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Tages-Anzeiger, 27. Juli 2010 |
Susanne Kübler |
Wagner: Lohengrin, Bayreuth, 25. Juli 2010
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Der Schwanenritter als Rattenfänger
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Gleich mehrere illustre Debüts gibt es im «Lohengrin» bei
den Bayreuther Festspielen: Jonas Kaufmann und Annette Dasch singen, Andris
Nelsons dirigiert, Hans Neuenfels provoziert. |
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«Pfui!»,
rief einer bei der sonntäglichen Premiere in den berühmten Hochzeitsmarsch
hinein. Denn als Hochzeitsgesellschaft reihten sich Ratten auf: weisse
Rattenweibchen, schwarze Rattenmännchen, rosa Rattenkinderlein. Sie rieben
sich die Pfötchen, und irgendwo dürfte sich auch Hans Neuenfels, der
Regisseur, die Hände gerieben haben. Der gewünschte Skandal war da, das
Publikum hatte sich provozieren lassen, wie er es vorausgesehen hatte im
Programmheft. Das Volk als Rattenvolk, nein: Das geht nicht in Bayreuth.
Die Ratten im Labor
Daran ändert auch die neue Leitung der Festspiele nichts. Überhaupt ändert
die neue Leitung der Festspiele kaum etwas. Es gibt nun einen «Tannhäuser»
für Kinder, Public Viewing, Podcasts, Sushi im Pausenrestaurant. Aber es
gibt nach wie vor keine Übertitelung der Aufführungen und keine
Inhaltszusammenfassung der Opern in den Programmheften – man weiss hier ja
Bescheid. Für das angekündigte Forschungsprojekt über die NS-Vergangenheit
der Festspiele müssen erst noch Gelder aufgetrieben werden. Und künstlerisch
steckt man sowieso noch in der Ära Wolfgang Wagner: Der «Lohengrin» war
längst geplant, und die Besetzung des «Rings» von 2013, der die erste
Produktion von Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier sein wird, ist noch
offen.
So fängt keine Revolution an, und dem Publikum ist es recht. Es ist hier auf
dem Grünen Hügel ein Teil der Aufführung wie sonst nur noch bei der
Saisoneröffnung an der Mailänder Scala. Bayreuth ist Theater im Theater –
nicht nur, wenn zu Beginn des zweiten Aktes einer an eine Logentür klopft
und ebenso verzweifelt Einlass begehrt wie zu Beginn der Aufführung
Lohengrin in Brabant.
Die Besucher werden zu Akteuren
Auch sonst werden die Premierenbesucher zu Akteuren, sobald der Vorhang
fällt. Dann ist die Bayreuther Bevölkerung ihr Publikum, das draussen steht
und die VIPs fotografiert (ja, Angela Merkel und Thomas Gottschalk waren
auch wieder da). Auch besonders auffällige Roben werden geknipst und
manchmal sogar ein bisschen «Lohengrin»-Schwan: Oder ist es ein Zufall, dass
dieses Jahr etliche Damen Federn im Haar trugen?
Und Federn gibt es ja auch im Festspielhaus. Neuenfels bringt den Schwan,
das Problem aller «Lohengrin»-Regisseure, gleich mehrfach auf die Bühne.
Ausgestopft in einem Sargboot, gerupft, als Skulptur, als Federkleid für
Elsa, als Logo. Auch sonst zeigt er alle Symbole, die traditionellerweise zu
dieser Oper gehören: Es gibt Andeutungen des christlichen Hintergrunds, etwa
wenn Elsa als Märtyrerin gezeigt wird, durchbohrt von Pfeilen wie der
heilige Sebastian. Und die transparenten Gesichtsmasken der Ratten erinnern
durchaus an die Visiere der stolzen Ritter von Brabant.
Forschungsobjekte und Mob zugleich
Nur die Umgebung, die ist etwas anders als gewohnt. Ein Labor hat Reinhard
von der Thannen gebaut, klinisch rein, hell ausgeleuchtet, mit
spiegelglattem Boden und weissen Wänden. Deshalb die Ratten: Sie sind
Forschungsobjekte und Mob zugleich. Manchmal hängen sie ihre Rattenkostüme
an den Haken, dann kommen gelbe Fräcke oder schwarze Anzüge zum Vorschein.
Aber die Pfötchen verraten ihre Natur auch dann.
Lohengrin und Elsa sind ebenfalls Teil dieses Forschungsprojekts. Was ist
Liebe?, lautet die Frage, die seziert werden soll. Oder genauer: Ist blinde
Liebe möglich? Nein, lautet die Antwort – Elsa fragt Lohengrin trotz des
Verbots («nie sollst du mich befragen»), wer er sei. Und Neuenfels hat
darauf geachtet, dass die Unmöglichkeit dieser Liebe von Anfang an klar
wird. Da gibt es keine Berührung zwischen den beiden, kaum einen Blick. Das
Bett steht wie ein Museumsobjekt auf einem Podest. Zur Umarmung kommt es
erst, als alles vorbei ist.
Ein leiser Lohengrin
Ob es daran liegt, dass auch zwischen den Sängern der Hauptpartien wenig
passiert? Von Leidenschaft, von Anziehung ist wenig zu spüren, und auch die
Enttäuschung über die gescheiterte Liebe stammt aus dem Reagenzglas einer
präzisen Rollenanalyse. Trotzdem, gut sind sie beide: Annette Dasch als
Elsa, die in ihrem «Es gibt ein Glück» zumindest für einen Moment an das zu
glauben scheint, was sie so wunderbar fliessend singt. Und Jonas Kaufmann
als auffallend leiser Lohengrin, dessen Tenor etwas kehliger wirkt als auch
schon – vielleicht, weil er alles tut, um Heldenpathos zu vermeiden. Bei
Wagner-Sängern gebe es oft «zu viel Wobble», sagt er in seiner Biografie;
bei ihm gibt es das tatsächlich nicht.
Auch sonst widersetzt sich dieser «Lohengrin» vielen Wagner-Klischees.
Der Chor brüllt nicht, im Gegenteil: Zarter, durchsichtiger hört man diese
Partien selten. Und bei den Protagonisten brüllen nur die Bösen.
Hans-Joachim Ketelsen setzt als Telramund auf einen betont ungehobelten
Sprechgesang, Evelyn Herlitzius als Ortrud steigert das Prinzip zum
Keifgesang – technisch nicht ganz lupenrein, aber wirkungsvoll.
Nie bombastisch
Auch das Orchester unter der Leitung des 31-jährigen Andris Nelsons spielt
klar, elegant, nie bombastisch. Zwar ist der «Lohengrin» lange vor dem Bau
des Bayreuther Festspielhauses entstanden, und manchmal würde man sich mehr
klangliche Direktheit wünschen, als der verdeckte Graben es erlaubt.
Gleichzeitig bringt diese Architektur jene instrumentale Magie zur Geltung,
die gerade den späteren Wagner ausmacht: Wie das erste Vorspiel von
himmlischen Sphären in irdische Tiefen hinunterstrahlt – das erzählt schon
die halbe Geschichte des Abends. Es gehe darum, in jedem Moment die Zukunft
mitzudenken, hat Nelsons in einem Interview gesagt. Was er damit gemeint hat
und wie er es den Sängerinnen und Sängern vermittelt hat, das ist in jedem
Moment zu hören.
Ovationen und Buhstürme
Und der Regisseur? Nie sollst du ihn befragen. Er äussert sich zwar
wortreich zu seiner Arbeit und zu Wagners «schartigem sich Festhalten an der
Krume der Existenz». Ansonsten hat er vor allem Bilder gestaltet: starke,
sinnige, selbstverliebte. Sie verselbstständigen sich schon bald einmal. Und
wenn man nach den Ovationen für die Musik und den Buhstürmen für die Regie
vom Hügel hinabsteigt, hat man drei Aufführungen hinter sich: eine
Bayreuther Premiere. Einen «Lohengrin». Und einen Neuenfels.
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