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Crescendo, 26. Juli 2010 |
Barbara Angerer-Winterstetter |
Wagner: Lohengrin, Bayreuth, 25. Juli 2010
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Bayreuth: Von Ratten und Menschen im Versuchslabor
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Hans Neuenfels inszeniert einen hoch intelligenten neuen „Lohengrin“ zur
Bay-reuther Festspieleröffnung 2010 / Musikalisch höchstes Niveau mit vielen
Hügel-Debütanten |
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Alain Resnais‘ Spielfilm von 1980 „Mein Onkel aus Amerika“ nimmt das Motiv
vorweg: Laborratten-Experimente werden menschlichen Verhaltens-weisen
gegenübergestellt. Die Idee, mit der Regisseur Hans Neuenfels in seiner
neuen „Lohengrin“-Inszenierung auf dem Bayreuther Grünen Hügel arbeitet, ist
also keine Neuerfindung, aber neu bei den Festspielen. Verstörend sicher für
so manchen, der die romantische Oper ebenso auf der Bühne erleben möchte,
ein höchst intelligenter Coup aber für denjenigen, der lieber eine
glasklare, schlüssige Regie erlebt. Denn das ist Neuenfels‘ Deutung, trotz
der vielen Buhs für die Premiere zur Festspieleröffnung am Sonntag.
Bleiben wir bei den Ratten: Hans Neuenfels und sein kongenialer Ausstatter
Reinhard von der Thannen machen die hochintelligenten Nager zum Leitmotiv –
aber das Rattenkostüm wirkt in seinem Neopren-Material nicht nur
tierisch-possierlich, sondern auch wie hochwertige Sportbekleidung; und
durch den Rattenkopf, der ebenso Röntgenaufnahme wie Schutzhelm sein könnte,
schimmert immer der menschliche Kopf durch. In einer Labor-Situation
durchleben diese Ratten denn auch einige Mutationen hin zur Spezies Mensch,
werden zu Hütchen schwingenden Gelbfrackträgern und zu Rittern mit
Schwanenemblem und Tonsur am Kopf (zu viele Hirnstudien bzw.
-manipulationen?). Gefährlich auffallend ist die Bereitschaft dieser
opportunistischen Überlebenskünstler, sich anzupassen – putzig bis
liebevoll, wenngleich manchmal zu nah am Comic die tierischen Darstellungen
inklusive rosafarbener Babyratten. Tatsache ist: Als Zuschauer macht man
sich an diesem Abend (und danach) viele Gedanken übers Menschliche im
Rattigen und das Rattige im Menschlichen.
Aber diese Idee ist beileibe nicht alles. Im glasklar ausgeleuchteten,
geschmackvoll designten Versuchs-Raum des „Lohengrin“-Labors bleibt keine
Emotion unanalysiert, kehrt sich das Innerste nach außen. Es ist Lohengrin,
der die Dimension der Liebe ins Spiel bringt – er ruft mit seinem „Nie
sollst du mich befragen“ dazu auf, Vertrauen ins Gefühl zu haben. Das
eigentliche Wunder in dieser Inszenierung wäre, wenn dieser Wunsch, dessen
Sinnbild der Schwan ist, Wirklichkeit würde: als Schwanen-Designobjekt ist
er für Elsa noch anstaunbar, als übergroßes Schwanenfedern-Hochzeitskleid
aber schon zu erdrückend. Denn schlussendlich kann man im Versuchslabor das
ständige Hinterfragen und Nachforschen nicht lassen: Schwebt schon am
Schluss des ersten Aufzugs ein gerupfter Schwan aus dem Bühnenhimmel herab,
so schlüpft im verstörenden Schlussbild aus einem übergroßen Schwanenei
(stückkonform viel zu früh) der noch unfertige Gottfried. Ein missgebildetes
Embryo, die deformierte Kopfgeburt zu vieler Gen-Experimente, die sich die
Nabelschnur vom Leib reißt. Am Schluss stirbt mit der Liebe und dem
Vertrauen alles Lebendige – nur nicht Lohengrin, der tieftraurig aufs
Publikum zugeht, als wolle er sagen: Hört wieder mehr auf euer Herz und
nicht nur auf euren Verstand!
Die Musik findet in all diesen glasklaren Räumen mit ihrem gleißenden
Licht einen wunderbaren Raum zur Entfaltung. Am intensivsten gelingen dabei
die intimen, die Paar-Szenen. Hier erreicht das Zusammenspiel aus hoch
emotionaler Personenführung, dem Charisma der Sängerdarsteller und der
lyrisch aufblühenden Musik aus dem Graben seltene Momente der Intimität und
des Gefühls. So etwa in der ersten, vorsichtigen Begegnung zwischen Elsa und
Lohengrin, aber auch in der Brautgemach-Szene und in der des „bösen Paares“
Ortrud und Telramund.
Andris Nelsons, der gerade mal 31-jährige Dirigent begreift das Werk des
jungen Wagner ebenso leidenschaftlich und emotional, lässt schon im Vorspiel
viel Lyrik schweben und Klangfarben glitzern, hütet sich aber vor zu viel
Süße und wählt manchmal überraschend langsame Tempi, um wichtige Momente
verständlich zu machen. Aber auch das junge „Lohengrin“-Team leistet
Großartiges: Allen voran Jonas Kaufmann, der mit viel Ausdruck spielt und
mit seiner leicht baritonalen Färbung dem Lohengrin Tiefe und Wärme
verleiht. Mit Feinheiten, die er im Mezzavoce und in den Pianostellen
herausarbeitet, gewinnt er der Partie Facetten ab, die neu und stimmig sind.
Seine Partnerin als Elsa ist Annette Dasch: ihre Entwicklung von der
(mit Pfeilen durchbohrten) Märtyrerin zur verzweifelt liebenden Frau reißt
mit, schön ist die Klangfarbe ihres temperamentvollen Sopran, der allerdings
manch dramatischen Ausbruch (noch) nicht ganz stand hält. Voll dramatischer
Wucht gestaltet Einspringer Hans-Joachim Ketelsen den Telramund; seine
Ortrud ist mit der großen Bayreuther Ex-Brünnhilde und -Kundry Evelyn
Herlitzius zwar stimmgewaltig, aber auch unangenehm Vibrato-verzerrt.
Faszinierend nicht zuletzt Georg Zeppenfeld als König Heinrich, der bei
Neuenfels Shakespear’sche Züge etwa eines geknickten King Lear trägt.
Fabelhaft auch der Chor der Bayreuther Festspiele. Kurzum: Eine der
inspirierendsten Festspielproduktionen auf dem Grünen Hügel!
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