Neue Osnabrücker Zeitung,  26. Juli 2010
Von Ralf Döring
Wagner: Lohengrin, Bayreuth, 25. Juli 2010
Hier wird Lohengrins Schwan gerupft
 
Von Frageverbot keine Spur. Wer von Hans Neuenfels wissen wollte, was es mit seiner „Lohengrin“-Inszenierung auf sich haben würde, dem hat der Regiestar bereitwillig Auskunft gegeben. Die zentrale Frage aber bleibt unbeantwortet: Was will uns Neuenfels sagen?
Sehen wir Ratten auf der Bühne, denken wir an Experiment: Das ist auch bei Hans Neuenfels’ „Lohengrin“ so. Die Menschen von Brabant: ein Heer von Ratten, aus ihren Käfigen auf die Bühne gelassen, überwacht von Aufpassern in grüner Katastrophenkluft – die typische Laborsituation, möchte man meinen. Nur: Wer führt hier welches Experiment durch? Und warum?

Neuenfels gruppiert die Rattenschar zu immer neuen Formationen, vom wuseligen Durcheinander zum wohlgeordneten Heer, und irgendwann haben die Nager Rattenfell und -schwanz abgelegt und stehen im gelben Frack auf der Bühne, als ginge es gleich ins Varieté. Warum? Darüber lässt sich trefflich spekulieren. Genauso wie über die havarierte Kutsche und das tote Pferd Ortruds und Telramunds oder die endgültige Mutation des Chores vom Ratten- zum Ritterheer.

Neuenfels liefert keine Antworten, weil er sich dem Stück verweigert. Menschen verkehrt er in Ratten und damit in ihr kreatürliches Gegenteil: Wesen, die Ethik und Moral für sich in Anspruch nehmen, mutieren zu ekligen, gefräßigen, aber auch hochintelligenten Tieren, wie Neuenfels im Programmheft sagt. Auch der Schwan hat ausgedient: Nicht er zieht den Nachen mit Lohengrin, sondern der Ritter schreitet einem Sarg voran, auf dem der Vogel thront – am Ende des Aktes hängt er gerupft über der Szene. Wen wundert es da, dass Gottfried als deformierte Kreatur einem Schwanenei entschlüpft und die Nabelschnur stückweise den Rattenmenschen zum Fraß hinwirft.

Auch sein Bühnenpersonal verzerrt Neuenfels: König Heinrich ist, trotz aller Würde in Georg Zeppenfelds Bass, eine kränkelnde Königskarikatur mit Papp-Krone, als wäre er einer Shakespeare-Adaption Luc Percevals entsprungen. Samuel Youn erinnert als Heerrufer in Frack und mit hochtoupiertem Haar eher an Riff-Raff aus der Rocky Horror Show, als an einen königlichen Würdenträger.

Elsa wird in diesem Spiel zur Projektionsfläche für die Erwartungen Lohengrins wie die seiner Gegenspielerin Ortrud. Bayreuth-Debütantin Annette Dasch zeigt eindrücklich, wie die Wucht der Erwartungen Elsa zu Boden wirft. Doch das dunkle Timbre ihres Soprans scheint sich Kaufmanns baritonalem Tenor anzunähern und lädt die Partie gleichzeitig mit einer Sinnlichkeit auf, die der fallsüchtigen Unschuld widerspricht. Auch leidet die Textverständlichkeit unter der dunklen Farbe.

Als Totalverweigerer misstraut nun Neuenfels der Oper so gründlich, dass er sie nur ex negativo auf die Festspielhaus-Bühne bringen kann. Dennoch, oder vielleicht deswegen, glücken ihm intensive Momente: Den Aufzug der Heergefolge im dritten Akt lässt er auf der leeren Bühne Reinhard von der Thannens spielen, was Wagners Musik schmerzlich als leeren Pomp entlarvt. Ohnehin neigt Neuenfels dazu, die Komposition durch trippelnde Ratten, Rättinnen und Rattenkinder zu karikieren – sehr zum Missfallen des Publikums: Spätestens beim Brautchor reißt der Geduldsfaden, untermalt wütendes Gegrummel die Szene.

Leider ist die Musik nicht immer danach, für Ausgleich zu sorgen: Als junger Debütant hat Dirigent Andris Nelsons hörbar Probleme, Graben und Bühne zu koordinieren. Gleichwohl lässt er dem zarten Gespinst des Vorspiels Körperlichkeit angedeihen, entwickelt überhaupt im ersten Akt spielerischen Schwung und hält das Festspielorchester nach einem diffusen zweiten Akt zu einer konzentrierten Leistung an.

Tadellos agiert aber nur der Chor. Von der Regie in Rattenkostüm und Choreografie gezwungen, setzt Eberhard Friedrich ihn klangprächtig in Szene, macht das Kollektiv zu einer Hauptperson. Dagegen bleibt der Friedrich von Telramund durch das eindimensionale Poltern Hans-Joachim Ketelsens eine Randfigur. Und Evelyn Herlitzius, in Jürgen Flimms „Ring“ noch eine überzeugende Brünnhilde, wütet als Ortrud mit ohrenbetäubendem Dauervibrato.

Jonas Kaufmann aber, der Publikumsliebling und neuer Stern am Tenorhimmel, glänzt, wenn er laut singen darf, und schmeichelt im zarten Piano. Sein „Elsa, ich liebe Dich“ im ersten Akt ist ein Moment von hohem Gänsehautfaktor, doch in der Mittellage, im Mezzoforte, mangelt es dem sonst so fülligen Tenor an Substanz. Und doch: Die Gralserzählung taucht er in vollendeten Wohlklang, ganz ohne Neuenfels’sche Karikatur. Vor allem hat sich hier auch Nelsons eingepegelt, stimmt die Balance zwischen Graben und Bühne. So darf man wenigstens in den jungen Dirigenten Hoffnung setzen: Er wird sich in den Bayreuther Verhältnisse einrichten und sicherlich auch bald wohlfühlen. Neuenfels hingegen erntet für seinen bloßgestellten „Lohengrin“ heftige Buhs. Er nimmt’s gelassen.
 






 
 
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