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Klassikinfo.de |
Klaus Kalchschmid |
Wagner: Lohengrin, Bayreuth, 3. August 2010
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Startenor im Rattenkäfig
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Die zweite Vorstellung des neuen "Lohengrin" in Bayreuth |
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(Bayreuth, 3. August 2010) Schon der silbern tönende Anfang gehört ihm
ganz allein und natürlich auch der Schluss: Denn bereits während des
Vorspiel versucht Lohengrin alias Jonas Kaufmann (der im weißen Hemd mit
schwarzer, ungebundener Fliege um den Hals exakt wie auf seinen Promofotos
aussieht) Raum zu schaffen. Mit aller Kraft stemmt er sich gegen eine weiße
Wand, die schließlich bis fast an die Hinterbühne gedrückt wird. Dann öffnet
sich für einen Moment die Doppel-Türe wie von Zauberhand und Lohengrin
verschwindet. Am Ende aber steht er, jetzt ganz in Schwarz, im hellen Spot
auf leerer Bühne, an deren schwarze Rückwand ein großes Fragezeigen
projiziert ist. Alle haben sich von ihm abgewandt und er singt
herzzerreißend schön und ergreifend seine Gralserzählung, mit dem
Festspielorchester unter Andris Nelsons am Ende in die höchste Emphase
getrieben.
Vergessen ist alles Rätseln um die ebenso eleganten wie putzigen Ratten, die
schon als Heerscharen in die Feuilletons einfielen, bevor ein einziger Ton
der Premiere in Bayreuth erklungen war; die dann von Kritikern und Publikum
mal eloquent, mal hilflos, mal angewidert in ihrer Versuchanordung
beschrieben wurden, als die Hans Neuenfels bei seinem Hügel-Debüt mit 69
Jahren die führerlose Masse der Brabanter im hellen Licht eines aspetisch
weißen Käfigs zeigen wollte. Optisch ist das höchst reizvoll, denn die
Kostüme des Reinhard von der Thannen, der auch die Bühne entworfen hat,
orientieren sich für die Choristen an schickem Sportdress. Also sind die
Stoffe flexibel, schimmern sie fein in schwarz, weiß oder rosa (für die
kleinen Brautjungfern), sehen die durchsichtigen Rattenköpfe mit ihren
leuchtend roten Augen ein wenig aus wie der Gitterschutz für Fechter.
Mehrfach taucht unter dieser "Verkleidung" etwas anderes auf, eine gelbe
Showkostümierung nach der Ankunft Lohengrins wie fürs Musical - samt
entsprechender Bewegungen - oder elegante Fräcke für die Herren neben
lustigen, bunten Flower-Power-Petticoats für die Damen zum Zug ins Münster.
Der Brautchor zu beginn des 3. Akts wird wieder im Ratten-Outfit gesungen,
doch ganz am Ende ist aller Spuk vorbei (nur die Rattenfüße bleiben!). Noch
bevor Lohengrin sich offenbaren konnte, wurde dem Chor nicht nur ein Schwan
auf den Rücken gedruckt, sondern auch ein L auf die Gürtelschnalle geprägt.
Wann immer ein Entfliehen aus dem Rattenlabor möglich schien, versuchte man
es, das ist wohl die Botschaft. Und doch ist das alles so assoziationsreich
und hübsch wie letztlich beliebig.
Umso beeindruckender allerdings das Schlußbild, wenn im schwarzen Nachen ein
Schwanenei auf die Bühne schwebt und ihm ein hässliches, missgestaltetes,
blutiges Neugeborenes als Elsas Bruder Gottfried ("der Herzog von Brabant -
zum Führer sei er euch ernannt") entschlüpft. Kein Wunder, dass darauf alle
tot zu Boden sinken und einzig Lohengrin langsam in Richtung Publikum
schreitet. Die (gescheiterte) Utopie des einzig freien, überlebenden
Menschen?
Vergessen wird beim Reizthema Ratten, was Neuenfels an "Lohengrin" und
seinen Protagonisten noch mehr interessierte, wo er ungemein präzise und
packend in der Personenregie war - etwa in der zentralen Brautgemach-Szene
des 3. Akts und dem, was bis zum bitteren Ende noch folgen sollte! Vieles
kann man bei diesem Halbrund, in das runde Öffnungen wie Bullaugen
eingelassen sind, assoziieren: den Chorraum einer säkularisierten Basilika
(von der es im zweiten Akt nur die Stufen zu ihrem Portal zu sehen gab) mit
einem von schwarzen Kordeln abgegrenzten Brautbett als Altar. Das Ganze
erinnert jedoch auch an ein Toten-(Doppel-)Bett in einer Aussegungshalle mit
sieben schwarzen Stühlen an der Wand! Wenn Elsa den Schwan auf dem Wasser
zurückkehren wähnt, quillt das sargähnliche Boot, in dem ein Schwan im
ersten Akt erschien, aus der Ritze zwischen den Betten heraus - nun voller
Federn - und verschwindet wieder.
Lohengrin ist es, der die Kordeln einreißt, der vor dem einst dem König
vorbehaltenen Raum niederkniet; der den für wen auch immer geweihten Bereich
betritt. Elsa bleibt außen vor, sperrt sich, lässt sich nicht berühren. Aber
am Ende kämpfen sie beide am Boden kriechend vor dem Chor mit allen Mitteln
um den Erhalt ihrer Liebe. Annette Dasch wirft sich hier vorbehaltlos in die
Rolle, presst die angewinkelten Beine zusammen, um sich als Frau vor dem
vermeintlichen Zugriff des Mannes zu schützen, während Jonas Kaufmann noch
menschlicher erscheint, noch physischer um seine Braut kämpft, als er das
schon vor einem Jahr in München getan hat. Er tut es auch mit dem Reichtum
seiner Stimme, seines wunderbar dunklen Timbres, das Spitzentönen einen
tiefen Glanz gibt und dem Piano Fülle und Farbigkeit.
Während Elsa im zweiten Akt im großen Reifrock voller Schwanenfedern und
ebensolchem Fächer in Weiß auftritt, begegnet ihr Ortrud in Schwarz - wie
Odile und Odette, der weiße und der schwarze Schwan in Tschaikowskys
"Schwanensee" zusammentreffen. Evelyn Herlitzius ist der schwarze Schwan -
und am Ende eine verrückte, zerzauste weiße Königin wie vom Jahrmarkt,
hysterisch, grell, immer am Anschlag singend, aber dadurch das perfekte
Gegenbild zur gehemmten Elsa, die Annette Dasch oft allzu gedeckt und mit
etwas unsicheren Spitzentönen singt. Man spürt, dass ihre Elsa ein
Rollendebüt ist und die Stimme von Mozart weg ins dramatischere Fach will,
dort aber noch nicht angekommen ist. Georg Zeppenfeld muss als König einen
unsicheren, wankelmütigen Herrscher spielen, singt ihn freilich mit
großartiger Bariton-Gewalt, ebenso wie Samuel Youn, dem die Maske eine
steile Simpsons-Frisur verpasst hat. Dagegen kommt Hans-Joachim Ketelsen
über einen soliden Telramund nicht hinaus.
Die beiden Kollektive freilich kann man nicht laut genug loben: Hier der
Festspielchor, der unter Eberhard Friedrich jede Silbe zum Ereignis macht
und mit einer Homogenität singt, dass man jedes Jahr aus dem Staunen nicht
herauskommt. Unter ihm lernen und können seine Sänger alles und so sind vom
feinsten Piano bis zur gewaltig herausgeschleuderten Attacke im Fortissimo
unzählige Nuancen und Schattierungen zu erleben. Dort das
Festspielorchester, das unter Andris Nelsons selbstverständlicher noch als
in der Premiere die Finessen der Instrumentation von Wagners erster "reifer"
Partitur in jedem Takt zum Leuchten bringt, aber auch den musikdramatischen
Fluss in teils sehr zügigen, teils durchaus verhaltenen Tempi. Präzise im
Detail klingt das, spannungsvoll in den großen Bögen, nie knallig, nie allzu
feinsinnig, sondern immer von großer Wärme, aber auch Vitalität getragen.
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