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Neue Zürcher Zeitung, 27. Juli 2010 |
Peter Hagmann |
Wagner: Lohengrin, Bayreuth, 25. Juli 2010
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Des Kaisers seltsame neue Kleider
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In Bayreuth ist jetzt die Reihe wieder an «Lohengrin».
Neben dem jungen, aufstrebenden Dirigenten Andris Nelsons debütierte auf dem
Grünen Hügel auch der Altmeister Hans Neuenfels. |
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Wo er auftaucht, gibt es Ärger. Jetzt zum Beispiel bei den Bayreuther
Festspielen, wo Hans Neuenfels, der Altmeister des deutschen Regietheaters,
noch auf den Wunsch des verstorbenen Wolfgang Wagner hin «Lohengrin», die
romantische Oper Richard Wagners von 1850, aufbereitet hat. Selten ist eine
derart geschlossene, derart donnernde Ablehnung zu erleben, wie sie
Neuenfels im Bayreuther Festspielhaus zuteilwurde. Die Verächter der
interpretierenden Inszenierung scheinen sich da mit deren Verfechtern
zusammengetan zu haben – und in der Tat hat es von Neuenfels schon
wesentlich überzeugendere Arbeiten gegeben. Aber gemach, die Aussage bedarf
der Differenzierung.
Ein Fest der Ratten
Wenn an «Lohengrin» gemäkelt wird, und es wird gemäkelt, dann meist des
enthusiastischen Tonfalls, der bombastischen Aufschwünge und der
nationalstaatlichen Bezüge wegen. Das war natürlich auch Neuenfels ein Stein
des Anstosses – an den er freilich nur zu gerne angestossen ist. Zusammen
mit seinem Ausstatter Reinhard von der Tannen, der hier aus dem Vollen
schöpfen durfte, begegnete er dem Problem durch Distanzierungen im Geist des
epischen Theaters und, vor allem, durch eine radikal brechende Verkleidung
des Stücks. Nicht nur wurden immer wieder belehrende Schrifttafeln
herabgesenkt, der (von Eberhard Friedrich in Höchstform gebrachte) Chor
waren auch keine Männer und Frauen, sondern Ratten schwarz und weiss, mit
Schnauzen und blinkenden Augenlichtern, mit dicken nackten Schwänzen, mit
enormen Füssen und beständig bewegten Vorderpfoten. Dabei konnten sich die
Chormitglieder dieser Verkleidung auf offener Bühne entledigen, worauf die
leeren Kostüme an Kleiderhaken in den Schnürboden hinaufgezogen wurden – ein
in seiner Problematik grandioses Theaterbild, das leider zweimal verwendet
wurde.
Sehr appetitlich nahm sich diese Verkleidung nicht aus, zu Erheiterung
taugte sie aber da und dort – das Aufbegehren gegen Ernst und Feierlichkeit
gehört zu den Ingredienzien des althergebrachten Regietheaters. Die
Choristen waren nicht nur als Ratten kostümiert, sie gaben sich auch als
solche: mit allen Merkmalen des Herdentriebs, aber auch mit witzigem
Aufbegehren gegen die in grüne Operationskittel gekleideten Ordnungskräfte,
welche die Chormassen steuerten. Und als am Ende des ersten Aufzugs der in
den Debatten ums Regietheater fast zu Tode diskutierte Schwan, der hier in
voller Würde auftreten darf, als arg gerupfte Kreatur von oben
herabschwebte, wurde da noch eines kräftig draufgegeben. Aber gewiss ist es
mit dem Witz nicht getan, und mit dem Mittel der Distanzierung auch nicht.
Dass es gerade Ratten sind, von deren rücksichtsloser Gefrässigkeit
Gottfried Benn in einem im Programmheft abgedruckten Gedicht schreibt, ist
natürlich auch ein Stück jener Kritik an den herrschenden Verhältnissen, die
heute so wenig mehr gilt. Es ist die Metapher für die nichts als das eigene
Wohl kennende Gesellschaft, vor der sich die Geschichte um den unbekannten
Ritter Lohengrin abspielt.
In der Laborsituation, die Reinhard von der Tannen auf der Bühne mit
Versatzstücken kühler, technokratischer Architektur und allem Sinn für
effektvolle Farbwirkungen virtuos aufgebaut hat, wird diese Metapher
eingehend, aber auch über weite Strecken beliebig und darum ermüdend
durchgespielt. Sie bringt die Produktion aus dem Gleichgewicht, denn beinah
geht vergessen, dass es auch ein Gegenstück gibt – und das ist das Drama,
das hier exponiert wird und das Neuenfels mit aller Schärfe herausgearbeitet
hat. König Heinrich zum Beispiel ist zwar im Amt, doch deutlich am Ende
seiner Kraft; auch wenn Georg Zeppenfeld grandios singt, spielen tut er wie
ein Lear, der schräg und mit herabhängendem Haupt in seinem Sessel liegt.
Spielleiter ist nicht der Chef, sondern sein Adlat, der Heerrufer, der bei
Samuel Yun zu kräftiger Stimme kommt. Problematisch das böse Paar: Als
Telramund neigt Hans-Joachim Ketelsen, der sehr kurzfristig für den
ursprünglich angekündigten Lucio Gallo eingesprungen ist, zu dröhnendem
Röhren, und Evelyn Herlitzius gibt die Ortrud derart hysterisch, dass nicht
ein einziges Wort zu verstehen ist. Wie aber Jonas Kaufmann mit seinem in
der Tiefe verankerten Tenor und seinem Mut zum Pianissimo und wie Annette
Dasch mit ihrem sehr gerundeten, vollmundigen Sopran die Titelrollen
bewältigen, steht auf hohem Niveau. Lohengrin, scheu auf der Suche nach der
Liebe und damit einer Existenz als Mensch, und Elsa, erst entflammt, später
erweckt und schliesslich lebendig tot – das berührt in mancher Hinsicht.
Ein Rausch der Sinne
Leichte Enttäuschung hinterlässt dagegen die musikalische Leitung durch den
jungen, vielversprechenden und dementsprechend hoch gehandelten Letten
Andris Nelsons. Mit den schwierigen Gegebenheiten im verdeckten Graben und
den damit verbundenen Problemen der Koordination hat er sich als Bayreuther
Debütant sehr wacker geschlagen. Und das Orchester der Bayreuther Festspiele
findet zu rauschhafter Opulenz, getragen von einem Mischklang, in dem die
instrumentalen Farben aber durchaus ihren eigenen Stellenwert behielten.
Zugleich aber fehlt es Nelsons interpretatorischem Ansatz an erkennbarem
Profil; kapellmeisterliches Handwerk und Temperament reichen, zumal an
diesem Ort, nicht aus. Dass die Partitur, darin echte Avantgarde, immer
wieder mit Effekten der Verräumlichung arbeitet, ist kaum wahrzunehmen,
derart ungünstig sind die dafür eingesetzten Bläser aufgestellt. Ebenso
wenig tritt heraus, wie das Orchester schon hier, nicht erst in den späteren
Musikdramen, seine eigene Geschichte erzählt; die scharfen Hörner zum Wort
«Brudermord» sind zu hören, bleiben aber zu sehr in den Kontext eingebunden.
Nicht ausgeschlossen freilich, dass sich hier noch etwas entwickelt.
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