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Main-Spitze, 27. Juli 2010 |
Von Axel Zibulski |
Wagner: Lohengrin, Bayreuth, 25. Juli 2010
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Ratten im Wagner-Labor
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BAYREUTH Festspiel-Auftakt mit „Lohengrin“ in der
Inszenierung von Hans Neuenfels |
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Morgens noch Deftiges gegen Bayreuth: Von einem „Kaff“ sprach Hans
Neuenfels, von einem „Sudelort“. Der Altmeister des Regietheaters teilte zur
Eröffnung der Wagner-Festspiele kräftig aus. Ahnend sicherlich, dass er nach
der Premiere einiges einstecken würde: „Buh“-Rufe und breites, aber doch
nicht einhelliges Missfallen. Mit seiner Neuinszenierung von „Lohengrin“
polarisierte der 69-Jährige. Zu einfach freilich, darin nur den Skandal zu
sehen.
Nummerierte Versuchstiere
Schwarze Ratten, weiße Ratten, rosa Ratten: Hans Neuenfels und Ausstatter
Reinhard von der Thannen haben Volk und Heer Brabants in die Kostüme jener
Versuchstiere gesteckt, die, sauber durchnummeriert, eine manipulierbare
Masse im Wagner-Laboratorium geben und denen Trippelgang sowie kurzarmige
Bewegungen in Fleisch und Blut übergegangen sind. Ein Ratten-Attentat auf
König Heinrich wird eingangs noch vereitelt, Ratten tragen zu Lohengrins
Auftritt den Schwan herein, den es hier tatsächlich zu sehen gibt - im
geöffneten Sarg freilich. Ratten bilden den Brautchor, und selbst Friedrich
von Telramund erlebt den tödlichen Ausgang seiner Störung im Brautgemach
Elsas und Lohengrins im Rattenkostüm.
Erst spät werden aus den Ratten vollends ganze Menschen, kumpelhaft von
König Heinrich begrüßt. So wie sich auch Elsa und Lohengrin erst am Ende
ihrer unglücklichen Beziehung vermenschlichen, nachdem sie sich umständlich
links und rechts und vor und hinter dem Brautbett herumgedrückt haben. Als
sie verstehen, dass aller Frageverbots-Popanz vom Kern des Seins ablenkt,
ist es zu spät, denn als am Ende alle durch Leid wissend geworden sind, gibt
es keinen Neubeginn mehr. Jedenfalls nicht für die Beteiligten, zumal
Neuenfels uns einen pessimistischen Ausblick mit auf den Weg gibt: Der junge
Gottfried, den Lohengrin den Brabantern als Herrscher hinterlässt, schlüpft
als tumber Embryo aus einem Schwanen-Ei und massakriert erst einmal seine
Nabelschnur.
Neunfels’ meist hell durchleuchtetes „Lohengrin“-Laboratorium mag in letzter
Konsequenz „aufgehen“. Die Premiere ist in ihrem Assoziations-Gestus mit
Arbeiten der Vorjahre vergleichbar, mit Christoph Schlingensiefs „Parsifal“
2004 oder Katharina Wagners „Meistersingern von Nürnberg“ 2007, und hebt
sich von diesen doch wohltuend durch Regie-Könnerschaft ab. Wie
schlaglichthaft erhellend gelingt Neuenfels manches. Etwa, wenn in Brabant
„Treue“ gelogen wird, während eine Projektionstafel lapidar den Schriftzug
„Wahrheit 1“ dahinter stellt. Oder wenn, noch einmal, die Ratten ihre
Single-Käfige gleich selbst in Reih und Glied aufbauen.
Premiere der Debütanten
Die Bayreuther Eröffnung war eine Premiere der Debütanten. Ein spätes, noch
von Wolfgang Wagner eingeleitetes Debüt für Neuenfels, ein frühes für den
erst 31 Jahre alten lettischen Dirigenten Andris Nelsons, der im Vorspiel
noch ein fahriges Festspielorchester vor sich im verdeckten Graben hatte.
Nelsons konnte seine breiten Tempi nicht immer mit Spannung legitimieren,
kam aber zunehmend besser damit zurecht, Wagners frühen, eigentlich ein
offenes Orchester fordernden „Lohengrin“ ins Festspielhaus einzupassen.
Besonders dankbar dürfte ihm dafür Jonas Kaufmann in der Titelpartie gewesen
sein. Erst Nelsons’ Klang-Reduktionen ermöglichten es dem jungen Star-Tenor,
mit seiner betörenden Kopfstimme, seiner weichen Tongebung zum Tragen zu
kommen. Und umso deutlicher wurde, wie verfehlt Evelyn Herlitzius die Partie
der Ortrud anlegte, zu laut, zu gellend, oft zu hoch, zu pauschal.
Hans-Joachim Ketelsens sonorer Telramund, Georg Zeppenfelds hoch eleganter
König Heinrich waren da weit angenehmer zu hören. Annette Dasch, als Elsa zu
ihrem Gebet des ersten Akts von Pfeilen durchbohrt, fügte sich unauffällig
bis unscheinbar in diese ihr zugedachte, sicherlich am stärksten
hinterfragbare Rollenzuweisung ein.
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