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neue musikzeitung, 26. Juli 2010 |
Peter P. Pachl |
Wagner: Lohengrin, Bayreuth, 25. Juli 2010
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Lohengrin, ein Rattenmärchen: Hans Neuenfels’ Inszenierung
eröffnete die Bayreuther Festspiele
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Viel Aufregung anlässlich der jüngsten, noch vom verstorbenen
Festspielleiter Wolfgang Wagner intendierten Neuinszenierung des „Lohengrin“
durch den 69-jährigen Regie-Provokateur Hans Neuenfels, der 1974 mit seinem
„Troubadour“ in Nürnberg die Welle des eigenwilligen Regietheaters für das
Genre Oper ausgelöst hatte.
In Wagners 1850 in Weimar uraufgeführter Romantischer Oper trifft der
Zuschauer am Anfang auf eine führerlose Gesellschaft. 160 Jahre später in
Bayreuth ist es nicht anders, nun gibt es aber sehr viel zu sehen und –
ungewöhnlich für „Lohengrin“ – auch zu lachen.
Die Gesellschaft nämlich besteht aus Versuchstieren, männlichen schwarzen
und weiblichen weißen Ratten, später noch ergänzt um possierliche
rosafarbene Kinderratten. Eine der Ratten versucht ein Attentat auf den
ohnehin arg verunsicherten und zur Fallsucht neigenden König, wird aber von
grün gewandeten Laborkräften entwaffnet und abgeführt, die sich ein andermal
nicht scheuen, auch den König unsanft von der Szene zu führen.
Ob solcher Zustände stehen dem Heerrufer des Königs permanent die Haare zu
Berge, und im dritten Aufzug ist er dann verschwunden. Im
klavierlackschwarzen Nachen, der an einen Kindersarg gemahnt, wird der
Schwan hereingetragen, und der rückverwandelte Gottfried entsteigt am Ende
einem großen Ei, als unförmiger, gewaltträchtiger Embryo, der seine
Nabelschnur in Stücke reißt.
Den Prozess der Wahrheitsfindung, zu dem König Heinrich antritt,
verdeutlicht der Regisseur in Brechtscher Manier mit drei Animationsvideos
auf einer hierfür in den cleanen Designerraum herabgelassenen Leinwand. In
das Einheitsgeviert mit Bullaugen rollen auf Schienen weitere Raumelemente,
eine dritte Wand, eine silberne Treppe oder das Brautgemach. Die Optik des
Gesamtausstatters Reinhard von der Tannen ist prunkvoll und auch
farbenprächtig, etwa wenn sich die nummerierten Ratten partiell ihre
Tierkostüme an den Nagel hängen und in gelben Fräcken jubeln, ohne dabei
ihre übergroßen Füße und Hände zu verlieren. Und auch die vielfarbig
gewandeten Damen ziehen beim Zug zum Münster ihre durch die langen Röcke
quillenden Schwänze hinter sich her. Zur Freude des Königs legen Mannen und
Frauen im Schlussbild ihre Rattenaccessoires ab, aber eine kollektive
Uniformität ersetzt die andere, nunmehr sind Männlein und Weiblein allesamt
schwarz gewandet, mit einem „L“ auf der Brust und einem Schwan auf dem
Rücken.
Schon im Vorspiel hatte Lohengrin den eigenwilligen Vorstoß in jene
Versuchsanordnung gewagt, in welcher er eine ihn fraglos und unbedingt, das
heißt ohne Bedingung, liebende Partnerin zu finden hoffte. Elsa, ein von
Ratten ihrerseits als Versuchsobjekt gepeinigtes, mit Pfeilen bespicktes
Wesen, erweist sich jedoch ihrem Befreier gegenüber als wenig
partnerschaftsfähig, und seine verzweifelten Versuche, sie zur körperlichen
Liebe zu bewegen, scheitern kläglich. Da ist die rothaarige Ortrud ein
anderes Kaliber, deren Sexus nicht nur ihren Gatten nach der gescheiterten
Flucht in der Kutsche wieder vor Leidenschaft bersten lässt, sondern die
auch Elsa raffiniert zu verführen und zu küssen versteht. Die starken
Zweierszenen des ursprünglichen Schauspielregisseurs überzeugen handwerklich
und erweisen sich als das Spannendste, was in dieser Hinsicht seit Chéreau
auf dem Festspielhügel zu erleben war.
Sein Bayreuth-Debüt gab der lettische Dirigent Andris Nelsons: Rutschpartien
im ersten. dann souveräne Klangentfaltung im zweiten Aufzug, und ein
verblüffendes Brautgemach, sehr breit und vorherrschend in Piani, die unter
die Haut gehen. Dass auch in dieser Bayreuther Produktion wieder der große
Strich im Schlussakt erfolgt, um Lohengrins Prophezeiung des auch „in
fernsten Tagen“ unbesiegten Deutschland political correct zu eliminieren,
erscheint gerade in dieser Inszenierung fragwürdig; gleichwohl hat der
Regisseur eine Passage aus der selten gehörten Szene geöffnet, um Elsas Reue
als einen zu späten Versuch körperlicher Hingabe an Lohengrin zu deuten.
Annette Dasch singt die Elsa leider nicht sehr textverständlich und mit
Intonationsproblemen, wofür sie auch einige Buhrufe einstecken musste.
Schlimmer trafen die Missfallensbezeugungen die hinreißend agierende Evelyn
Herlitzius, die stimmlich hoffentlich nur in einer (allerdings heftigen)
Krise steckt. Beide Damen werden ihre Partien im nächsten Jahr nicht mehr
verkörpern, aber auch der gefeierte Lohengrin-Darsteller Jonas Kaufmann ist
nur in diesem Sommer zu erleben; Kaufmanns schlankes Heldenidol gewinnt
mit dramatischer Stimmfärbung und gestemmten Piani.
Am Ende der Oper bleibt er – über das Verklingen der Musik hinaus – als
offenbar einzig Überlebender an jener Stätte der Experimente. Auch der als
Ratte endende Telramund Hans-Joachim Ketelsen hat seine stärksten Momente in
der Pianogebung. Souverän und kraftvoll der Heerrufer Samuel Youn. Die
ungewöhnlichste Leistung in Stimme und Darstellung vollbringt allerdings
Georg Zeppenfeld als König Heinrich, im roten Sessel neben der Gerichtseiche
im Blumentopf, zitternd und leidend vor politischer Ungewissheit.
Der von Eberhard Friedrich einstudierte Festspielchor erwarb sich im
Rattenkostüm viele Sympathien und sang auch unter den großen Köpfen
textverständlich und klangintensiv.
Erstmals ergriff die Bundeskanzlerin beim anschließenden Staatsempfang der
Bayerischen Landesregierung selbst das Wort und brach eine Lanze für die
ungewöhnliche Sichtweise des Regisseurs, so wie zuvor, beim heftig
umkämpften Schlussapplaus, die beiden Festspielleiterinnen Eva
Wagner-Pasquier und Katharina Wagner mit auf die Bühne gekommen waren,
obgleich Hans Neuenfels eines solchen Schutzes wahrlich nicht bedarf.
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