|
|
|
|
|
Augsburger Allgemeine, 27. Juli 2010 |
Von Rüdiger Heinze |
Wagner: Lohengrin, Bayreuth, 25. Juli 2010
|
Lohengrin: Es ist was faul im Rattenstaat
|
Die Münchner Residenz und das Münchner Hoftheater, ein
Klassenzimmer, ein Kinosaal - das waren einige Szenerien, in denen man
Wagners romantische Oper „Lohengrin“ in den vergangenen Jahren erleben
konnte (Bielefeld, Hamburg, Frankfurt). Die Fantasie-Grenzen sind damit
nicht ausgereizt: Im Bayreuth 2010 siedelt der Hügel-Debütant Hans Neuenfels
den mittelalterlichen Märchenmythos, den Wagner selbst als seinen
allertraurigsten, allertragischsten Stoff empfand, in einem Laboratorium und
Labor-Rattenverband an. |
|
Natürlich: Wer sucht, der findet Gründe dafür im 1. Aufzug, den Andris
Nelsons am Pult vor dem Festspielorchester außerordentlich licht und zart
einleitet. Nutzt das Volk etwa nicht wendig und wankelmütig jeden schnellen
Vorteil, der sich im egoistisch-gesellschaftlichen Existenzkampf bietet? Der
Mensch ist dem Menschen eben nicht nur Wolf, sondern auch Ratte. Und ist
Lohengrins Frageverbot, auf dem seine Ehe mit Elsa gründen soll, nicht
tatsächlich ein riesiges Experiment? Beides stimmt – und doch will sich noch
nichts runden an dieser Ratten-Metapher. Es ist ein wenig wie bei der
Uraufführung 1850 durch Liszt, als ein Chronist festhielt: „Das Publicum
hält still und weiß nicht, wie ihm geschieht.“
Auch fürs Publikum gilt: Nie sollst du mich befragen
Man könnte es zugespitzt auch so formulieren: Jeder im Publikum ist Elsa,
von der der Regisseur erwartet, nicht nach der „Art“ der wunderlichen
Bühnen-Ereignisse zu fragen. Aber wie Elsa fragt man sich eben doch und
erhält durchaus überraschende Auskünfte. Denn im zweiten und dritten Aufzug
wird die Fabel vielschichtiger und assoziationsreicher. Nun treten nicht nur
weiße Ratten (weiblich) und schwarze Ratten (männlich) auf, die sich
übrigens, schöne Ironie, für Wunder-Erscheinungen und Hochzeiten rausputzen
und ihre Rattenhaut an Kleiderhaken hängen, sondern auch kleine, rosa
Kinderratten. Und plötzlich schlägt die unheilvolle Stimmung im
Festspielhaus um und man lacht herzhaft-freundlich über das Possierliche der
„Brautjungfern“, über die Persiflage des „Treulich-geführt“-Chores –
Standardmusik bürgerlicher Hochzeiten.
Was tat hier Neuenfels, der durchtriebene Provokateur? Er tat nichts
anderes, als einen Teil der Rezeptionsgeschichte des „Lohengrin“
mitzuinszenieren. Denn obwohl das Stück das „heiligste“ unter Wagners frühen
Hauptwerken darstellt, gibt es kein anderes von ihm, auf das mit so vielen
Parodien reagiert wurde: von Nestroy über Heinrich Mann bis Loriot - nicht
die schlechtesten Satiriker. Schlussendlich aber reißt Neuenfels die
Stoßrichtung wieder herum und die komische Facette mündet in
tödlich-grausame Aussichten.
Die Ratte wird zum Kampfhund
Seit Langem gehört die kommentierende Filmeinblendung zu seinen
Bühnenmitteln, und nun - da König Heinrich einen anderen Heerführer als
Lohengrin benötigt - sehen wir, wie per Zeichentrick einzelne Ratten zu
einem Rattenkönig anwachsen, der sich in einen Kampfhund zusammenballt und
gen Osten, gegen die scheinbaren deutschen Feinde hetzt und hetzt und hetzt
- bis er sich selbst zu Tode gehetzt hat. Wer nach Lohengrin könnte die
Tiere leiten, die Massenverführbarkeit lenken? Ist es Gottfried, halb
Embryo, halb Monster, der als neuer Staatsretter aus einem Ei gezaubert
wird?
So prägend aber die Ratten-Grundanlage dieser Inszenierung bleibt – sie
zeigt in der kühlen, glatten, aseptischen, hellen Labor-Ausstattung von
Reinhard von der Thannen noch viel mehr Beziehungsreiches: ein schwarzes
Sargboot für den aussichtslos agierenden Lohengrin, eine gallige „Helm ab
zum Gebet“-Szene, erschreckend funktionierende Chormassen im Gleichtritt,
vor allem aber, und das muss manchen Skeptiker entschädigen: eine ungeheuer
stringente Personenführung in den vielen „Lohengrin“-Szenen, da
Auseinandersetzungen unter vier Augen geführt werden. Ein Beispiel
folgerichtiger Entwicklung: Vor dem Münster kommt es zum Äußersten zwischen
Elsa und Ortrud; die heidnische Zauberin – ein schwarzer Schwan – drückt
Elsa – ein weißer Schwan – einen Kuss auf den Mund, letztlich den Todeskuss.
Von nun an zweifelt Elsa, hier wurde Gift in ihr Herz gegossen. Und
Lohengrin muss sich seine Hochzeit geradezu ertrotzen; selbst vor dem
Brautbett sträubt sich jede Faser in Elsa, dem Unbekannten anzugehören.
Schauspielerische Kabinettstücke.
Ja, doch, manches an diesem „Lohengrin“ lässt den Betrachter unbefriedigt,
ratlos zurück. Aus Wundern formt Neuenfels Rätsel. Wie bei jeder avancierten
Regie geht auch hier gewiss nicht alles restlos auf. Es bleiben Fragen offen
wie: Das Volk eine Rattengesellschaft, die lenkenden Führer/Protagonisten
aber Menschen? Die Geschichte lehrte schon anderes.
Das war der Abend von Jonas Kaufmann
Und doch gilt, dass Neuenfels/von der Thannen mit erkennbar großer
Ernsthaftigkeit und Bildmacht an ihre Auslegung des „Lohengrin“ herangingen
und diese Produktion in ihren spannungsvollen Wechselbädern von hoher
Suggestivkraft lebt. Diese Aufführung ist so wunderlich wie wundervoll, so
tragisch wie drollig, so unverbrämt wie überhöht, so eigentümlich wie
grundsätzlich. Diese Aufführung ist voll. Auch animierte sie die Sänger zu
starken Entäußerungen; allen voran Jonas Kaufmann in der Titelrolle, der
seine Partie kunstvoll durchgestaltete, das Innige mit von oben angesetztem
Tenor seelenvoll sang, das Machtgebietende voller Durchschlagskraft. Es
wurde sein Abend.
Annette Dasch formte die Elsa – mit leicht neutralem Sopran – zu einer
stimmlich anmutigen Braut, die gegen die kriminelle Energie Ortruds (Evelyn
Herlitzius mit riskant aussingendem Volumen) keine Chance hat. Profund und
textdeutlich die tiefen Stimmen von Georg Zeppenfeld (König Heinrich),
Samuel Youn (Heerrufer) und Hans-Joachim Ketelsen, der jedoch nachließ im
Verlauf der Premiere.
Mehr als respektabel absolvierte der erst 33-jährige Andris Nelsons seinen
Bayreuth-Einstand am Pult. Er hat die Partitur erkennbar ausgehört und lässt
sie delikat, in ruhigem Fluss ausformulieren. Mitunter erreicht er Niveau
durch Vorsicht; an Dringlichkeit kann er noch gewinnen – so wie sich das
Orchester noch in Intonation und Stimmablöse-Präzision verbessern kann.
Durch Eindringlichkeit in jedem Moment schlicht eine Wucht: der Chor.
|
|
|
|
|
|