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Kölner Stadtanzeiger, 26. Juli 2010 |
Michael Struck-Schloen |
Wagner: Lohengrin, Bayreuth, 25. Juli 2010
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Der Mensch im Reich der Ratten
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Hans Neuenfels präsentiert auf den Bayreuther Festspielen
eine „Lohengrin“ der radikalen Verinnerlichung. Gemeinsam mit seinem
Bühnenbildner hat er alles Deutsche und Deutschkritische ausgetrieben. |
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An die Rezeption eines Zwei-Sterne-Hotels gemahnt der Künstlereingang des
Bayreuther Festspielhauses mit einem geschwungenen Desk von solider
Schreinerarbeit in den Farben Grau und Magenta, die dem Festival einen Hauch
von „corporate identity“ verleihen sollen. Rührend dieser Versuch, den
Traditionsbetrieb durch neue Farbstellungen und die Installationen einer
neuen Unternehmenstransparenz von seiner fränkischen Knorrigkeit zu
befreien.
Überraschender und verstörender wirkt da schon, was in den en-gen Gängen
hinter der Schleuse zu sehen ist: fahrbare Holzregale mit der Aufschrift
„Lohengrin“ voller Rattenköpfe, bedrohliche Drahtgespinste mit rotglühenden
Augen, die entfernt an die Visiere von Sportfechtern erinnern. Im nächsten
Schrank schwere, elegant gekrümmte Neopren-Anzüge mit Rückennummern - die
überdimensionalen Rattenkörper, unter denen Choristen und Statisten gehörig
ins Schwitzen kommen. Dann Hüte im leuchtenden Sommergelb wie für eine
Promenade auf dem Lido. Und die Rüstungen der Mannen von Brabant und
sächsischen Edlen, die das deutsche Land gegen die Horden aus dem Osten
verteidigen sollen?
Man wird sie nicht finden an diesem Bayreuther Premierenabend, dem der
Regisseur Hans Neuenfels und sein Bühnenbildner Reinhard von der Thannen
alles Deutsche, aber auch alles Deutschkritische ausgetrieben haben. Der
neue „Lohengrin“ ist keine Beschäftigung mit den Verwerfungen der
Geschichte, sondern eine radikale Verinnerlichung. Was treibt uns Menschen
um, wer schickt uns in die Welt, wer steuert die Gesellschaft, und vor
allem: Welche Grenzen vermag Liebe zu überschreiten? Das sind die Frage, die
den 69-jährigen Grandseigneur unter den Regisseuren interessieren.
Dafür schaffen Neuenfels und von der Thannen auf der Bühne eine
Spielsituation, abseits jedes platten Realismus. Lohengrin selbst schiebt
die Kulissen, wenn aus dem Graben das Herzflimmern der Solostreicher im
Vorspiel erklingt. Jonas Kaufmann stemmt und schiebt eine weiße Wand in den
Bühnenhintergrund, auf dass ein klinischer Raum mit Lamellen, Gucklöchern,
Gitterzellen entsteht. Lohengrin, ein geschäftsmäßig angezogener Sunnyboy
mit gelockertem Schlips, schafft sich so seine künstliche Welt und schaut
mal, was passiert - Ähnlichkeiten mit psychiatrischen Anstalten und Labors
für Menschenversuche sind gewollt.
Und schon zu den ersten Marschtritten der Anfangsszene erscheinen die
Kostüme aus den Regalen: Ratten mit Drahtköpfen und Glimmeraugen,
langschwänzig und auf übergroßen Silikonfüßen trippelnd, Beifall spendend,
wuselnd. Es sind fantastische Kostüme, aber auch urkomische Figuren, die,
obwohl sie mit der hinreißenden Präzision und Klangfeinheit des
Festspielchores singen, manchen Besucher aufstöhnen lassen. Ratten sind
überall, wenn Masse gefragt ist, vom Auftritt der Heere bis zum Brautchor,
weiße, schwarze, rosige Ratten - selbst auf mehreren Videos, in denen sie
töten, beißen, ein Tier bis auf die Knochen abnagen. Märchen und Moderne,
Abstrusität und Gnadenlosigkeit vereinen sich in diesem Bild in einer Weise,
wie es Rüstungen und Puffärmel nie vermöchten.
Zwischen den Nagern agieren die Menschen - auch sie psychisch seltsam
verkrüppelt und ohne Halt. Elsa ist längst schon eine Ausgestoßene, der nach
der Gewohnheit christlicher Märtyrerinnen Pfeile im Rücken stecken. Sie ist
im Weltbild Wagners die Sehnsüchtige, Passive, die selbst für die Liebe
nicht auf ihre Zweifel verzichten kann. Und Annette Dasch singt diese Partie
mit schönen Bögen und schlanker Phrasierung, der in den Höhen die letzte
Entschlossenheit und Sicherheit fehlt.
Die Verletzlichkeit dieser Stimme sucht ihre Widersacherin Ortrud mit
brachialer Gewalt für ihre Zwecke auszunutzen: Evelyn Herlitzius ist eine
packende, giftige züngelnde Darstellerin - das Prinzip Vernichtung, dem
leider am Ende auch ihr Mezzo an heimfällt. Wer seine Stimmbänder derartig
überstrapaziert, um einer falschen Idee von „dramatischem Fach“ zu
entsprechen, wird sich seiner Karriere nicht mehr sonderlich lang erfreuen
können. Ihr Partner Hans-Joachim Ketelsen (Telramund) hat diese Karriere
weitgehend hinter sich - er musste für einen Vorgänger eingeflogen werden,
der die deutsche Sprache nicht genügend beherrschte.
Dabei ist auch Ortrud keine eigenständig agierende Person. Im Spiel um
Selbstbestimmung und das Aufgehen in der Masse ist das Geschehen immer
manipuliert und kontrolliert von einer unbekannten Macht. Laborgehilfen
befehlen Auftritte und Abgänge, jagen unbotmäßige Ratten, führen den
labilen, neurotischen König Heinrich herein (Georg Zeppenfeld mit
männlich-kernigem, aber subtil geführtem Bass) oder weisen den Heerrufer
ein, dem Samuel Yuon seinen samtigen Bariton verleiht.
Und Lohengrin selbst, der vermeintliche Drahtzieher der
Versuchsanordnung? Vielleicht wäre er zur Liebe fähig gewesen, wenn Elsa
seine Bedingungen erfüllt hätte. Wir wissen es nicht so genau - auch weil
sich Jonas Kaufmann nicht die Mühe macht, seine Rolle als Darsteller mit
Sinn und Intensität zu füllen. Der Mann scheint einfach zu sehr mit sich
selbst und seiner Präsenz beschäftigt, um wirklich einen Charakter formen zu
können. Und es wirkte schon ein wenig ungerecht, dass er am Ende mit
tosenden Bravos empfangen wurde, während über Neuenfels ein Buhsturm
niederging. Den Vergleich mit den Heroen des Fachs kann Kaufmanns leicht
gequetschter, in der Mitte reizloser, ungleichmäßig registrierter und nur
bei einigen wunderbaren Pianos und Spitzentönen überzeugender Tenor
jedenfalls nicht aushalten.
Nein, der wirkliche Star dieser Produktion war der 31-jährige Lette Andris
Nelsons. Wann hat Bayreuth je erlebt, dass sich ein ganz junger Dirigent so
selbstbewusst mit den schwierigen akustischen Verhältnissen umgeht, dass es
kaum zu Wackeleien mit der Bühne, dafür aber zu Momenten himmlischer
Erfüllung kommt? Nelsons disponiert klug, setzt im ersten, eher
deutsch-pathetischen Aufzug auf Durchsichtigkeit und präzises Timing; im
zweiten und dritten Aufzug auf Dramatik und Beweglichkeit.
Immer klebt er mit dem wunderbaren Bayreuther Orchester am Text und folgt
seismografisch dem Herzschlag der Protagonisten. Und wenn er es für
notwendig hält, lässt er eine Orchesterpassage wie das Nachspiel zum Duett
Elsa-Ortrud im zweiten Akt so himmlisch ausschwingen, dass die Zeit stehen
bleibt. So ist der „Lohengrin“ von Nelsons ein Psychogramm wie der von
Neuenfels, der zuletzt einen neuen Herrscher als Fötus aus dem Schwanenei
kriechen lässt. Wird er ein guter sein - oder doch wieder nur Ratten
befehligen? |
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