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Der Tagesspiegel, 26. Juli 2010 |
Ulrich Amling |
Wagner: Lohengrin, Bayreuth, 25. Juli 2010
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Wer nagt, gewinnt
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Mit „Lohengrin“ eröffnen die Bayreuther Festspiele – Hans Neuenfels sucht
im Weihespiel das menschliche Maß |
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Die Sache mit den Ratten hat die Runde gemacht wie einst die Pest.
Bayreuth-Debütant Hans Neuenfels verwandelt den Chor in die allgegenwärtigen
Nagetiere, sickerte es durch, ihre roten Augen zucken gespenstisch durch das
Festspielhaus. Natürlich schwante der WagnerGemeinde Unheil, da konnte der
Regisseur noch so sehr in Interviews seine Hingabe an den Ernst des
„Lohengrin“-Unterfangens betonen. Aber die Erwartung einer Katastrophe kann
auch heiter und gelassen stimmen. Im Pressebüro werden mit süffisantem
Lächeln süße Schaumratten an die internationale Kritikerschar verteilt, und
die Unentwegten, die den ganzen Tag ihr „Suche Karte“-Schild über den Grünen
Hügel tragen, haben den obligatorischen Schwan darauf flugs durch eine Ratte
ersetzt. Schließlich hat man auch Christoph Schlingensiefs verrottende Hasen
irgendwie überlebt. Überhaupt hört man viel Anerkennendes über den
„Hasifal“-Regisseur am Rande dieser Premiere, so viel, dass man sich noch
mehr um seine Gesundheit sorgt.
Auch Hans Neuenfels ringt diesen „Lohengrin“ einer existenziellen
Erschöpfung ab. Wird der 69-Jährige die zuletzt doch eher lose verbundenen
Elemente des Neuenfels-Theaters noch einmal neu sichten können,
aussortieren, was nur noch Zutat ohne Wirkung ist? Und ob das unbedingt in
Bayreuth gelingen kann, mit seinem strengen konzeptionellen Vorlauf und dem
harten kurzen Proben-Finish auf der unwägbaren Festspielhaus-Bühne mit ihrem
unsichtbaren Orchester? Neuenfels jedenfalls hat während der Arbeit wieder
Lust bekommen, Kraft auch – und den Wagner-Halbschwestern Katharina und Eva
Gespräche über Neu-Bayreuth angeboten. Dieses Theatertier will es noch
einmal wissen, nicht aus besonderem Interesse an Fragen von Macht oder
Ideologie. Neuenfels geht es um die Liebe und ihre Utopie. Nichts kann
verstörender sein.
Es ist unerwartet hell im Festspielhaus, nie hat hier ein Bühnenbild so viel
Licht ins Publikum geworfen an diesem Ort des mythischen Halbdunkels.
Reinhard von der Thannen hat einen klinischen Reinluftraum geschaffen, ein
Labor der ästhetischen Spitzenklasse, eine weiße Architektur des Gliederns,
Sortierens, Beobachtens. Das hier durchgeführte Experiment ist zu sensibel
für den Feldversuch, sein Ausgang zu ungewiss. Unerkannte Figuren in
hellgrünen Schutzanzügen ordnen den Ablauf. Sie holen das Nötigste herbei,
eine kranke Eiche im Töpfchen für den getriebenen König Heinrich, und vor
allem – sie räumen ab: Figuren, die sich verlieren in ihren Rolle,
ausgebüchste Ratten. Ein denkbar unromantischer Raum, komplett ahistorisch,
ohne jeden Weichzeichner.
Wer soll in diese weiße Hölle eindringen wollen? Lohengrin stemmt sich gegen
die verschlossenen Labortüren, ein Schwan kann ihm dabei nicht helfen,
Muskelkraft und Beharrlichkeit dagegen schon. Ein neuer Faktor dringt ein in
das Experiment von Menschen und Ratten, und mit ihm die Utopie, dass etwas
anders sein könnte, ja, das große Spiel des Lebens doch noch gewonnen werden
könnte. Auch wenn seine Versuchstiere natürlich Nummern auf dem Rücken
tragen: Neuenfels folgt bei seiner Regie nicht – wie vielleicht erwartet –
den Spuren des Wagner-Missbrauchs. Die Tatsache, dass Hitler „Lohengrin“
liebte, macht ihn höchstens noch entschlossener, Wagner als radikalen
Aufklärer zu inszenieren. Einen, der alles zerlegt und gegen alles bloß
Weihevolle anrennt. Für Neuenfels ist Wagner nicht Affirmation, sondern
Analyse, selbst wenn 100 Mann aus voller Kehle „Heil!“ singen.
Der Kraft der Lohengrin-Chöre vertraut der Regisseur unbedingt, sie sind
musikalische Bühnenarchitektur, halten die Zeit an und tragen dazu den Keim
in sich, aus dem Rattendasein auszubrechen und das Menschsein zu erringen –
was immer das in seiner Konsequenz bedeuten mag. 700 Kostüme hat Reinhard
von der Thannen für diese Metamorphose schneidern lassen, schwarze und weiße
Ratten mit langen Schwänzen, rosafarbenen Nachwuchs, darunter eine Schicht
Fräcke und Kleider zu Nagergliedmaßen, durch die dann und wann ein Zittern
der Erregung fährt. Neuenfels und sein Dirigent Andris Nelsons haben das
Glück, mit Eberhard Friedrich den langjährigen Chordirektor der Bayreuther
Festspiele unerschütterlich an ihrer Seite zu wissen. Ohne ihn wäre dieser
szenische Großeinsatz undenkbar, der musikalisch schlicht nicht zu
überbieten ist.
Nelsons, den 31-jährigen Letten, sieht man kurz im Widerschein von Elsas
gläsernem Schwanenterrarium auftauchen. Mit nimmermüder Begeisterung sucht
er einen feinen, endlosen Faden zu spinnen. Die koordinatorische
Wahnsinnstat, bereits beim Hügel-Debüt, nach gerade mal vier Proben im
gedeckelten Orchestergraben, eine klare Klangvorstellung durchzusetzen, hat
ihm schon vor der Premiere große Achtung eingebracht. Das Festspielorchester
spielt traumhaft diesseitig, wach statt narkotisiert, ohne jeden Schwulst.
Eine Auffassung, der sich Regie und Dirigent gleichermaßen verschrieben
haben.
Und die doch einer bricht, der Star. Jonas Kaufmann vermittelt bei seinem
Bayreuth-Debüt eine große Abwesenheit. Drückt sein Spiel in jedem Augenblick
modische Distanz zum Geschehen aus, bleibt seine Stimme eine einzige
Projektionsfläche. Wo kommt sie her, wer singt da überhaupt? Wie aus einem
Bauchredner dringt sein Schwanen-Dank, ein auf Effekt gedimmter breit im
Rachen sitzender Klang, körperlos, unbelebt und unverbunden mit seinem
ebenso kalkulierten Ausfahren heldischer Vokalkraft. Kaufmanns Organ gleicht
Edelmetallen, die je perfekter, desto weniger mit ihrer Umgebung reagieren
wollen. Dieser Lohengrin ist aus Eitelkeit musikalisch unberührbar und droht
Neuenfels’ Regie zu entwaffnen.
Die fährt natürlich groß auf mit ihrer aufwendigen Laboreinrichtung,
schockiert vermeintliche Wagner-Puristen mit einem gerupften Schwan und
wuselndem Nagerchor. Doch im Kern ist seine Sicht verletzlich, sucht überall
menschliches Maß im Maßlosen, nach einer neuen Chance für unsere bedrohlich
eingelullte, auf ihrer höchsten Machtentfaltung ohnmächtige,
liebesvergessene Gattung. Diesen zuckenden Wagner-Nerv haben Neuenfels und
von der Thannen sorgfältig präpariert, bei vollem Licht und ungebremster,
bildmächtiger Trauer. Und sie haben Darsteller dafür gewinnen können, ihnen
ganz zu vertrauen. Wie Annette Dasch, deren Elsa so tief in Schmerz und
zarte Hoffnung eintaucht, dass man um sie wirklich fürchtet, viel mehr als
um die kleinen vokalen Überforderungen, die diese Partie (noch) für sie
bereithält. Ihre von Wut und Rache zernagte Kontrahentin Ortrud singt Evelyn
Herlitzius mit schonungsloser Verve und packendem Furor, eine Unrettbare,
ein verglühender, dunkler Stern. Georg Zappenfelds König Heinrich wirkt, als
hätte er solch Unheil tausendfach ansehen, ja mitverantworten müssen. Eine
Studie aufgelösten Herrschertums wie von Shakespeare, erbarmungswürdig
gesungen. Hans-Joachim Ketelsen, der als Telramund erst kurz vor der
Premiere gegen Lucio Gallo eingewechselt wurde, bewegt sich darstellerisch
wie stimmlich vornehmlich am Spielfeldrand.
Zuletzt steht Annette Daschs Elsa da wie Hanna Schygulla in „Die Ehe der
Maria Braun“, ganz in Schwarz, Strumpf mit Naht, und wagt eine letzte
erotische Kontaktaufnahme. Doch Lohengrin hat schon seinen Designermantel
angezogen, verschwindet und verweist zuvor noch auf den kommenden Helden in
dieser Versuchsanordnung. Aus einem gewaltigen Ei erhebt sich der vermisste
Gottfried: ein erstaunlich proportionierter Fötus, der selbstbewusst seine
Nabelschnur durchreißt. Das Spiel wird nach unserem Abgang wohl weitergehen.
Doch wir sollten nicht vergessen, es zu wagen. Neuenfels’ „Lohengrin“ ist
eine große Liebestat. Es möge nicht seine letzte sein, bitte!
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