|
|
|
|
|
Neues Deutschland, 27. Juli 2010 |
Roberto Becker |
Wagner: Lohengrin, Bayreuth, 25. Juli 2010
|
Lohengrin und Laborratten
|
Hans Neuenfels inszenierte für die Eröffnung der
Bayreuther Festspiele |
|
Die 99. Bayreuther Richard-Wagner-Festspiele wurden im Familienformat
eröffnet. Ein Kinder-Tannhäuser begeisterte den Nachwuchs auf der
Probenbühne und Hans Neuenfels irritierte mit einem Lohengrin-Experiment im
Festspielhaus ...
Zuerst die zweite Folge der neuen, von Katharina Wagner installierten
Kinderoper-Reihe: Diesmal gibt es »Tannhäuser« als Geschichte eines
blutjungen Nachwuchskomponisten, der aus dem spießigen Internat zur
ausgeflippten Venus flieht, aber sich dann nach seinem Italientrip wieder
mit seinen Freunden verträgt. Jung-Regisseurin Reyna Bruns und Alexander
Busche haben das Ganze auf flotte siebzig jugendfreie Minuten in einer
Version mit »richtigem« Orchester und Sängern eingedampft.
Dann folgte die Premiere der von Hans Neuenfels inszenierten einzigen
Neuproduktion. Mit seinen 69 Jahren ist Neuenfels einer der späten
Bayreuth-Debütanten. Engagiert übrigens wurde der von manchen als
Publikumsschreck gefürchtete, aber auch als genalischer Neudeuter geliebte
Regisseur allerdings noch zu Lebzeiten Wolfgang Wagners.
Wie zur Bekräftigung dieser ganz dem Credo der Werkstatt Bayreuth und der
Aufforderung Richard Wagners – »Kinder! Macht Neues!« – verpflichtete
Personalentscheidung zeigten sich die neuen Festspielchefinnen Katharina und
Eva Arm in Arm mit dem Regisseur, als dem, neben Beifall, auch der erwartete
Buhsturm entgegenbrandete.
Auch ein Debütant, aber mit seinen 31 Jahren noch ausgesprochen jung, ist
der musikalische Leiter der Produktion, das lettische Nachwuchstalent Andris
Nelsons. Für einen Moment kann man dem sogar in einer spiegelnden Wand beim
Dirigieren beobachten. Was er mit hervorragenden, so transparenten und
sinnlichen Folgen macht. Sein Bayreuth-Debüt ist gelungen, selbst wenn da
noch etwas Verzauberungsspielraum bleibt. Dieses ungewollte Überlisten des
berühmten Orchestergrabens, der alle Musiker und ihren Chef ja verdeckt,
passte ebenso zum Grundeinfall der Inszenierung – nämlich aus der Geschichte
vom Schwanenritter, der nur inkognito helfen darf, einen großangelegten
Laborversuch zu machen – wie das unheimliche Klopfen, mit dem ein
verspäteter Zuschauer am Beginn des zweiten Aktes (vergeblich) Einlass
begehrte.
So wie jener unbekannte hartnäckige Zuschauer hineinzukommen versuchte, so
vergeblich hatte Lohengrin noch beim Vorspiel auf der Bühne versucht, aus
einem hermetischen Raum auszubrechen. Den Verdacht, dass der Gral nicht
ganz so mit Glanz und Wonne durchflutet ist, wie es in der entsprechenden
Erzählung am Ende heißt, hatte man ja schon immer. Und Jonas Kaufmann
bestätigt diesen Verdacht. Sowohl in der ergreifenden, von Traurigkeit und
Verzweiflung gebrochenen, gleichwohl strahlenden Art, davon zu singen, als
auch in seinem Spiel.
Doch die szenischen Antworten, die Neuenfels und sein Ausstatter Reinhard
von der Thannen liefern, sind ihrerseits diesmal vor allem – Fragen.
Ziemlich nachvollziehbar ist das gescheiterte Experiment einer Liebe
zwischen Elsa und Lohengrin. Weil natürlich ein so radikales Frageverbot
seine Übertretung und damit das Aus für die Beziehung geradezu provoziert.
Da ist auch Anette Dasch eine zwar stimmlich nicht restlos beglückende, aber
schön traumselig spielende Elsa. Spannung kommt auch immer dann auf, wenn
Evelyn Herlitzius als stimmliche Überdruck-Ortrud ins Intrigenspiel kommt
und ihren Mann Friedrich (eher routiniert Hans-Joachim Ketelsen) oder dann
auch Elsa einwickelt.
Das Problem dieses »Lohengrin« bleibt die Versuchsanordnung an sich. Die 130
Choristen tauchen nämlich vor allem als Laborratten auf. Als schwarze und
weiße in Menschengröße und dann auch mal rosarot als Nager-Nachwuchs.
Manchmal tanzt eine aus der Reihe, wird aggressiv, macht ein Witzchen oder
spielt bei den Protagonisten mit. Manchmal hängen sie alle die Kostüme mit
dem Riesenschwänzen an den Nagel und lassen sie Richtung Schnürboden
entschweben. Einmal, wenn es in den Krieg gehen soll, sehen sie sogar auch
an Händen und Füßen komplett aus wie Menschen. Die haben allerdings eine
Uniform mit Schwanenlogo an.
Doch es bleibt bis zum Ende (und darüber hinaus) unklar, wer hier eigentlich
die Versuche überwacht, wer sie in Gang gesetzt hat, wem die Helfer in den
grünen Schutzanzügen gehorchen, die immer mal eingreifen – und vor allem:
was das mit der Geschichte von Elsa und Lohengrin eigentlich wirklich zu tun
hat.
Neuenfels liebt es ja, Thesen in Theaterbilder zu übersetzten. Und dass die
Chöre im »Lohengrin« ziemlich opportunistisch sind und die ganze Situation
mit dem Wunderritter eine radikale Unmöglichkeit ist, könnte durchaus die
anvisierte gewesen sein.
Als Lohengrin am Ende den Gottfried unter einem Schwanen-Tuch als eine Art –
von wem auch immer gezeugtes – Riesenbaby als Schützer (nicht als Führer)
von Brabant aus dem Ei zaubert und dieses Wesen selbst seine Nabelschnur
durchreißt, da liegen, außer den beiden alle, vermutlich tot, am Boden. Nach
dieser so schwarzen wie unklaren Pointe braucht das Publikum ein paar
Sekunden, um sich dann den Ovationen für Kaufmann (und den überraschend
souveränen Georg Zeppenfeld als König), dem vielen Beifall für die übrigen
Protagonisten, den exzellenten Chor, Andris Nelsons und das Orchester –nd
natürlich dem Buhsturm für Hans Neuenfels zu widmen. |
|
|
|
|
|