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Stuttgarter Zeitung, 30. Juni 2010 |
Götz Thieme |
Puccini: Tosca, Bayerische Staatsoper, München, 28. Juni
2010
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Schockerimport aus New York
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Luc Bondy inszeniert Giacomo Puccini: die Münchner
Opernfestspiele eröffnen mit einer alten "Tosca" |
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Eine Krankheit hat die Oper befallen: Koproduktionen. Ob Festival oder
Staatstheater, privat und staatlich finanziert, zunehmend teilt man sich die
Kosten einer Premiere. Besser als der Tod durch Bankrott, könnte man meinen.
Doch was nützt es den Häusern, wenn sie stattdessen künstlerisch
dahingerafft werden? Tod durch Kunstlosigkeit wie jetzt in München. Zu den
Opernfestspielen - vergangenen Freitag mit Schlingensiefs "Remdoogo - Via
Intolleranza II" eröffnet (einer Koproduktion) - wurde auf dem Marstallplatz
hinter dem Nationaltheater eine temporäre Spielstätte für experimentelles
Musiktheater errichtet, die dreihundert Zuschauern Platz bietet. Die
Architekten von Coop Himmelb(l)au haben den Pavillon 21 Mini Opera Space
entworfen, eine stachelige, alumatte Skulptur. Der Pavillon lässt sich
innerhalb weniger Tage auseinandernehmen und in Container verladen:
"Vielleicht begegnen Sie ihm bald: in Paris, Tokio, London . . ." heißt es
im Magazin der Staatsoper. Oder bei einer Koproduktion.
Schön das alles - zumal die Kosten von rund 2,1 Millionen Euro für die Kiste
durch Sponsorenhilfe nicht vom Haus allein geschultert werden -, doch nicht
mehr als schickes Ornament und Festspielappendix. Dem Kerngeschäft, der
Festspielpremiere im Nationaltheater, Giacomo Puccinis "Tosca", hätte so
viel Engagement besser getan. Die Inszenierung, eine Koproduktion (!), war
im September 2009 in New York an der Metropolitan Opera herausgekommen. Der
Regisseur Luc Bondy war damals so ausgebuht worden, dass die Zeitungen Stoff
für mehrere Ausgaben hatten und ordentlich auf der Klischeewalze Traditions-
versus Regietheater orgelten oder sich über die backsteinkahle Kirche des
Ausstatters Richard Peduzzi erregten.
Sehnte man sich in New York lautstark nach jener fast ein Vierteljahrhundert
alten Cinecittà-Inszenierung von Franco Zeffirelli zurück, die Tosca, ihren
Geliebten und den fiesen Polizeichef Scarpia zu Pappkameraden im Opernmuseum
verzwergte, war das Münchner Publikum nach den brutal herausgebrüllten
es-Moll-Schlussakkorden derart gleichgültig, wie man es dort lange nicht
erlebt hat. Mattes Händepatschen quittierte die Verbeugung von Bondy und
Peduzzi - fast schlimmer als eine Buh-Backpfeife.
Nun war dem Regisseur, der seit seinem Debüt in Hamburg 1978 mit einer in
der Erinnerung unverblassten "Lulu" einige sensible und großartige
Musiktheater-Inszenierungen geschaffen hat, zu Puccinis genialem Schocker
tatsächlich nichts eingefallen. Nicht mal hat er verhindert, dass die Sänger
das machten, was sie von jeher in "Tosca"-Aufführungen taten, die besser im
Brunnen der Geschichte ersoffen wären: Händeringen (Jonas Kaufmann als Mario
Cavaradossi), Augenrollen (Karita Mattila als Floria Tosca) und
Zunge-im-Munde-Kreisen (Juha Uusitalo als Scarpia).
Den kulturellen Riss durch die Opernwelt demonstrierte, dass sich diesseits
des Atlantiks keiner erregte, weil Cavaradossi eine Madonna pinselt, deren
eine Brust nackt ist, und Scarpia zu Beginn des zweiten Akts von drei
Flittchen sich gezielt befummeln lässt. Die Szene bekam eine unfreiwillig
komische Note durch einen Polizeichef, der einem glatzköpfigen Riesenbaby
glich, und durch seine Tuntigkeit den letzten Rest an Dämonie und
Gefährlichkeit einbüßte, die der Rolle einkomponiert ist. Denn auch
musikalisch hatte Uusitalo mit seinem resonanz- und farblosen Bassbariton
die Figur kaum konturiert (an der Met war er kurz vor der Premiere ersetzt
worden). Er handelte sich ebenso Buhs ein wie die nah der Hysterie agierende
Mattila, die im Piano bestrickend sein mochte, aber keine wirkliche
Toscastimme besitzt und sich mit den etlichen Forte-Cs verhob. So wurde
Kaufmann zum einzig Gefeierten des Abends. Ein Tenor, der piano singt, wenn
es in den Noten steht, und mit Passion und anscheinend ohne vokale Grenzen
loslegt ("Vittoria"-Rufe).
Dagegen regelte der Dirigierbeamte Fabio Luisi den Verkehr im Graben mit
tödlichem Ernst und entsprechend fadem Resultat - wäre da nicht das
herrliche Violoncellosolo von Peter Wöpke im dritten Akt gewesen. Aber der
wurde auf dem Besetzungszettel nicht genannt. Im Gegensatz zum Sponsor,
einem heimischen Autobauer.
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