|
|
|
|
|
Opernglas, September 2010 |
R. Tiedemann |
Wagner: Lohengrin, Bayreuth, 25. Juli 2010
|
Bayreuth Lohengrin
|
|
Die
Geste war eindeutig: Als sich Hans Neuenfels und Reinhard von der Thannen am
Ende dieses Premierenabends auf der Bühne zeigten und sich der
erwartungsgemäß vielstimmige Chor aus Buh- und Bravorufen über Regisseur und
Ausstatter des neuen Bayreuther »Lohengrin« ergoss, sprangen ihnen
kurzerhand die beiden Festspiel-Chefinnen zur Seite. Demonstrativer können
Theaterleiter ihre Zustimmung für eine Regie-Arbeit nicht ausdrücken. Doch
so aufmunternd und hilfreich der unerwartete Auftritt von Eva
Wagner-Pasquier und Katharina Wagner gemeint war, er wäre im Prinzip nicht
nötig gewesen: Da haben der Grüne Hügel und auch Neuenfels schon ganz andere
Publikumsreaktionen erlebt. Und die Wogen um diese neue, ungewohnte
Wagner-Sicht werden sich wohl schneller glätten, als bei mancher Bayreuther
Vorgängerproduktion, denn so vehement und aufgeregt jetzt einige Zuschauer
spontan ihre liebgewonnenen Sehgewohnheiten verteidigten, so unaufgeregt
kommt letztendlich die zwar radikale aber sehr hellsichtige und prägnant
herausgearbeitete Neudeutung des vermeintlich so vertrauten Stoffes daher.
Das Laboratorium, in dem Hans Neuenfels seine Vision der Sage ansiedelt, ist
klar strukturiert, klinisch rein, nach außen hermetisch abgeriegelt.
Lohengrin, so zeigt es das Vorspiel, will hier ganz unbedingt und unter
großen Mühen hinein; als es ihm gelingt, kann das Experiment beginnen. Dass
das Volk von Brabant hier als eine putzig anzuschauende Rattenpopulation im
Versuchslabor dargestellt ist, amüsiert. Doch schnell offenbart sich der
raffinierte Hintergedanke, weist diese Tierart doch ein ausgeprägtes
Sozialverhalten auf. Leicht gibt sich das „Volk einem neuen Heilsbringer
hin: Nicht erst beim siegreichen Kampf gegen Telramund, sondern bereits beim
bloßen, wundersamen Anblick des nahenden Schwanenritters ist die
manipulierbare Masse beflissentlich bereit, die Fronten zu wechseln, das
Rattenkostüm an der Garderobe abzugeben, wo es — ein herrlicher Effekt — im
Kollektiv, rattenschwanzbaumelnd, in den Bühnenhimmel entschwebt. Es sind
ebenso gnadenlos treffsichere wie delikat ästhetisch visualisierte
Beobachtungen des Regieteams, die diesen »Lohengrin« schon jetzt zum
Klassiker prädestinieren: ganz an einer heutigen Ästhetik orientiert,
raffiniert überzeichnet, dabei regelrecht konventionell in der Erzählweise
und vollkommen zeitlos in der Aussage.
An der punktgenauen Wirksamkeit der Produktion hat Ausstatter Reinhard von
der Thannen beträchtlichen Anteil: Er zeichnete nicht nur für das geradlinig
kühle, sehr hell und doch enorm atmosphärisch ausgeleuchtete Bühnenbild
verantwortlich (Licht: Franck Evin), sondern auch für die fantasievollen,
hochwertig gefertigten Kostüme, von denen die gut getroffenen, jeweils
individuell angepassten Ratten mit ihren wippenden Schwänzen, zappelnden
Riesenhänden und rot blinkenden Augen vorrangig erwähnt werden müssen. Die
Münsterszene gerät ob ihrer hinreißenden Kleideropulenz gar zum visuellen
Fest: die Chordamen nunmehr in fantasievollen bunten Petticoats, die beiden
Protagonistinnen in opulenten, raumgreifenden Federroben wie zwei stolze
Schwäne — die eine, Elsa, ganz in Weiß, die andere in Schwarz. In einer bis
ins Detail durchdachten Choreografie umkreisen sich die Rivalinnen
abwartend, drohend — bis Lohengrin dazwischen geht: eine tolle Szene! Dieser
Art gelingen eine ganze Reihe grandioser Bilder, die in ihrer suggestiven
Bild- und symbolischen Aussagekraft unmittelbar berühren und lange haften
bleiben.
Es ist eine Inszenierung der Metamorphosen, der Veränderungen. Nuancen in
Kleidungs- und Verhaltensweisen signalisieren die immerwährende, ungelöste
Identitäts-, Sinn-, Glaubens-, Wahrheitssuche praktisch aller Beteiligten.
Auch der Schwan erscheint in unterschiedlicher Gestalt, mal gerupft vom
Himmel baumelnd, mal stilisiert als Kunstobjekt in der Vitrine. Am Ende
präsentiert Lohengrin im Schwanen-Ei den neuen Führer von Brabant: ein
fremd-vertrautes, abschreckend-faszinierendes Embryonalwesen, das sich
demonstrativ und selbstbewusst die eigene Nabelschnur durchtrennt. Alles auf
Anfang? Ein weiterer Heilsbringer, dem blind zu folgen ist? Oder vielleicht
doch eine Vision von Neubeginn, eine Aufforderung zum Leben ohne
Fremdbestimmung? Ein vielsagendes Ausrufezeichen zum Finale einer
Inszenierung, deren Premierenpannen (eine geplante erste Videoanimation —
„Erste Wahrheit‘ — fiel aus) und leichte choreografische Unsauberkeiten
(Chorarrangements) sich in den kommenden Vorstellungen sicher schnell
korrigieren lassen.
Diese Gewissheit wünschte man sich auch für den eher durchwachsenen
musikalischen Teil der Aufführung. Jonas Kaufmann traf an diesem Eindruck
die geringste Schuld. Sein Lohengrin war technisch wie stilistisch über
jeden Zweifel erhaben. Kaufmann wusste einmal mehr seinen in der Mittellage
unverwechselbar markanten, charakterstarken Tenor stets souverän zu führen
und eine große Farbpallette abzurufen. Der dramatische Glanz seiner
Forte-Höhen (Brautgemach) begeisterte; im wunderbaren Kontrast dazu geriet
die verinnerlichte Gralserzählung zu einem Moment höchster Konzentration —
auch im Publikum. Bemerkenswert, wie der Sänger die Piani setzte und aus
diesen, crescendierend, weitere Spannungsbögen gestaltete. Einzig im
befreiten Aussingen, im Loslassen des zuweilen etwas artifiziell wirkenden
Gesangs liegen Möglichkeiten zur Optimierung. Hier fehlten dem Sänger
spürbar die vokal gleichwertigen Partner.
Zu welch leidenschaftlicher Intensität sich insbesondere das
Protagonistenduo gegenseitig beflügeln kann, hatte zuletzt die Paarung
Harteros-Kaufmann bei den Münchner Festspielen 2009 bewiesen. An dieses
Niveau konnte Annette Dasch bei ihrem RolIendebüt als Elsa nicht
heranreichen. Zu vorsichtig, zu unsicher in der Gestaltung blieb ihre
Interpretation hinter einer festspielreifen Leistung zurück: mehr ein
glückliches Durchhangeln als eine souveräne Darbietung. Der an sich
ansprechend timbrierte Sopran der Sängerin klang selbst im stimmfreundlichen
Bayreuther Festspielhaus schwach, hatte zuweilen sogar Mühe, sich im von
Andris Nelsons ohnehin schon sehr zurückhaltend gestalteten Orchestertutti
durchzusetzen. Der Dirigent, vierter Bayreuth-Debütant des Abends neben
Dasch, Kaufmann und Neuenfels, gab sich große Mühe, das sehr inhomogene
Stimmmaterial der Solisten einigermaßen gleichberechtigt zu unterstützen.
Dass diese löbliche Rücksichtnahme auf Kosten seines eigenen Debüt-Erfolges
gehen könnte, nahm der junge Lette in Kauf. Sein Dirigat gewann dennoch
durchaus eigenes Profil, nahm — nach einem leider völlig zerfaserten
Vorspiel und einem von Nervosität geprägten ersten Akt— immer zielstrebiger
Fahrt auf in Richtung einer konzentrierten, eher analytisch klaren denn
romantisch schwelgerischen Auslegung der Partitur. Insgesamt eine
bemerkenswerte, vielversprechende Leistung, die sich wohltuend abhob von
manchem unbefriedigenden Dirigat einiger seiner »Lohengrin«-Vorgänger an
diesem akustisch so besonderen Haus.
Gerade in einem solchen Umfeld musste die exaltierte Ortrud der Evelyn
Herlitzius wie ein Fremdkörper wirken. Das erzielte durchaus den gewünschten
Effekt und ging konform mit dem Rollenprofil. Doch was zu Beginn des zweiten
Aufzuges noch kontrollierter, eindrucksvoll gestalteter Stimmklang war,
mutierte beim Fluch im letzten Akt zum hysterischen Schrei. Durch und durch
ein wahres „Bühnentier“ überzeugte die Sängerin letztendlich vorrangig mit
ihrem starken, charismatischen Spiel. Hans-Joachim Ketelsen war dagegen als
kurzfristig für Lucio Gallo eingewechselter Telramund von ganz anderem
Kaliber; seine Herangehensweise ist die einer voll auf vokaler Linie
gehaltenen Gestaltung. Nicht mehr ganz an Kraft und Glanz früherer Jahre
anknüpfend, überzeugte er doch durch kluge Phrasierung und deutliche
Artikulation. Georg Zeppenfeld war ein ausdrucksstarker König Heinrich,
Samuel Youn ein solider Heerrufer.
Der von Eberhard Friedrich einstudierte Festspielchor hatte nicht ganz die
absolute Perfektion, wie man sie an diesem Hause gewöhnt ist, doch
begeisterte einmal mehr die üppige, homogene Klangpracht. Wie die Solisten
folgten auch die Choristen mit hingebungsvoller Spielfreude den Visionen des
Regieteams- Nur so konnte dieses ungewöhnliche Konzept gelingen, das zwar
von einem Teil des Premierenpublikums abgelehnt, von vielen anderen aber —
auch von der anwesenden bayreutherfahrenen Politprominenz— mindestens ebenso
enthusiastisch gefeiert wurde.
R. Tiedemann
|
|
|
|
|
|