaufmanns Werther zu bekommen. |
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