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Der Neue Merker |
Dorothea Zweipfennig |
Puccini: Tosca, Bayerische Staatsoper, München, ab 28. Juni
2010
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TOSCA, die letzte dieser Festspiele am 19.7.2010
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Der Verschwender: Jonas Kaufmann geht mit seinen ihm in so reichem
Maße geschenkten Gaben so beglückend verschwenderisch um, dass jede besuchte
Aufführung mit ihm einem Gottesgeschenk gleich kommt. Das klingt jetzt
natürlich einigen Lesern viel zu euphorisch. Aber, bitteschön, warum sollte
man nicht seine Euphorie raus- und andere daran teilhaben lassen. Natürlich
ist so ein Ausnahmekünstler, bei dem einfach alles absolut perfekt
zusammenpasst auch keine Maschine, obwohl man einen „schlechten“ Kaufmann
wohl noch niemals erlebt haben dürfte. Aber von den 3 gehörten Aufführungen
(Premiere, 10.7. und diese am 19.) erschien mir Münchens Tenorissimo in der
letzten besonders gut bei Stimme. Und damit so ein Sänger stimmlich wie
darstellerisch die Zeit hat, Emotionen zu entwickeln und entsprechend
rüberzubringen, dazu braucht er Dirigenten wie Fabio Luisi (28.6. – 10.7.)
und Marco Armiliato (am 15. u. 19.7.), richtige Sängerdirigenten eben, die
selbigen diese Zeit auch lassen. Das mag manchem Hörer ungewöhnlich
„langsam“ vorkommen, besonders angesichts einiger hochgelobter Maestri,
welche für regelrechtes Durchpeitschen italienischer Opern bekannt sind, und
die den Sängern eben kaum Luft lassen, irgend etwas zu entwickeln. Bei
Armiliato darf Kaufmann sich und die Zuhörer in seinem Höhenglanz baden - La
vita mi costasse und ein Vittoria!, dass sich die Balken biegen und welches
an diesem Abend den Anschein erweckte: ich kann noch länger... Auch die
liebevolle Begleitung der besonders raffiniert vorgetragenen Lyrismen – eine
wahres Kunstwerk an Sternenarie und doch so reich an Emotionen, ebenso
Toscas Vissi d’arte. – Auch Karita Mattila war bestens disponiert, all die
dramatischen Spitzentöne Toscas kamen kraftvoll, doch niemals scharf. Das
Zusammenspiel (und Geknutsche) mit ihrem Mario schien ihr sichtbar Spaß zu
machen. Absolut unverständlich ist allerdings, wie man eine so attraktive
Frau wie die Mattila kostüm- und vor allem perückenmäßig dermaßen
verunstalten kann (K: Milena Canonero). Schade, dass sich die Sängerin da
nicht schon an der Met gewehrt hat. – Juha Uusitalo als Scarpia ist ein
eigen Ding: Auch er war in dieser Aufführung besonders gut drauf, aber bei
ihm hat man halt immer dasselbe Problem: man muss sich erst an den extrem
metallischen Klang seines Riesenbaritons gewöhnen. Dieses Gewöhnen aber
fällt im italienischen Fach weit schwerer als etwa bei Wagner, wo er ein
beachtlicher Wotan ist (siehe Valencia-Ring). Zwar beherrscht Uusitalo die
italienische Kantilene, er singt Legatobögen wo es geht und vor allem ist er
einfach nicht unterzukriegen, so dass der Maestro beim Te Deum getrost
richtig aufdrehen konnte. Auch darstellerisch engagierte sich Uusitalo sehr
und zeigte den Brutalo-Fiesling, den der Regisseur als Scarpia wollte. – Wer
sagt eigentlich, dass man für den Mesner immer einen ausgesungenen, alten
Interpreten nehmen muss. Blöd dazu, wenn man einen solchen im jungen
Ensemble der STO gar nicht mehr hat. Also holt man sich dafür
überflüssigerweise Enrico Fissore extra aus Italien. Warum kam keiner auf
die Idee, diese Rolle vielleicht Christian Rieger aus dem Ensemble
anzubieten? Der kann Charaktere formen (fiel sogar als Gefängniswärter auf)
und hat einen kraftvollen Bariton. Cesare Angelotti wurde von Christian van
Horn in jeder Beziehung überzeugend verkörpert. Sehenswert der richtig
schleimige Giftzwerg von Spoletta, den Kevin Conners, scheinbar mit Genuss,
darstellte. – Während der Tölzer Knabe (Hirtenstimme) bei der Premiere so
gar keine Reklame für den berühmten Tölzer Knabenchor darstellte, sang am
19. ein warmstimmiger (Knabenalt) Bub schön intonationsrein, was gar nicht
so einfach ist bei dem schwierigen Stückl. Leider war er auf dem
Besetzungszettel namentlich nicht genannt worden. Es sah so aus, als habe
ihm Jonas Kaufmann bei den Schlussvorhängen für seine gute Leistung
gratuliert, jedenfalls schüttelte er ihm kräftig die Hand und klopfte ihm
freundschaftlich auf die Schulter – eine nette Geste ...
Und nun zu der viel geschmähten Inszenierung von Luc Bondy:
Der angebliche „Skandal“ bei der vorangegangenen New Yorker Premiere ist für
uns Europäer eher weniger von Bedeutung (auch die Scala Milano ist an dieser
Koproduktion beteiligt). Dort hatte das Publikum seinen Zeffirelli über
Jahrzehnte geliebt und war nun über die szenische Kargheit der neuen
Produktion vergrätzt. Außerdem soll Zeffirelli unkollegialerweise im Vorfeld
der Premiere in der Presse gegen Bondy schlechte Stimmung gemacht haben.*) –
Für uns Münchner, denen in der kommenden Spielzeit Regiearbeiten von Kušej
und Bieito bevorstehen, erschien es ganz erholsam, dazwischen eine halbwegs
„normale“ Produktion haben zu dürfen. Nun ist Luc Bondy erfreulicherweise
nicht in die Reihe der Skandal-Regisseure einzureihen, steht aber doch für
zeitgemäßes Musiktheater. Also nahm man an, es könne mit diesem Regisseur ja
eigentlich nichts schiefgehen. Dass man in den Zeitungen las, diese
Inszenierung sei ja so „langweilig“, mochte man zunächst wohl der bekannten
Vorliebe vieler Renommierkritiker für eben diese publikumsfeindlichen
Produktionen zuschreiben. Aber ach, diese Tosca neigt tatsächlich dazu,
langweilig zu sein. Derzeit wurde die ganze Chose ja noch durch die z. T.
überragenden Künstler belebt, aber was wird im grauen Alltag sein, wenn die
Sänger wechseln und darstellerisch auf der Strecke bleiben; nicht jeder ist
schließlich so ein Vulkan wie Jonas Kaufmann ...
Die Szenerien des 1. und 3. Aktes sind durchaus adäquat: ein hoher
Backstein-Kircheninnenraum mit romanischen Bögen im 1. und eine angedeutete
Burgmauer mit Turm im 3. Akt. Scarpias Zimmer im 2. Akt dürfte wohl eher
sein Verhörzimmer, denn sein Wohnraum sein. Nicht unlogisch, da die
Folterkammer ja gleich nebenan ist. Aber dieses Bild ist richtig hässlich –
nunja, bei Scarpia geht es eben hässlich zu ... (BB: Richard Peduzzi)
Dass Toscas sowieso nicht sehr attraktives Kleid aus dem selben roten Stoff
ist wie Scarpias Sofapolster – naja .... Die 3 Hürchen (von Hure) stören
kaum. – Aber was sich Bondy für das Finale ausgedacht hat, erschreckt dann
doch ob seiner Albernheit: Nach dem Gerangel mit den Schergen verschwindet
Tosca im Dunkel zwischen den Turmmauern – und erst zum Schlusston sieht man
eine sprungbereite Puppe (?) durch die Mauerspalte des Turmes hervorschießen
– Standbild – aus – Finsternis ... Offenbar scheint dieser Gag nicht immer
zu funktionieren, denn in der Fernsehübertragung war er gar nicht zu sehen –
oder die Kameraeinstellung war zu niedrig, trotz Brian Large, dessen
Bildregie hier ohnehin keineswegs so überzeugte, wie gewöhnlich.
Der begeisterte Schlussapplaus galt nunmehr ausschließlich den
herausragenden Musici.
Die paar wichtigtuerischen Hanseln, die Maestro Armiliato glaubten mit Buhs
bedenken zu dürfen (vermutlich Anhänger oben erwähnter „Durchpeitscher“),
zeigten damit nur, dass sie ganz offensichtlich keine Ahnung davon haben,
wie italienische Oper zu dirigieren ist. Marco Armiliato weiß es! ... und
die vielen dankbaren Applausspender offenbar auch. (Bei Luisi gab es
übrigens das gleiche Theater, aber auch da setzten sich die „Wissenden“
durch).
Fazit: Hätte man die alte Götz-Friedrich-Szenerie auffrischen können und
regielich überarbeiten, wäre man möglicherweise besser bedient gewesen. Aber
vermutlich ist das Kulissenmaterial der über 30-jährigen Produktion
sprichwörtlich zerbröselt ...
Dorothea Zweipfennig
*) Aus Amerika war zu vernehmen, man plane, zukünftig sowohl die Zeffirelli-
als auch die Bondy-TOSCA abwechselnd zu spielen, damit alle wieder befriedet
würden. |
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