Stuttgarter Zeitung,  27. Juli 2010
Von Götz Thieme
Wagner: Lohengrin, Bayreuth, 25. Juli 2010
Nie sollst du mich befragen!
 
Festspiele - Der Regisseur Hans Neuenfels debütiert in Bayreuth mit Richard Wagners "Lohengrin".
Oft, verdächtig oft wird in Richard Wagners "Lohengrin" vom Glück gesungen. "Es gibt ein Glück, das ohne Reu"", versichert Elsa Ortrud, die sie glauben machen will, dass dieser fremde Ritter, der sie gleich zum Altar führen wird, ein dunkles Geheimnis hat: Es ist ein letzter ungetrübter Moment des Glaubens, bevor alles kippt. Andris Nelsons, der junge lettische Dirigent, der wie der Regisseur Hans Neuenfels mit dieser Produktion in Bayreuth debütiert, zeigt in den nun folgenden Takten in schwebendem G-Dur, warum sein Talent so hoch gehandelt wird: Mit langem Bogen singen die Violinen als gäbe es kein Metrum, traumverloren winden sie aufsteigend ihre Schleifen, dass es einen Stich ins Herz gibt bei so viel reiner Schönheit. Jeder ahnt: es bleibt nicht so.

Die Frauen begegnen sich in einem glasumfassten Raum, den eine Skulptur beherrscht, ein stilisierter porzellanweißer Pop-Art-Schwan. Zart-vorsichtig küsst Elsa seinen Schnabel - worauf Ortrud den Hals zurückbiegt und sich, wie Leda einst, rittlings auf den Schwanenleib setzt. Jetzt ist gewiss: es bleibt nicht so, Lohengrins Frageverbot wird als Gift in Elsas Seele wirken. Für den Regisseur Neuenfels ist das "Nie sollst du mich befragen" die Achse des Stücks: "Es geht um Identität: Wer bin ich? Was führt uns Menschen zueinander?"

Und weil Hans Neuenfels ein hoffnungsvoller Pessimist ist, malt er dieses "musikalische Drama als magisches Experiment", und zwar mit den hellsten, manchmal erfrischend komischen Farben, um am Ende die schwärzeste Hoffnungslosigkeit zu zeigen: Richard Wagner selbst hat den "Lohengrin" seine traurigste Oper genannt, und tatsächlich bietet keines seiner Hauptwerke so wenig musikalischen Trost, Verklärungs-Dur, chromatische Erlösungsvorhalte wie diese. Zwölf Takte nach dem letzten Chor-"Ach" gibt es einen letzten, ausgelaugten Forte-Akkord in mattem A-Dur.

Da sind in der Bayreuther Inszenierung das Volk, Elsa und König Heinrich zu Boden gesunken, einzig Lohengrin bahnt sich dem Saal zugewandt langsam einen Weg zwischen den Leibern, längst ist die Musik verstummt. Fürwahr, hier wärmt nichts mehr. Stille, hartes Licht, der stumme Zuschauer - Neuenfels schafft es immer wieder, einen existenziellen Punkt zu finden, in den er die Nadel setzen kann, wo es kein Ausweichen gibt. Manchmal muss Theater schmerzhaft sein.

Vor allem ist es bei ihm nie beiläufig, lieblos, ohne Sinn, wenn sich auch nicht alles gleich erschließt, logisch scheint. Ein Neuenfels-Abend ist kein verlorener und wenn er noch so böse ist wie vor neun Jahren seine Salzburger "Fledermaus", die er im zweiten "Lohengrin"-Akt mit einem damals gezeigten Tableau zitiert: eine schwarz glänzende Kalesche mit Achsbruch, davor ein verendetes Pferd. Die gescheiterte Hoffnung als Bild gescheiterter Existenzen. Telramund und Ortrud, das böse Paar, in ihren Anzügen grau glitzernd, wollen ihr Glück durch Verbrechen erzwingen, und doch entdeckt der Regisseur auch in ihnen die Sehnsucht nach Wärme: so wie Ortrud Telramund mit wahrer Zärtlichkeit umfasst und küsst, um ihn zu ermuntern, Elsa weiter zuzusetzen.

Ohne Umstände, ganz schlicht legt Neuenfels das Begehren der Figuren frei; je größer der Glücksverlust, desto verzweifelter umarmen sie sich. Die Brautgemachsszene wird zum erotischen Kampf, mit seinem Körper bedeckt Lohengrin die Braut, will Elsa damit zum Schweigen bringen. Und nachdem sie die Frage gestellt, er in der Gralserzählung Antwort gegeben hat, wollen ihre Hände nicht voneinander lassen. Ein traurigerer Verführungsversuch war wohl selten zu sehen: Wie in Trance Lohengrin anblickend legt Elsa ihr Kleid ab. Vergebens. Der Ritter zieht von dannen, als letzte Tat erlöst er Elsas vermissten Bruder, aus dem Schwanenei steigt ein Embryo und zerreißt die Nabelschnur.

So wie Neuenfels genau auf die Musik hörend sich zum Kern der Beziehungen vorinszeniert, genauso elegant umschifft der im Surrealismus Geschulte - als junger Mann war Neuenfels ein Jahr Max Ernsts Assistent ins Paris - die Staatsaktionen, die Choraufmärsche. Reinhard von der Thannens kühn-kühle Designräume - zwei weiße Seitenblöcke rahmen die nach Bedarf von hinten herangleitenden Podeste und Treppen - mag man als gewaltiges Labor lesen. Das Volk sind Ratten, possierlich, gefährlich, Nummern auf den Rücken, in Schach gehalten von Käfigtüren und von Forscherpersonal in türkisen Overalls. Beinahe wäre der schwächlich-dusselige König Heinrich auf seinem roten Samtsesselthron auf Rollen - er könnte ein Bruder des "Parsifal"-Amfortas sein - einem Messerattentat zum Opfer gefallen. Vom Baum der Erkenntnis trägt er zwei Äpfel in der Tasche, die helfen kaum weiter, als Elsa naht, Pfeile wie der heilige Sebastian im Gewand.

Die Ratten-Metapher - sie lässt an Art Spiegelmans Tierfabelcomic "Maus" denken - ist lediglich eine Spielform. So wie die Helme, Panzer und Kettenhemden in der aus Eichendorff"scher Romantik geborenen Vorstellung von Ritterwelt symbolisch zu verstehen sind. Als ob Wagner Requisiten interessiert hätten! Wie wunderbar offen, rührend, witzig, schlagend und erschreckend sind die aus dieser Idee entstehenden Bilder von Neuenfels und von der Thannen (er hat auch die grandiosen Kostüme entworfen, etwa die ausgreifenden Krinolinen aus Schwanenfedern für Elsa und Ortrud). Der Brautzug mit den rosa Rattenkindern allein ist preiswürdig. Ein Buh dazu war selbst so kläglich witzig, dass es den Widerstand der Zuschauer entwaffnete.

Nicht alles funktioniert, besonders wenn die Inszenierungslücken durch musikalische Gestaltung aufgefüllt werden müssten. Evelyn Herlitzius" gellende Ortrud bleibt einförmig, während Annette Dasch als Elsa an Textdeutlichkeit zulegen könnte, aber im Piano mit Linie punktet. Hans-Joachim Ketelsen als Telramund singt rau, immerhin versteht man jedes Wort, Georg Zeppenfeld distinguiert-nobel, Samuel Youn als Heerrufer kraftvoll. Bleibt Jonas Kaufmanns Latin-Lover-Lohengrin, der den Beifall abräumt: Seine gaumig-kloßige Pianofarbe ist nicht jedermanns Geschmack - den dramatischen Momenten bleibt er nichts schuldig.






 
 
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