Die Grippe kennt keine Gnade. Auch vor Sängern macht sie nicht Halt.
Jüngstes Opfer ist der Tenor Jonas Kaufmann. Ein Konzert in der Berliner
Staatsoper und einen Liederabend in Barcelona musste er wegen fiebriger
Erkältung absagen, seinen Frankfurter Auftritt bei «Pro Arte» in der
Alten Oper aber nahm er wahr – und hielt tapfer durch. Die Fans hatten
bis zuletzt gebangt, ob der umjubelte Lohengrin der diesjährigen
Bayreuther Festspiele denn auch wirklich kommen würde.
Nun ist
es für einen Sänger ohnehin schon ein Wagnis, in einem riesigen
Auditorium wie dem Großen Saal der Frankfurter Alten Oper einen
Liederabend zu geben, allein mit seiner Stimme auf sich gestellt – als
einzige Stütze einen Flügel samt begleitendem Pianisten. Und dann auch
noch mit einem ebenso bekannten wie intimen Liederzyklus wie Schuberts
«Schöne Müllerin»! Aber Kaufmann meisterte seine Sache – nicht zuletzt
wegen seiner Professionalität. Und schonte sich nicht. Schließlich kam
ihm zugute, dass er die «Schöne Müllerin» erst vor einem Jahr auf CD
aufgenommen hat.
Attraktives Timbre
Naturgemäß wollte die Stimme wegen der Indisposition nicht so leicht
ansprechen wie sonst, vor allem in der Höhe und im Piano, wie etwa bei
«Dein ist mein Herz» in dem Lied «Ungeduld». Kaufmanns Tenor konnte
nicht immer ungehindert strömen, aber sein wunderbar warmes und deshalb
so attraktives Timbre gab der Interpretation eine unverwechselbare
Prägung und büßte kaum etwas von seiner Faszination ein, ja bekam
mitunter eine nicht unpassende baritonale Färbung. Besonders die
Passagen im kernigen Forte wie «Hätt’ ich tausend Arme zu rühren!» aus
«Am Feierabend» oder die gesteigerte Dramatik in «Eifersucht und Stolz»
verfehlten ihre Wirkung nicht, aber auch der zarte, verletzliche
Ausdruck in «Trockne Blumen» oder die Erlösungsvision am Ende von «Des
Baches Wiegenlied» verhalfen diesem Abend zu berückenden Momenten.
Nun ist Kaufmanns Sichtweise auf diesen Schubertschen Liederzyklus
von der Vorstellung bestimmt, dass diese tragische Geschichte vom
unbekümmerten Müllersgesellen, der sich vergeblich in die Tochter seines
Chefs verliebt und vor lauter Pein am Ende sich das Leben nimmt, nach
einer jungen Stimme verlangt. In diesem Sinne interpretiert Kaufmann die
ersten Lieder frisch, fröhlich und recht naiv, strotzend vor Energie und
Selbstvertrauen, bis die Stimmung kippt und sich beim Müllersburschen in
Anbetracht des übermächtigen Rivalen in Gestalt eines Jägers Desillusion
und Resignation breit machen.
Fabelhafter Begleiter
Es gibt Interpreten wie etwa Christian Gerhaher oder
Christoph Prégardien, die den Müller-Liedern mehr Farbwerte im Ausdruck
abgewinnen als der vom Timbre her eher gleichförmige Jonas Kaufmann.
Aber dafür hat dieser mit Helmut Deutsch einen fabelhaften Begleiter,
der all diese Nuancen in seinem Klavierpart zur Geltung bringt – und sei
es im nur wenige Takte umfassenden Nachspiel eines Liedes. So waren
Jonas Kaufmann am Ende die Bravos und die Blumenpräsente seiner Fans
sicher.