|
|
|
|
|
Thüringer Allgemeine, 27. Juli 2010 |
Joachim Lange |
Wagner: Lohengrin, Bayreuth, 25. Juli 2010
|
Rattenplage in Bayreuth: Der "Lohengrin" von Hans
Neuenfels
|
Nun haben wir ihn endlich, den "Lohengrin" von Hans Neuenfels. Dass Jonas
Kaufmann die Gralserzählung mit einer atemberaubenden tiefen Traurigkeit,
mit Mut zum Piano und mit Strahlkraft als rein musikalisches Minidrama
singt, ist dabei treffender, als es vom Regisseur gemeint gewesen sein
dürfte. |
|
Denn es bleiben für einen so durchreflektierenden Nachdenker und gewieften
szenischen Praktiker wie Neuenfels (69) in dieser Inszenierung, neben
starken Bildern und irritierenden Ideen, auch verblüffend viele Fragen
offen. Am Anfang will der in banalem Hemd-und-Hose-Zivil von heute
gekleidete Lohengrin in einem gleißend hellen Raum mit aller Gewalt eine Tür
öffnen. Offensichtlich versucht da jemand, aus erdrückender Einsamkeit zu
entfliehen. Durch diesen Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-Versuch schiebt er
jedoch die ganze Wand nach hinten und schafft so den Laborraum für eine groß
angelegte Versuchsreihe. Wobei auch am Ende nicht so ganz klar ist, wer
eigentlich die Laborratten sind, die hier beobachtet werden und wem die
Helfer mit den grünen Ganzkörperschutzanzügen gehorchen. Sie öffnen die
Käfige, verscheuchen die Ratten oder entfernen auch gleich mal die Menschen
wie den ziemlich desolat umhertaumelnden - aber von Georg Zeppenfeld
grandios gesungenen - König Heinrich unsanft von der Szene. So was machen
hier nämlich manchmal auch die Ratten, die ja ohnehin genauso groß sind wie
die Menschen. Und obendrein in der erdrückenden Überzahl. Nach mehreren
Häutungen, bei denen die Choristen meist ihren helmartigen Rattenkopf, auf
jeden Fall aber die tierischen Hände und Füße auch zu sommergelben Anzügen
oder Fräcken beibehalten, erweist sich erst im dritten Aufzug, was des
Pudels, pardon: was der Ratte Kern vermutlich ist: Es ist der Soldat! Mit
Schwanenlogo hinten auf der schwarzen Uniformjacke und einem L am
Koppelschloss. In dieser nachtschwarzen Pointe kommt das konsequent
ausgeblendete Historische, das in der Schwanenritteroper ja auch steckt,
durch die psychologisierende Hintertür doch einmal kurz zum Vorschein. Wie
übrigens in einem hübschen Nebeneffekt auch der Dirigent im verdeckten
Orchestergraben. Wenn sich Ortrud im zweiten Aufzug nächtens an Elsa
heranmacht, geschieht dies in einem geräuschlos an die Rampe fahrenden Raum
mit nichts als einer Schwanenskulptur darin und mit Plexiglaswänden. In
deren Spiegelung kann man dem 31-jährigen Letten Andris Nelsons im T-Shirt
bei seinem lustvoll ausgreifenden Verfertigen der Musik beobachten. Und das
gelingt ihm mit transparentem Flirren und sinnlichem Auftrumpfen und mit
einer obendrein mustergültigen Sängerfreundlichkeit. Da, wo sich die Szene
auf das konzentriert, was zwischen den Protagonisten passiert, überzeugt sie
uneingeschränkt. Ob das nun die Annäherung zwischen Elsa und Lohengrin ist,
die von der ersten schüchternen Berührung bis hin zum Brautgemach und dem
Zusammenbruch nach der Gralserzählung von verzweifelter Zärtlichkeit oder
zärtlicher Verzweiflung bestimmt wird. Auch wenn Annette Dasch bei ihrem
Rollendebüt (noch) nicht über die lyrische Fülle einer idealen Elsa verfügt,
gestaltet sie das mit zunehmender Überzeugungskraft. Für ihren offenen
Schlagabtausch mit Ortrud, die Evelin Herlitzius mit gefährlichem Überdruck
auflodern lässt, gönnt Ausstatter Reinhard von der Thannen ihr obendrein ein
üppiges weißes Brautkleid, Marke Schwanenfeder, während Ortrud mit dem
gleichen Modell in Schwarz auftaucht und Ärger macht. Ganz am Ende hat
Telramund (Hans Joachim Ketelsen, der sich auf eloquente Routine
zurückzieht) sein Leben zwar als Ratte verloren, doch auch alle anderen
sinken in Menschengestalt tot zu Boden. Während Lohengrin gänzlich abwesend
Richtung Rampe schreitet, reißt ein Gottfried als degeneriertes Großbaby
selbst seine Nabelschnur durch. Wenn das ein Neuanfang für die Menschheit
sein sollte, dann: Gute Nacht Brabant. Wie zu erwarten, war der Buhsturm für
Neuenfels gewaltig. Viele Zuschauer quittierten seine experimentellen
Infragestellungen vieler Lohengrin-Gewissheiten aber auch mit Beifall. Beim
Jubel für die Protagonisten gab es sachkundige Differenzierung. |
|
|
|
|
|