Gießener Allgemeine, 13.10.2010
Olga Lappo-Danilewski
Schubert: "Die schöne Müllerin, Frankfurt, Alte Oper, 12. Oktober 2010
Jonas Kaufmann fasziniert in der Alten Oper
 
Ein Sänger, ein Pianist - und ein voll besetzter Großer Saal. Spot auf den einsamen Flügel in der Mitte der weiträumigen Bühne, Fokus der Aufmerksamkeit auf zwei Interpreten während einer Stunde exquisiter Liedkunst: Jonas Kaufmann und Helmut Deutsch machten am Dienstagabend Tourneestation in der Frankfurter Alten Oper.
Der angesagteste Tenor Deutschlands und einer der erfahrensten Begleiter am Tasteninstrument boten Franz Schuberts Liederzyklus »Die schöne Müllerin«. Deutsch ist Professor für Liedgestaltung in München, Kaufmann war an der dortigen Hochschule sein Gesangsschüler. Kein Wunder, dass wir eine Sternstunde des Zusammenwirkens erlebten und dieser Konzertabend der ProArte-Reihe seiner Kategorie »Große Interpreten« alle Ehre machte. Der mit renommierten Preisen bedachte Sänger ist auf den Bühnen der Welt zu Hause, ein Star-Tenor, der sich auch dem empfindlichen Fach des Kunstliedes widmet. »Die schöne Müllerin« hat Kaufmann 2008 mit Deutsch zusammen auf CD eingespielt; beim Vergleich mit dem Live-Erlebnis erschien die Interpretation am Dienstag um Nuancen verfeinert und vertieft.

Die Hörer wurden in der pausenlosen Stunde zunehmend in Bann gezogen von einem dramaturgisch durchdachten und präsenten, eher dem Erlebnis als dem Erzählen nahestehenden Vortrag. Die zyklisch angelegte, hoch romantische Geschichte in Gedichtform, in der Natur und Wanderschaft eine Rolle spielen, die mit Farbsymbolik spielt, die von Hoffen, Leiden, Liebe und Eifersucht eines jungen Müllerburschen handelt, mit optimistischem Aufbruch beginnt und im Epilog »Des Baches Wiegenlied« in meditativer Düsternis endet, hat Schubert für Tenor gesetzt. Dass diese Stimmlage die beste für eine glaubwürdig-jugendliche Erlebensebene ist und die Original-Tonarten bedeutende Ausdrucksträger sind, zeigte sich an diesem Abend auf eindrucksvolle Weise.

Rastlosigkeit und Unbeschwertheit des Wanderns wirkten in den ersten beiden Liedern auch wegen des gleichförmigen raschen Tempos etwas mechanisch, das stellte sich aber im Zusammenhang als kalkuliert dar, denn schon beim Erblicken der Mühle im Lied »Halt!« schlug der Pianist dramatische Töne an. In der »Danksagung an den Bach« ließ Kaufmann die lyrischen Farben seiner Stimme schimmern, und der Kontrast zum Überschwang im motorischen »Hätt ich tausend Arme zu rühren« (in »Am Feierabend«) wirkte umso prägnanter in dem facettenreichen, deklamatorischen Vortrag des Sängers. In kontemplativer Übereinstimmung intonierten beide Künstler den Dialog mit dem Bächlein - und dann kam die »Ungeduld«: Hier dosierte Kaufmann den Überschwang (»Dein ist mein Herz und soll es ewig bleiben«) ganz ohne schwärmerisches Pathos, aber mit Leidenschaft, in der Schlusszeile sogar zu heldischen Tönen gesteigert.

Das Herzrasen des jungen Müllerburschen spiegelte auch der Pianist mit treibendem Duktus wider. Keine pastellfarbenen Biedermeier-Blümelein, sondern expressives Empfinden »malte« Kaufmann im »Morgengruß«. In »Des Müllers Blumen« gefiel der schlichte Vortrag ebenso wie im folgenden »Tränenregen«. Dem Auf und Ab der Emotionen in »Mein« lieh der Sänger die imponierend kraftvolle Seite seiner Stimme. Hier hätte er noch etwas mehr Mimik einsetzen können - es ist immerhin die Klimax vor dem Umkippen in tragischere Gefilde, die jetzt deutlich hervortreten und die von Kaufmann ohne die oft üblichen sarkastischen Töne gestaltet wurden.

Der monologischen Auseinandersetzung mit dem Rivalen, dem Jäger, gab der Pianist bedeutsame Farben. Der Sänger paarte Wehmut mit Zorn in der Zeile »Ade! Und reiche mir zum Abschied deine Hand«, bevor er mit der Todesvision in »Trockne Blumen« ganz versunken mezza voce faszinierte. Das gehaltene Pianissimo des letzten Wortes im »Wiegenlied« löste Ergriffenheit aus. War eine Zugabe nach diesem lichten Erlösungsbild möglich? Kaufmanns gehauchte, quasi entschwindende »Luise« passte da.

Das Publikum feierte das kongeniale Duo mit enthusiastischen Beifall. Blumen aus dem Parkett für den vielseitigen Sänger, der seine Gestaltungskunst auch in der intimsten Gattung der Musik eindrucksvoll präsentiert.






 
 
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