|
|
|
|
|
Nürnberger Zeitung, 26. Juli 2010 |
Thomas Heinold |
Wagner: Lohengrin, Bayreuth, 25. Juli 2010
|
Lohengrin in Bayreuth: Die Ratten erobern den Grünen Hügel
|
Hans Neuenfels inszenierte für die Eröffnung der
Bayreuther Festspiele |
|
Fast am Ende dieses neuen Bayreuther »Lohengrin», wenn der Titelheld
Abschied nehmen muss von seiner gescheiterten Mission unter den Menschen und
mit der Gralserzählung das Rätsel seiner Herkunft enthüllt, prangt in Hans
Neuenfels' Inszenierung ein riesiges Fragezeichen am Bühnenhintergrund. Es
wird, sobald der Schwanenritter seinen Namen nennt, abgelöst durch ein
ebenso großes Ausrufezeichen.
Dieser nahtlose Übergang von Frage und Antwort ist, angesichts der soeben zu
Ende gehenden drei Akte des »Lohengrin», ebenso eine kühne Behauptung wie
ein Armutszeugnis.
Gut, der 69-jährige Altmeister des Regietheaters, der mit dieser
Neuinszenierung – seiner ersten am Grünen Hügel – am Sonntag die 99.
Bayreuther Festspiele eröffnete, hat mit den gleichen Problemen des
»Lohengrin» zu kämpfen wie andere Regisseure vor ihm auch. Denn in Wagners
Oper prallt ein märchenhafter Schwanenritter auf die sehr irdische, von
einem Nachfolgestreit gespaltene Gesellschaft der Brabanter. Indem er Elsa,
eine der Parteien dieses Streits, verteidigt und ehelicht, wird er zugleich
zum Führer der Brabanter in König Heinrichs Kampf gegen die Ungarn. Das
könnte man ein astreines Wunder nennen, aber es wird zerstört, weil Elsa –
auf Betreiben ihres Widersachers Telramund und dessen Frau Ortrud –
Lohengrins Verbot missacht, ihn niemals zu fragen, wer er ist und woher er
kommt.
Zwei Welten, die nicht zusammenpassen, ein gottgesandtes Wesen, das sich
nach irdischer Liebe sehnt – so etwas hat man früher mal als Märchen mit
Ritterrüstung und Schwanenromantik zeigen können, heute dagegen setzen die
Regisseure auf Distanzierung: Stefan Herheim entlarvte die Oper in Berlin
als von Richard Wagner gesteuerte Illusionsmaschinerie, Peter Konwitschny
ließ in Hamburg zwei Schulklassen aufeinander los, Michael Simon nahm in
Nürnberg in emotionslosem Puppentheater Zuflucht, und Richard Jones machte
jüngst in München daraus ein allzu simples Beziehungsdrama.
Hans Neuenfels, bekannt für seine psychologisch durchtränkten, surrealen
Bildchiffren, packt die Geschichte dagegen in ein Labor, einen
klinisch-weißen, grell ausgeleuchteten Raum, in dem rätselhafte und
beunruhigende Dinge geschehen. Denn die Brabanter und König Heinrichs
Gefolgschaft haben sich allesamt in Ratten verwandelt, der Herrscher selbst
wirkt mit schwarzer Pappkrone auf dem Kopf ziemlich desorientiert, und dem
Heerrufer stehen die Haare zu Berge wie in einem frühen David-Lynch-Film.
Zudem werden all diese Wesen von Pflegern in Ganzkörper-Schutzanzügen
herumbugsiert und gesteuert.
Welches Experiment findet hier statt, und wer leitet es? Befremdlich auch,
dass ein ziemlich normal wirkender, schlicht gekleideter junger Mann schon
im Vorspiel Einlass begehrt in diese hermetische Welt und dass Elsa
Schmerzenspfeile in ihrem Rücken stecken hat wie der Heilige Sebastian.
All das passiert im ersten Akt, und Neuenfels »Lohengrin» fesselt hier
durchaus, nicht zuletzt dank der Ratten: Zu krallenartig verlängerten Füßen
und Händen tragen die Chorsänger Ganzkörperanzüge mit mächtigen
Rattenschwänzen – und fechtmaskenartige Nagetierköpfe mit roten, manchmal
blinkenden Augen (Kostüme und Bühne Reinhard von der Thannen).
Wenn Lohengrin ins Labor einzieht, schwebt hinter ihm ein Schwan in einem
geöffnetem Sarg herein, der Chor hängt die Rattenkostüme an von der Decke
hängende Haken; und weil es interessant aussieht, wenn diese nach oben
gezogen werden, wiederholt Neuenfels später den gleichen Effekt nochmal.
Doch die optischen Reize bleiben ohne tiefere Resonanz. Will Neuenfels uns
sagen, dass die Ratte den Mensch in der Masse symbolisiert? Und dass das
Rattenhafte unserer Natur immer wieder durchbricht und eine
Weiterentwicklung zum Besseren blockiert? Die Inszenierung entwickelt ihre
Einfälle jedenfalls nicht weiter, die Ratten werden lediglich bunter:
rosafarben etwa, oder mit farbigen Kleidchen und Hütchen bei der Hochzeit
von Lohengrin und Elsa, die Telramund und Ortrud – vergeblich - verhindern
wollen.
Beim Streit im Brautgemach, wenn Lohengrin und Elsa aneinander zerren und
ihre unmögliche Liebe retten wollen, hat diese Inszenierung noch eine
intensive Szene. Doch dem Betrachter dämmert allmählich, dass Neuenfels die
alte Geschichte vom Schwanenritter zwar in ein neues (Ratten-)Gewand steckt,
aber eben doch nur bebildert.
Das große Fragezeichen, das sich bald darauf in ein Ausrufezeichen
verwandelt, ist nichts anderes als die kürzestmögliche Inhaltsangabe von
Neuenfels' Botschaft. So stiehlt sich die Regie davon und lässt uns allein
in einer desillusionierten grellen Welt, in der aus einem Ei ein hässlicher
Embryo schlüpft. Soll das die Hoffnung der Zukunft sein? Bitte nicht. Auch
der Sarg, der zuvor aus der Besucherritze des Ehebetts hochgefahren ist,
zeigt, dass Neuenfels nicht mehr an die Botschaft der Liebe oder produktiver
Gemeinschaft glauben kann.
Die tieftraurige, pessimistische Botschaft dieses »Lohengrin» fand
kompetente Ausdeuter. Andris Nelsons, der 31-jährige lettische Dirigent,
gelang bei seinem Bayreuth-Debüt eine gut austarierte, kammermusikalisch
feine und lyrische behutsame Deutung der »Lohengrin»-Musik, bei der selbst
die Trompetenfanfaren jedes Auftrumpfen mieden.
Jonas Kaufmann in der Titelrolle gab, ganz schlicht, einen flehenden,
nach Liebe dürstenden Mann. Sein Tenor imponierte mit der bei ihm gewohnten
Strahlkraft und dunklem Schmelz, doch in den leisen Passagen klang er oft
brüchiger als sonst. Ganz anders Annette Dasch: Sie sang eine Elsa aus
Fleisch und Blut, mit markanten tiefen Linien und viel Leidenschaft in den
Höhen.
Evelyn Herlitzius schleuderte als Ortrud dagegen mit solch einer Schärfe
ihre Spitzentöne heraus, als hätte sie einen Kompressor eingebaut.
Hans-Joachim Ketelsen enttäuschte als Telramund mit zu viel Sprechgesang.
Einen überwiegend positiven Eindruck hinterließen Georg Zeppenfeld als König
Heinrich und Samuel Youn als Heerrufer. Großartiges leisteten die von
Eberhard Friedrich disponierten Chöre.
Dass sie trotz der unhandlichen Kostüme und der von ihnen abverlangten
»rättischen» Bewegungsaktionen so konzentriert und beseelt singen konnten,
ist das eigentliche Wunder dieses »Lohengrin».
Neuenfels empfing am Ende ein Buhgewitter, woraufhin sich die
Festspielleiterinnen Eva Wagner-Pasquier und Katharina Wagner demonstrativ
an seine Seite stellten. Für die übrigen Beteiligten gab es, bis auf
Ausnahmen, reichlich Applaus.
|
|
|
|
|
|