Mannheimer Morgen,  27. Juli 2010
Stefan M. Dettlinger
Wagner: Lohengrin, Bayreuth, 25. Juli 2010
Liebe auf dem Planet der Ratten
 
Bayreuther Festspiele: Hans Neuenfels' "Lohengrin" macht ratlos und bleibt Publikum und Kritik rätselhaft verschlossen
Von der Ratte zum Menschen ist es manchmal gar nicht weit. Beide gelten als intelligent, als extrem gefräßig und überlebensstark. Auch die Bürger von Brabant sind solche Wesen, nicht Mensch, nicht Ratte, die sich im Labor von Hans Neuenfels tummeln und zusammenrotten. Weiß oder schwarz sind sie und wieseln und watscheln in Nagerschritten lustig über die Bretter der Festspielbühne, als gelte es, dem fiesen Feind zu entwischen, und dieser Feind, das sind die Edlen und Grafen - und natürlich König Heinrich. Auf ihn wird gleich beim C-Dur-feierlichen "Willkommen, König, in Brabant!" ein (R)Attentat verübt. Der (R)Attentäter wird von sterilblauen Laboranten abgeführt. Ihm droht kein schönes Ende.

Ein schönes Ende hat auch dieser Blick in Wagners "Lohengrin" nicht. Vom Publikum ziemlich heftig ausgebuht, steht auch die ganze Zunft der Kenner und Kritiker ratlos vor der zwischen Walt Disneys "Ratatouille" und großer Oper changierenden Regie: Haben wir da etwas nicht kapiert?

Es bleibt schwierig

Natürlich ist das so. Das war bei Schlingensiefs "Parsifal" so und auch bei dem von Stefan Herheim. Das Problem hier aber scheint, dass Neuenfels und Ausstatter Reinhard von der Thannen so clean, so klinisch und klar inszenieren, dass man über die rund fünfeinhalb Stunden Liebesfindung immer auf der Suche nach einem Knackpunkt ist, über den sich alles erschließt. Es muss doch einen Schlüssel in dieser Inszenierung geben, denkt man und denkt nach. Doch so einfach ist es nicht.

Gut: Lohengrin, der Schwanenritter, der kommt, um Elsa zu retten, aber eigentlich eher sich selbst retten (und finden) will, ist hier ein Typ mit totalitärem Anspruch, auch wenn er bei Tenor Jonas Kaufmann eher in Richtung Latino-Lover umbricht. Die Frage nach seiner Herkunft darf ihm auch hier nicht gestellt werden. Dahinter verbirgt sich (auch) Wagners fast religiöser Absolutheitsanspruch für seine Kunst. Neuenfels macht dabei viele Kisten auf. Ständig ist Parsifal, Lohengrins Vater, präsent, und schon bei ihrem ersten Auftritt erscheint Elsa von Pfeilen durchbohrt, als sei sie der von Parsifal geschossene Schwan, eine Märtyrerin, die Lohengrin jetzt durch Liebe wieder zum Leben erwecken muss. Am Ende erscheint kein Schwan, sondern ein Sarg mit einem Schwanenei, dem die Missgeburt Gottfried entsteigt, Elsas verlorener Bruder - ein Monster. Aha!

Neuenfels verweigert sich den großen Gefühlen, versucht sie mit ironischen Brechungen ins Komische, Absurde rüberzukitzeln, indem er etwa zum marschmäßig hohlen D-Dur-Geklingel vor der Schlussszene des 2. Akts eine quietschvergnügte Rattenjagd veranstaltet, die mit einer Beruhigungsspritze in den Ratten-Allerwehrtesten endet. Das bringt einen zum Lachen, ist gute Unterhaltung.

Es sei seine traurigste Oper, sagte Wagner aber selbst. Neuenfels betont das sogar in Interviews. Es sei ihm wichtig, dies ernst zu nehmen und der Frage nach Identität nachzugehen, zu forschen danach, welche Hoffnung uns Menschen(-Ratten) zusammenbringt, nach der verbotenen Frage nach "Nam und Art". Doch übertragen tut sich das nicht. Es wirkt aufgesetzt, überflüssig. Statt in den intellektuellen Kern, das Wesen des Werks vorzudringen, lenkt Neuenfels mit der Rattenthematik ab.

Eine Nuance Italianità

Dabei hat er tolle musikalische Mitstreiter, allen voran Georg Zeppenfeld, dessen Heinrich in allen Belangen begeistert, durch konzentriertes Spiel, kultivierte Führung und mühelose Kraft. Jonas Kaufmanns Lohengrin ist dort betörend, wo er sich oberhalb des Pianos bewegt. Sein strahlendes Forte, dem er immer eine Nuance Italianità beimischt, geht unter die Haut, im Pianissimo ist die Stimme aber kehlig und mulmig. Trotzdem: Die Gestaltung des gesamten 3. Akts, seine Gralserzählung sind hinreißend beseelt. In dieser Emotionalisierungsgabe bleibt er derzeit auf dem Grünen Hügel eine Ausnahmeerscheinung. Hingegen kann man Annette Dasch als fehlbesetzt einstufen. Schauspielerisch stark, bleibt sie stimmlich zu lyrisch und unscheinbar, im Duett mit der vollkommen übertrieben hysterischen Ortrud von Evelyn Herlitzius geht Dasch vollkommen unter. Hans-Joachim Ketelsens Telramund und Samuel Youns Heerrufer dagegen sind wieder ausgezeichnet. Auch aus dem Graben ist Gutes zu hören, aber nicht nur. Andris Nelsons formt homogene Übergänge mit logischen Tempowechseln, doch gerät der Chor- und Orchesterklang bei seinem Bayreuth-Debüt bisweilen matt und undurchsichtig, zudem mangelt es immer wieder an Koordination zwischen Graben und Bühne. Von dem begabten Letten haben wir mehr erwartet.

Fazit? Es bleibt das Problem heutigen Musiktheaters, dass die neuen Werke fehlen, mit denen Leute wie Neuenfels Neues schaffen könnten. So kauen wir weiter auf dem Wagner, der vieles erträgt. Aber nicht alles.






 
 
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