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Münchner Merkur, 29. Juni 2010 |
Markus Thiel |
Puccini: Tosca, Bayerische Staatsoper, München, 28. Juni
2010
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Puccini ohne Korsett
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„Tosca“ in Star-Besetzung bei den Münchner Opernfestspielen |
Foto: Bayerische Staatsoper |
München - Große Schauspiel-Intensität und enttäuschte Fans bei den Münchner
Opernfestspielen - Die „Tosca“-Premierenkritik.
Aufrichten, Atem holen, Blick ins Parkett, und dann raus damit:
„Vittoria“, entfährt es Jonas Kaufmann alias Cavaradossi. Und dann noch
einmal „Vittoria“, strahlend, mit Bizeps-Ton, mit kleinem, gerade noch
abgefangenen Stimmkratzer und vor allem – Achtung, Guiness-Buch – sehr lang.
Doch spätestens 90 Minuten später hat mancher auf der anderen Seite des
Grabens seinen eigenen Schlachtruf gefunden: „Konvention!“, hallt es
enttäuscht bis empört durch die Fan-Debatten. Ein New Yorker Met-Import als
Gala-Premiere bei Münchens heiligen, einzigartigen Opernfestspielen? Dann
auch noch einer, der zumindest anfangs genauso auszuschauen scheint wie Götz
Friedrichs Vorläufer-„Tosca“, die jahrzehntelang die Nationaltheater-Bühne
verstaubte?
Ganz so simpel ist es nicht. Regisseur Luc Bondy, mit lauem Beifall nebst
Buhs abgestraft, hat ja richtig bemerkt: Wo Giacomo Puccini samt
Librettisten den 18. Juni 1800 als Drama heraufbeschwören, läuft jeder
szenische Barrikadenkampf ins Leere. Vielleicht ist ja die Geschichte dieser
(angeblichen) Premieren-Enttäuschung auch eine Geschichte über gewandelte
Erwartungshaltungen: also doch lieber eine All-inclusive-Regie, die sich
aufreizend bis plakativ dem Zuschauer entgegenstreckt? Die ihm (oft kleine)
Analyse mit großen, „modernen“ Zeichen mundgerecht serviert?
Vor diesem Hintergrund bietet Bondy in der schmucklosen, historisierenden
Düsternis von Bühnenbildner Richard Peduzzi Puccini pur. Ohne szenische
Krücken, ohne Erklär-Gegockel. Mit der Gefahr freilich, dass manche Szenen,
vor allem im ersten Akt wie nebenbei abgefertigt werden und aufs Rüstzeug
der Stars vertrauen.
Es gibt sicher Routine-Emotion. Aber es gibt auch viele, vor allem
entscheidendere Momente großer und kluger Schauspiel-Intensität. Die Sänger
zur Eigeninitiative animieren, ihnen Raum lassen, anstatt sie im
Konzept-Korsett zu verschnüren. Wer sich vor allem auf den Mittelakt
einlässt, entdeckt Aufregendes. Die genaue Choreographie im Showdown
zwischen Titelheldin und Scarpia zum Beispiel. Toscas frühen und damit umso
planmäßigeren Griff zum Messer. Oder ihr verzweifelte Erklimmen der
Fensterbank und die sich schon hier abzeichnende Neigung zum
Selbstmord-Sprung: Beinahe, so suggeriert Bondy, könnte hier das Stück zu
Ende sein. Und dass bei Karita Mattila dies alles wie mit einer Umdrehung zu
weit gespielt ist, steht der Rolle gut: Tosca zwischen Naivität, Einsamkeit
und steter Pose, eine Frau, die auf der Couch sogar noch die Kleidfalten
sorgsam drapiert, als sie sich räkelnd zum Mord bereitmacht.
Aber stimmlich? Da zeigt sich die finnische Diva über den Abend hinweg im
Sinkflug. Die dunkle Intensität deutet hin auf eine lyrische, verinnerlichte
Tosca-Variante, am eindrücklichsten im „Vissi d’arte“. Doch viele Töne sind
von unten angeschliffen oder verschleiert, vokale Attacke funktioniert nicht
optimal, stets ist auch eine obere Stimmgrenze mithörbar. Mit der Zeit
schleichen sich Brüche ein: Was ist bei der Mattila wohl bewusst gebrochener
Tonfall? Was Deklamation als Trick?
Sparringspartner Juha Uusitalo, das ist sein Pluspunkt, klingt nie nach
Klischee. Bei Bondy gibt er eine Scarpia-Mixtur aus grobem Nosferatu-Klotz
und Mann mit Frauenproblem zwischen Huren-Beschäftiger, Tosca-Betatscher und
Marien-Umarmer. Uusitalo singt weniger mit schwarzer Röhre, kann seinen
schönen, eher samtigen Bariton zur Durchschlagskraft weiten und lässt dabei
stimmlich viel mehr Facetten ahnen, als ihm die Regie zugesteht.
Und trotzdem scheint Bondy mehr Interesse zu haben am Kraftfeld zwischen
diesen beiden Figuren – oder sollte doch schon Puccini seinen Cavaradossi
mit schönen Nummern für eine Randexistenz entschädigt haben? Jonas Kaufmann,
als sympathischer Heißsporn wie immer mit Bella Figura, ist zu allem
entschlossen. Schon die erste Arie wird mit viel Dampf genommen, dabei
pracht-, macht- und effektvoll aufdrehend. Die Spitzentöne imponieren auch
später mit dunkel lodernder Strahlkraft, Lyrismen gelingen viel besser als
noch kürzlich beim Don José in der Münchner „Carmen“. Als Quittung für die
Lokalmatadoren-Pose schleichen sich nur später kleine Gefährdungen ein. Und
wer mehr Feinabstimmung will, muss wohl Kaufmanns Bayreuther Lohengrin in
vier Wochen abwarten. Dennoch: „E lucevan le stelle“ (mit einem herrlichen
Klarinetten-Solo von Andreas Schablas) wird zum Höhepunkt des Abends, auch
dank Dirigent Fabio Luisi, der mit seinem Solisten gemeinsam atmet, zu einer
musikalischen Symbiose findet, die selten ist an diesem Haus.
Luisis gewichtige Tempi, auch die Neigung zum Bombast mögen verstören, sind
aber angemessen – als musikalische Widerspiegelung und Weiterführung von
Puccinis Brutalo-Stück und Bondys Nacht-Regie. Außerdem findet das
Bayerische Staatsorchester mit diesem Dirigenten zur Ausnahmeform: Puccini
als scharf profiliertes Klangrelief, energiereich, extrem kontrolliert.
Übergänge (wie nach Cavaradossis erster Arie) gelingen traumhaft, gespielt
wird mit großer Präzision und Reaktionsstärke: eine Leistung, wie sie seit
Kirill Petrenkos „Jenufa“ nicht mehr zu bestaunen war. Dass es für Luisi
Buhs gab, auch für Mattila und einzelne gar für Uusitale, erstaunte daher.
Aber Maßstäbe sind hier offenbar fließend – man denke nur an manch andere
Aufführung an diesem Haus. |
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