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Nürnberger Zeitung, 30. Juni 2010 |
Thomas Heinold |
Puccini: Tosca, Bayerische Staatsoper, München, 28. Juni
2010
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Neue «Tosca» in München
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Achtung, das Böse trägt immer schwarz |
Foto: Bayerische Staatsoper |
Der Paukenschlag ist bei dieser Oper jener Kanonenschuss, wenn die Flucht
des Freiheitskämpfers Angelotti aus der römischen Engelsburg bemerkt wird –
die Wirkung sollte trotzdem die gleiche sein: Mit der Wahl von Puccinis
»Tosca« als erste große Premiere der Münchner Opernfestspiele setzt
Staatsopern-Intendant Nikolaus Bachler dieses Jahr auf einen sicheren
Publikumsliebling. Der Verismo-Reißer, der im Januar 1900 in Rom
uraufgeführt wurde, verknüpft mit dramatisch kontrastreicher Musik ein
großes Liebes-Melodram und einen packenden Politik-Thriller.
Zudem übernahm die Partie des Malers Cavaradossi, der den flüchtigen
Angelotti (markant: Christian Van Horn) versteckt, der neue
Publikumsliebling an der Isar, Jonas Kaufmann, der dort letztes Jahr bereits
als Lohengrin gefeiert wurde. Und Luc Bondy, die stets etwas sphärisch
entrückt wirkende Regie-Legende, die sich in ihren alten Tagen aufs
Romanschreiben (»Am Fenster«) verlegt, inszenierte die hochkarätige
Co-Produktion zwischen New Yorker Met, Mailänder Scala und Bayerischer
Staatsoper.
Angesichts solcher Vorzeichen wurde die Premiere am Montagabend im Münchner
Nationaltheater mit doch gebremstem Enthusiasmus aufgenommen. An der
Umsetzung der Musik und den Sängern kann das nicht liegen – wenngleich
Dirigent Fabio Luisi und selbst Karita Mattila in der Titelpartie sowie Juha
Uusitalo als despotischer Polizeichef Scarpia zum Ende ein paar – wenige -
Buhs kassierten.
Nun, die kamen wohl von jenen Hardcore-Traditionalisten, die die Aufnahme
mit Maria Callas (Tosca), Tito Gobbi (Scarpia) und Giuseppe di Stefano
(Cavaradossi) im Schrank stehen haben und zum Maß aller Dinge verklären.
Trotzdem wurde die Münchner Aufführung zu einem Fest der Stimmen: Jonas
Kaufmann bewältigte die heldisch angelegte Cavaradossi-Partie mit seinem
dunkel timbrierten Tenor nicht nur fast immer mühelos; er gewann seinen
Liebesgefühlen – etwa im Duett »Qual‘ occhio al mondo« - oder der
traurig-wehmütigen Lebensbilanz »E lucevan le stelle« dank kluger,
facettenreicher Phrasierung große Emotionen ab.
Personenregie ist kaum vorhanden
Luc Bondys kaum vorhandene Personenregie vernachlässigte ihn stattdessen:
Als doch leidenschaftlicher und idealistischer Künstler-Revolutionär bleibt
er in dieser Inszenierung treuherzig, sanft – und deshalb ziemlich
uninteressant.
Auch aus der Tatsache, dass in diesem späten, bereits prä-modern
reflektierten Werk der großen Operntradition die Titelfigur Tosca auch
innerhalb der Opernhandlung eine berühmte Sängerin ist, gewinnt Bondy keine
zündenden Regieideen. Dabei ist es von Puccini so herrlich ausgedacht, wie
Tosca als Bühnenprofi im Finale Cavaradossi Ratschläge gibt, wie er bei
seiner Schein-Erschießung (die dann doch eine echte ist) möglichst
realistisch das Sterben vortäuschen kann.
Da nimmt Puccini den naturalistischen Verismo-Kult schon kräftig auf die
Schippe, während ihn Bondy 110 Jahre später zusammen mit Bühnenbildner
Richard Peduzzi und Kostümbildnerin Milena Canonero immer noch mit braven
Genre-Bildern bedient. Die düstere Ziegelarchitektur der Kirche San Andrea
della Valle oder der Plattform der Engelsburg gäben gute Kulissen für einen
biederen Historienfilm ab.
Lediglich das Hauptquartier des gefürchteten römischen Polizeichefs im
Palazzo Farnese im zentralen zweiten Akt hat Bondy dezent modernisiert – wie
er auch auf Scarpia die meiste Regie-Energie verwendet. Dieser kommt in
schwarzer Uniform (Achtung: Anspielung auf die Nazi-Zeit!) als
genusssüchtiger und gieriger Sadist daher, auch figürlich erinnert Juha
Uusitalo in dieser Partie an eine Kreuzung aus Julius Streicher und Hermann
Göring.
Doch dass das Böse meist ziemlich banal und damit menschlich ist, sobald man
ihm so nahe kommt wie die von Scarpia gefolterten Cavaradossi und Tosca –
diese Erkenntnis ist nicht gerade erfrischend neu und kann die Inszenierung
deshalb nicht retten.
Gleichwohl hat dieser zweite Akt sängerisch die besten Szenen: Karita
Mattila entwickelt mit ihrem volltönenden, tragfähigen und nicht zu kräftig
vibrierenden Sopran in der Auseinandersetzung mit Scarpia dramatische Wucht.
Sie hat nicht den magischen Seelen-Ton der Callas, doch sie berüht mit
inniger Liebe wie mit tiefer Verzweiflung.
Juha Uusitalo arbeitet mit seinem Bassbariton Scarpias manipulative Finten
klug heraus, auch wenn seine Mittellage etwas monochrom klingt. Zu den
überwiegend herausragenden Leistungen in den drei tragenden Sängerpartien
ließen Fabio Luisi und das Bayerische Staatsorchester Puccinis Musik
impulsiv und in kräfigen Farben erblühen. Wobei der Maestro am Pult sich
sogar zurücknehmen konnte und die Sänger mit feiner Dynamik-Abstufung
stützte.
So wurden aus den heiklen auch große Momente, so zündete der Kanonenschuss
dieser »Tosca« zumindest musikalisch. Bleibt die spannende Frage, wie im
nächsten Jahr das Echo im Nürnberger Staatstheater ausfällt, wenn dort am 4.
Juni 2011 »Tosca« unter der Regie von Jens-Daniel Herzog Premiere hat. |
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