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Saarbrücker Zeitung, 27. Juli 2010 |
Oliver Schwambach |
Wagner: Lohengrin, Bayreuth, 25. Juli 2010
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Lohengrin in Käfighaltung
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Für Tenor Jonas Kaufmann war es der erwartete Triumph als Lohengrin bei
den jetzt eröffneten Bayreuther Festspielen. Hans Neuenfels' provokante
Regie der Schwanenoper aber wurde in Grund und Boden gebuht. Zu Unrecht. |
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Mein lieber Schwan, du armes Vieh! Gerupft, wie ein
Zweieurofünfzig-Brathähnchen baumelt er in Richards heiligem Bühnenhaus,
nackt gemacht wie die gesamte Heldenzaubersagenoper des Bayreuther Meisters.
So kommt es eben, wenn man einem wie Hans Neuenfels den "Lohengrin" andient.
Ja, manches ist anders, neu, nach dem Tod des Patriarchen Wolfgang Wagner im
Frühjahr. Jetzt haben die "Erbtanten", wie Neuenfels die Halbschwestern Eva
Wagner-Pasquier und Katharina Wagner getauft hat, vollends das Sagen.
Poppige Cola- und Sprudelverkaufsbuden stehen auf dem Hügel; per Daumenkino
blättert man sich durchs Programmbuch; ein neuer Förderkreis namens "Taff"
(Team der aktiven Festspielförderer) bietet mit Katharina dem Bund der
Altgeldgeber die Stirn. Aber aufs Publikum ist noch Verlass. Das
promigesättigte Eröffnungsauditorium buhte den späten Hügeldebütanten
Neuenfels fast von der Bühne. Der hob vorm Vorhang bloß noch die Arme.
Entschuldigend?
Dazu besteht kein Grund. Denn Neuenfels' Regie hat Geist und Witz, bringt
Erkenntnis wie Komik, verstört und erheitert. Auch wenn manches gar zu
schlicht gerät - wie der mächtige Chorgesang in der Erlöserszene Richtung
Mittelloge: "Sei gegrüßt, du gottgesandter Mann!". Ein Gag, im Wissen, dass
zur Premiere dort Allzweckminister Karl-Theodor zu Guttenberg sitzen würde?
Oder plakatives Mitmachtheater bei halbem Saallicht? Motto: Für die Erlösung
muss das Publikum schon selbst sorgen. Beides hätte Kleinstadtbühnenniveau.
Doch Neuenfels kann auch anders.
Die viel gepriesene "Werkstatt Bayreuth" macht der 65-Jährige mit seinem
kongenialen Bühnenbildner Reinhard von der Thannen jedenfalls zum Labor,
eine hübsche Volte. Brabants Edle setzt er als Ratten in einen großen Käfig.
Nager mit glühendroten Augen und Wabbelgummipfötchen. Eher possierlich als
gruselig. Lacher sind garantiert, etwa wenn das Rattenvolk sich wie dutzende
Brautpaare zum "treulich geführt" aufstellt. Ein tierischer Spaß in einer
Oper, in der, das nur mal am Rande, Textundtongesamtkünstler Richard Wagner
einem Schwan eine Hauptrolle zuschrieb. Aber nein, Neuenfels macht nicht
bloß Gaudi, er sieht das alles als großes Experiment: Wie lassen Massen sich
manipulieren?
Als Graf Telramund (Hans Joachim Ketelsens weicher Bariton ist für diesen
Telramund erste Wahl), angestachelt von seiner intriganten Gattin Ortrud,
Elsa verleumdet, lassen sich die Brabanter schnell aufwiegeln. Kaum aber
erscheint ein selbst ernannter Heilsbringer - "Lohengrin", der nicht mal
seine Herkunft preisgeben will - schwenken sie um. Bereit offenbar, auf
alles reinzufallen, was man ihnen bietet. Wie die Laborratte, der man mit
entsprechenden Nervenreizen Lust oder Schmerz vorgaukeln kann, ohne dass
sie's tatsächlich erfährt. Man denkt da auch an Benns vieldeutiges Wort von
der Krone der Schöpfung, dem Mensch, das Schwein. Wie viel Schlechtes, was
Mensch der Ratte nachsagt, steckt selbst in ihm? Die Nazis verteufelten
einst Juden als Ratten. Totalitäre Systeme bringen das Viehische im Menschen
zum Ausbruch. Auch das steckt in dieser Regie, die trotz aller Nagerkomik
auch zutiefst pessimistisch scheint. Denn die Ratte bleibt, was sie ist,
auch wenn sie im Laufe des Abends das Kostüm abstreift, sich im Anzug zu
zivilisieren sucht - die Rattenpfötchen verraten sie.
Zu Neuenfels' Glück zählt, dass er auf ein Ensemble und einen grandiosen
Chor trifft, die seine Ideen spielwillig aufnehmen. Das beginnt beim edlen
Bass Georg Zeppenfeld, der einen angeknockten König Heinrich gibt; der
selbst nur Figur im Experiment ist. Und setzt sich bei Samuel Youn fort, der
ein großartiger Heerrufer ist. Der koreanische Bassbariton gebietet über
Kraft und Volumen, eine große Stimme. Auch Jonas Kaufmann tritt wie
maßgeschneidert für diese Produktion auf. Der dunkel gelockte Beau bewegt
sich fern jedes Lohengrin-Klischees. Er braucht keine strahlende Rüstung, er
erledigt, was zu tun ist, im Anzug, leger mit offenem Schlips. Eher ein
Manager mit unbegrenzter (Geld-)Macht als hehrer Recke und dabei auch
unangenehm irdisch, wenn er Elsa im Brautzimmer bedrängt.
Und stimmlich? Die Vorschusslorbeeren für Kaufmann, der seine
Sänger-Karriere in Saarbrücken begann (wer ahnte das, als er ihn etwa im
Musical "Cyrano" hörte!), gab's völlig zu Recht. Er versteht es zu
nuancieren, aber punktet auch mit Strahlkraft. Ein Heldentenor neuen
Formats, der auch Unheiliges zum Klingen bringt. In Annette Dasch hat er
eine ebenbürtige Partnerin. Sie zeigt Elsa als Getriebene. Zartheit,
Verlorenheit, Menschsein legt sie in ihren Sopran. Ein differenziertes,
höchst emotionales Stimmbild Elsas entsteht. Das missglückt Evelyn
Herlitzius als Ortrud, ihr entgleitet diese Partie. So großartig diese
Stimme klingt, so sehr bleibt sie doch ohne Differenzierung im Ausdruck.
Daran mangelt es nun im Festspielorchester nicht, auch nicht an innerer
Spannung. Der junge Dirigent Andris Nelsons verzichtet bei seinem
Bayreuth-Debüt aber auf Eigenwilligkeiten, der Klang wirkt eher kompakt als
ätherisch. |
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