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Die Zeit, 29. Juli 2010 |
Claus Spahn |
Wagner: Lohengrin, Bayreuth, 25. Juli 2010
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Bayreuths Tierleben
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Hans Neuenfels versetzt seinen »Lohengrin« bei den Wagner-Festspielen in
ein Versuchslabor. Der Befund: Von der Welt ist nichts Gutes zu erwarten |
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Der Regisseur Hans Neuenfels liebt Tiere. Immer wieder spendiert er ihnen
unvergessliche Auftritte. In einer Berliner Nabucco- Produktion ließ er ein
Geschwader aus Plüschkampfbienen auftreten. In seinem Essener Tannhäuser
jagten Machohirsche mit mächtigen Geweihen hinter hoppelnden Playboy-Häschen
her. Im Stuttgarter Don Giovanni baumelten den Chordamen Kuheuter vor dem
Bauch. Und nackte Sadomaso-Tänzer mit Hundemasken führt Neuenfels sowieso
gerne Gassi.
Bei den Bayreuther Festspielen sind nun die Ratten dran. Hans Neuenfels, der
fantasiewütige Altmeister der Opernregie, gibt mit 69 Jahren sein Debüt am
Grünen Hügel und lässt in der ersten Szene von Wagners Lohengrin einen
Rattenchor auf die Bühne trippeln. Solche Nager hat man auf dem Theater noch
nicht gesehen: Sie sind menschengroß, bewegen sich aufrecht mit wuselnden
Schritten, haben lange Gummikrallen, bewegliche Schwänze und rot leuchtende
Augen. Sie können vor Angst bibbern, neugierig die Köpfe verdrehen und
frenetisch »Heil Dir, König Heinrich« jubeln. Es gibt sie hundertfach in
Schwarz und Weiß, und beim Hochzeitsmarsch trippeln die süßen Rattenkinder
als Brautjungfern in Rosa vorneweg. Der nie um eine surreale Bildidee
verlegene Bühnenbildner Reinhard von der Thannen hat die Tiere erfunden. Sie
sind possierlich und fies zugleich - und für die Bayreuther Traditionalisten
natürlich eine Zumutung. Ratten?Im Lohengrin?
Neuenfels und von der Thannen suchten nach einer Bildmetapher für das
wankelmütige Volk im Lohengrin - eine opportunistische Masse in
Kriegsstimmung, die die Schwachen verhöhnt und die Starken bewundert, bei
der Führerbegeisterung und Waffengeklirr ganz nah beieinander sind. Die
dröhnenden Chöre im Lohengrin wollten sie auf keinen Fall als blindjubelndes
Reckentum auf die Bühne bringen wie in der Bayreuther Vorgängerinszenierung
von Keith Warner, in der sich die Mannen in Helm und Wams bis unter das Dach
des Festspielhauses stapelten. So kamen die beiden auf die Ratten - wegen
ihrer Anpassungsfähigkeit und ihres Überlebensinstinktes, der noch in den
ausweglosesten Situationen funktioniert. Laborratten bilden das Volk von
Brabant: geduckte, drangsalierte Kreaturen, eingesperrt in einen aseptisch
weißen Klinikbunker.
Der Held ist kein Wundermann mehr, er träumt nur von Liebe.
Wenn so eine Regie-Idee in Neuenfels' Theaterfantasie einmal Wurzeln
geschlagen hat, beginnt sie zu blühen und zu wuchern. Die Rattenmetapher ist
am Ende viel mehr als ein szenischer Kommentar zu Wagners prekärer
Chorgestaltung. Alles muss mit ihrer Hilfe erzählt werden. Sie dringt in die
letzte Ritze des Stücks vor. Man kann das gaga finden und völlig am Stück
vorbei. Aber wenn nicht in der Oper, an welchem Kunstort dann darf die
Fantasie ihre eigenen Räume behaupten über alles Buchstäbliche des Stoffes
hinaus?Außerdem sind viele Bilder dieser Inszenierung von großartiger
theatralischer Wirkung: Wenn Lohengrin im ersten Akt das Labor betritt, um
dem Volk eine andere Perspektive des Menschseins aufzuzeigen, streifen die
Brabanter ihre Rattenfelle ab. Wie in den Waschkauen der Bergarbeiter werden
sie an Kleiderhaken gehängt und nach oben gezogen, wo sie langschwänzig als
vorübergehend abgelegtes niederes Dasein eklig drohend unter der Bühnendecke
baumeln. Aus den Rattenkostümen schält sich eine Festgesellschaft in
dottergelber Revuegarderobe, die unbeholfen erste Tanzschritte in die
Selbstbestimmtheit wagt.
So gleißend hell wie bei Neuenfels ist selten ein Lohengrin ausgeleuchtet
worden. Immer wieder fahren kreisrunde Neonlampen von oben wie in einem
Operationssaal herab. In kaltem Licht sollen alle Details von Wagners
Menschenexperiment erkennbar sein. Neuenfels geht auf Distanz zu allen
märchenhaften Lohengrin- Sphären, zu mythischer Entrücktheit und raunenden
Heilsversprechen. Aus einer sezierenden Beobachterperspektive beugt er sich
über das Stück. Auch vom dumpfdeutschen Chauvinismus, den viele Regisseure
in dem Stück erkennen, will er nichts wissen. Wenn im dritten Akt zum
Finalbild die Heerscharen aufmarschieren und das Orchesterzwischenspiel die
Chöre zu ihrem frenetischen » Für deutsches Land das deutsche Schwert« -
Gesang aufpeitscht, bleibt die Bühne zunächst leer. Dann sieht man in einem
Zeichentrickfilm die deutsche Bestie rasen: Als zähnefletschender Kampfhund,
dessen Fell sich aus unendlich vielen Rattenleibern zusammensetzt, stürmt
sie voran. Die Ratten fallen nach und nach vom Körper ab. Das Skelett bleibt
stehen, und die Knochen brechen kläglich in sich zusammen. Wagners
Chor-Chauvinismus taugt aus heutiger Sicht nur noch zum klappernden
Gespenst.
In solcher Entideologisierung ist freilich auch Lohengrin keine
Überfigur. Der ihn singt, Jonas Kaufmann, betritt die Bayreuther
Festspielbühne als Jonas Kaufmann. Von allen Verpflichtungen, so scheint es,
hat sich der Startenor gerade frei gemacht. Die Ärmel seines weißen Hemds
sind aufgekrempelt, die offene Fliege hängt leger vom Kragen herab. Dieser
Lohengrin ist nicht in höherer Mission unterwegs, er will nur Mensch, nur er
selbst sein. Für das Staatsmännische, das man ihm immerzu anträgt,
interessiert er sich nicht. Schützer von Brabant, Heerführer, Kriegsheld
will er nicht werden. Wenn es überhaupt eine Utopie gibt, für die Lohengrin
in der Interpretation von Neuenfels einsteht, dann ist es die Vision vom
freien, selbstbestimmten Einzelnen, der es schafft, alle ideologischen
Bürden und gesellschaftlichen Zwänge hinter sich zu lassen. Deshalb hat er
nur Augen für sein privates Glück mit Elsa, deshalb träumt er von einer
unbedingten Liebe und verbittet sich die Frage nach seiner Herkunft: »Nie
sollst du mich befragen, woher ich kam der Fahrt, noch wie mein Nam' und
Art.«
Dass Jonas Kaufmann als Lohengrin kein Wundermann ist, der höhere Prinzipien
verkörpert, kommt ihm stimmlich sehr entgegen. Er muss keinen
heldentenoralen Glanz verströmen und kein visionäres Leuchten über die Rampe
bringen. Er singt die Partie innig, von Wärme durchflutet, mit mattiertem
Timbre und demonstrativ ausgekosteten Pianissimostellen. Vielleicht klingt
manches Schlichte in seinen Phrasierungen zu hergestellt, aber musikalisch
wie darstellerisch verleiht er der Aufführung auf einnehmende Weise Format
und Charakter.
Kaufmann greift den Ton auf, den der Dirigent Andris Nelsons schon im
Vorspiel vorgibt: Die magisch orchestrierte Vision vom näherkommenden
Gralslicht und dem »unertötbaren Liebesverlangen des menschlichen Herzens«,
die Wagner darin auskomponiert hat, ist bei ihm kein die Sinne
überwältigendes Strahlen, sondern ein samtweiches Schimmern von ferne her.
Der junge lettische Dirigent disponiert bei seinem Bayreuth-Debüt Wagners
Klangfluss überraschend souverän. Eher breit sind seine Tempi, und trotzdem
ist alles in lebendiger Bewegung, dramatisch klar formuliert und animierend
nach vorn gedacht. Seit Christian Thielemann ist kein Dirigent mehr am
Grünen Hügel auf Anhieb so gut mit der heiklen, zauberisch indirekten
Akustik des Festspielhauses klargekommen wie Andris Nelsons.
Das Publikum buht, als sein Wagner-Glück zernagt wird.
Es gibt Lohengrin- Produktionen, die ganz von der Erscheinung der Elsa
getragen werden. Dann ist sie es, die mit ihrem Träumen Fenster in eine
andere Wirklichkeit aufstößt. Bei Neuenfels bleibt sie merkwürdig
energieschwach und peripher. Als pathetisch stilisierte Opferfigur schreitet
sie unter das Rattenvolk. Wie eine Schwester des heiligen Sebastian ist ihr
Körper von Pfeilen durchbohrt. Auch im zweiten Akt hat Neuenfels ihr ein
schönes Einsamkeitsbild zugedacht: In einer großen Glasvistrine steht sie
alleine mit einem zierlichen Porzellanschwan. Ätherisch, passiv und
durchscheinend in ihrem Charakter wirkt diese Elsa. Anette Dasch singt sie
bei ihrem Bayreuth-Debüt immer eine Spur zu verhalten, obwohl sie nach
vernehmbarer Nervosität zu Beginn im Verlauf der Aufführung an
Ausdrucksstärke und lyrischer Geschlossenheit zulegt.
Die Aussichtslosigkeit ihres großen Liebesprojektes ist von Anfang an zu
spüren. Elsa und Lohengrin sind einander stets zugewandt - und können doch
nicht zueinander kommen. Mal wirft sich die große Zweiflerin und Entzauberin
Ortrud zwischen sie (hysterisch hochfahrend: Evelyn Herlitzius), mal zerrt
König Heinrich (eine der besten Sängerleistungen des Abends: Georg
Zeppenfeld) sie auseinander. Und immerzu stehen sie sich selbst im Weg.
Unhinterfragbare Hingabe ist nicht möglich. Die Liebe scheitert. Das ist
auch bei Neuenfels der deprimierende Laborbefund. Und damit auch wirklich
klar wird, dass in dieser Welt nichts Gutes mehr zu erwarten ist, zeigt uns
die Regie zu den letzten Takten den wiederauftauchenden Jungherzog Gottfried
als blutigen Monster-Embryo in einem Schwanenei. Auf Gralsbeglückung können
die Rattenmenschen nicht mehr hoffen.
Gilt das inzwischen nicht auch für die Bayreuther Festspiele insgesamt?In
der letzten Neuproduktion hatte der Regisseur Stefan Herheim dem
Erlösungsglauben im Parsifal das Licht ausgeknipst. Nun zernagen die Ratten
das hehre Lohengrin -Wunder. Klar, dass das Premierenpublikum das nicht ohne
einen Buhsturm für den Regisseur hinnahm.
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