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Kreiszeitung, 27. Juli 2010 |
Werner Fritsch |
Wagner: Lohengrin, Bayreuth, 25. Juli 2010
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Telramund endet als Ratte Nr. 82
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Menschliche Liebesmöglichkeiten: Hans Neuenfels
entsorgt in Bayreuth Wagners Deutschtümelei -
„Theater ist Unterhaltung“, sagt der Regie-Altmeister Hans Neuenfels (69) –
und er macht in Bayreuth Ernst damit. Sein „Lohengrin“, der bei der
Festspieleröffnung deutlich mehr Jubel als Buhs erntete, ist eine
gigantische Versuchsanordnung. Und auch ein Riesenspaß. |
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Unter Beobachtung in dem klinisch weißen, hell ausgeleuchteten Großlabor
steht der Mensch – als Ratte. Mal schwarz, mal weiß, mal kindlich rosa. Mit
langen Pfötchen, transparenten Masken, unter denen die Gesichter erkennbar
bleiben, und mit langen Rattenschwänzen. Sie tragen Nummern auf dem Rücken,
sind also Masse, und werden von grün gewandeten Laboranten in Schach
gehalten.
Eindringliche Bilder entstehen: Wenn die Ratten aus ihren Kostümen
schlüpfen, die dann, an Haken gehängt, hochgezogen werden und einen Himmel
aus Rattenschwänzen bilden. Oder wenn die als bunte Blumen verkleideten
Rattenmädchen sich von den Rattenmännern die Schwänze streicheln lassen.
Klar ist: Es geht hier nicht um Transzendenz, sondern um Biologie. Ab und zu
fährt eine Leinwand herunter und verkündet „Wahrheiten“. In Trickfilmszenen,
die zeigen, wie Ratten um eine Krone (die Macht) kämpfen, wie sie blind in
eine Richtung rennen (in den Krieg) und dabei umkommen. Ästhetisch erinnert
das an Art Spiegelmans KZ-Comic „Maus“.
Neuenfels und sein kongenialer Bühnen- und Kostümbildner Reinhard von der
Thannen entsorgen in ihrem Rattenlabor dagegen auf elegante Weise Richard
Wagners deutschtümelnde und kriegslüsterne Rahmenhandlung. Und wenden sich
den Menschen und ihren Liebesmöglichkeiten zu.
Die sind begrenzt, wie sich an den Individuen zeigt, die in menschlicher
Gestalt aus der Masse der Ratten heraustreten. Jonas Kaufmann, der sich
anfangs mit natürlicher Lässigkeit quasi selbst spielt, ist als Lohengrin
die personifizierte Zumutung: „Nie sollst du mich befragen.“ Neuenfels
deutet sie als Chance, sich von Konventionen zu befreien – und lässt alle an
diesem Anspruch scheitern.
Der angstneurotische König Heinrich (Georg Zeppenfeld) – eine Null.
Telramund (Hans-Joachim Ketelsen) – ein fremdgesteuerter Ehrgeizling, der
als Ratte Nr. 82 endet. Elsa, „die Reine“ (Annette Dasch), tritt anfangs als
pfeildurchbohrte Schmerzensfrau auf. Als Zerrissene zeigt Neuenfels sie in
den großen Dialogszenen. Ortruds (Evelyn Helitzius) schwarzer Hass wird zum
dunklen Spiegelbild ihrer Liebe. Ein Kuss deutet die gegenseitige Anziehung
an. Quälend, wie Elsa und Lohengrin dann rund ums weiße Ehebett um ihre
Liebe ringen. Doch Lohengrins Absolutheitsanspruch ist Elsa nicht gewachsen.
Da fährt aus dem Bett das sargähnliche Boot, das Lohengrins Ankunft
begleitete – doch vom Schwan sind nur die Federn übrig. Er ist nicht mehr
als eine Projektionsfläche: Mal stolzer Vogel, mal gerupftes Tier,
Wohnungsschmuck oder Wappentier. Am Ende entsteigt seinem Riesenei ein Fötus
und zerreißt seine Nabelschnur. Eine nächste Generation kommt – das
Experiment geht weiter.
Mit Neuenfels‘ „Lohengrin“-Inszenierung ist ein neuer Bayreuth-Star
geboren: Jonas Kaufmann. Sein Debüt auf dem Grünen Hügel in der Hauptrolle
wurde zum Triumph. In zartestem Piano setzt die Partie ein: „Nun sei
bedankt, mein lieber Schwan!“ So locker und sicher, wie Kaufmann diese
ersten Töne setzte, so souverän bewältigte er die ganze Partie. Nicht als
Kraftprotz, sondern mit elegantem, fast italienisch anmutendem
Wagner-Gesang. Ein strahlend heller Tenor, offen bis in höchste Lagen – und
eine charismatische Bühnenerscheinung. Nicht ganz so frei, doch mit
berührender Intensität und reichem Timbre sang Annette Dasch die Elsa. Ihr
Gegenbild, Ortrud, verkörperte Evelyn Herlitzius mit einer expressiven
Stimmgewalt, die auch mal die Grenzen des Wohlklangs sprengte – und neben
Beifall auch Buhs provozierte.
Georg Zeppenfelds Bassgewalt ließ König Heinrich stimmlich alles andere als
labil erscheinen. In Samuel Youn hatte er einen kraftvollen Heerrufer. Als
Schwachpunkt erwies sich Hans-Joachim Ketelsens stimmlich etwas unstabile
Telramund.
Der 31-jährige lettische Dirigent Andris Nelsons war vorab schon als neuer
Star gepriesen worden. Doch wirkte manches an diesem Abend noch
unausgegoren. Auf den sehr langsamen Beginn, dessen sphärische Klänge fein
erstrahlten, folgten teils sehr rasche Tempi – so auch beim ziemlich
geschwinden Brautchor „Treulich geführt“. So verständlich Nelsons’ Drang zur
Pathos-Vermeidung ist, sie führte gelegentlich zu Ruppigkeiten, an denen
auch der Festspielchor beteiligt war. |
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