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Main Post, 26. Juli 2010 |
Ralph Heringlehner |
Wagner: Lohengrin, Bayreuth, 25. Juli 2010
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Lohengrin unter Ratten
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Hans Neuenfels macht sich wenig Freunde unter den
Wagnerianern. Dabei hat seine Inszenierung bei den Festspielen von Bayreuth
durchaus Qualitäten. |
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Lohengrins
Schwan schwebt herab – gerupft! Ein paar Lacher schallen durchs Bayreuther
Festspielhaus. Dass bei „Lohengrin“ gelacht wird, ist unüblich. Es sind
keine fröhlichen Lacher. Eher klingen sie verunsichert. Es ist auch zu
beunruhigend, zu grotesk, zu ungewöhnlich, was Regisseur Hans Neuenfels zur
Eröffnung der Richard-Wagner-Festspiele bot.
Neuenfels, noch von dem im März gestorbenen Wolfgang Wagner engagiert, geht
von einer gar nicht so ungewöhnlichen Grundidee aus: Er sieht die Opernbühne
als Labor. Der Zuschauer beobachtet, wie sich die Charaktere verhalten. Doch
der 69-jährige Regisseur, der gerne mal aneckt, setzt dieses Grundkonzept
radikal um: In seinem Labor tummeln sich, wie in vielen Labors dieser Welt,
Ratten. Die Choristen sind entsprechend kostümiert. Nur ab und an dürfen sie
zeigen, dass sich unter dem Fell Menschen verbergen. Die Grenze verwischt.
Der Mensch wird zum Versuchstier, die Oper um den Schwanenritter, der von
der Gralsburg kommt, um Elsa zu helfen, zur radikalen Utopie über die
Freiheit des Menschen.
Menschen im Labor
Mit der ist es in der Sicht des Regisseurs nicht allzu weit her. Unter genau
definierten (Labor-)Bedingungen verhalten Menschen sich so vorhersehbar wie
Laborratten. Sie intrigieren, sie bekämpfen sich. Selbst der Ritter aus der
jenseitigen Region der Gralsburg ist unfrei. Er ist von seltsamen Regeln
abhängig: Nicht einmal die Gattin darf wissen, wie er heißt („Nie sollst du
mich befragen“). Warum das so ist? Neuenfels gibt keine Antwort. Die
Menschen sind in der sterilen Umgebung des Bühnenbilds von Reinhard von der
Thannen unbekannten Kräften ausgesetzt, sind Sklaven innerer Antriebe, die
sie nicht kontrollieren können. In der klassischen Theatertradition würde
man dazu „Schicksal“ sagen.
Neuenfels' Verrattung der Welt, von der die Hauptfiguren ausgenommen sind,
sorgt auf der Bühne des Festspielhauses streckenweise für kafkaeske, teils
bedrohliche Bilder, die unter die Haut gehen. Oft schießt er allerdings in
seiner Symbol-Verliebtheit übers Ziel hinaus. Etwa, wenn beim Kampf zwischen
Lohengrin und Telramund im ersten Aufzug auf einem aus dem Bühnenhimmel
schwebenden Videoschirm Trickfilm-Ratten miteinander kämpfen und das Blut
des unterlegenen Tieres sich zu einer Krone formt. Das ist denn doch zu
überdeutlich . . .
Generell nimmt Neuenfels Wagner ernst. Nur die, mittlerweile von der
populären Kultur verkitschte, Hochzeitsszene im dritten Aufzug wird der
Lächerlichkeit preisgegeben: Wenn der Chor auf übergroßen Rattenpfoten
watschelnd „Treulich geführt . . .“ anstimmt, hat das satirische Qualitäten.
Im Festspielhaus wird lauthals gelacht. Die sich anschließende Szene im
Brautgemach ist dann wieder intim, innerlich und ernsthaft. In ihrer
Konsequenz ist Neuenfels' Sicht des „Lohengrin“ spannend. Sie ist auch
unterhaltsam – beides Kennzeichen für gutes Theater.
Doch was hat all das mit Wagner zu tun? Von Ratten ist in dessen
„Lohengrin“-Libretto nun wirklich nicht die Rede. „Wem am Lohengrin nichts
weiter begreiflich erscheint, als die Kategorie Christlich-romantisch, der
begreift eben nur eine zufällige Äußerlichkeit“, schrieb Richard Wagner
1851. Für Regisseure a la Neuenfels ist das die Aufforderung, nicht den Text
zu inszenieren, sondern den Subtext. Und die seltsamen Zwänge, denen im
Lohengrin alle zu unterliegen scheinen, die sind bei Wagner ja wirklich da.
„Es geht um Identität: Wer bin ich? Was führt uns Menschen zueinander?“,
fragt Neuenfels im Programmheft.
Jonas Kaufmann ist der Star
Vor ausverkauftem Haus wollten bei der Premiere die Brücke von Neuenfels zu
Wagner viele nicht schlagen. Der Regisseur wurde kräftig ausgebuht. Er
schien es beinahe zu genießen. Einstimmig war das Publikums-Votum für den
Titeldarsteller: Jonas Kaufmann. Der Klassik-Star ist ein Lohengrin, wie man
ihn selten erlebt. Der 41-Jährige kann mit seiner Stimme jenseits der Worte
feinste Gefühlsregungen transportieren. Die Emotionen kommen noch in der
letzten Reihe des Festspielhauses an. Seine Gralserzählung beginnt er
unendlich leise und zart, als blicke er voll Wehmut tatsächlich in jedes
„ferne Land, unnahbar euren Schritten“. Das hat Gänsehaut-Qualität. Auf der
anderen Seite ist da aber auch der strahlende, kraftvolle Tenor, der
selbstsichere Gralsritter. Kaufmanns Lohengrin ist auch ein Musterbeispiel
dafür, wie wichtig die Körperlichkeit eines Sängers ist: Der durchtrainiert
wirkende Bayreuth-Debütant ist auch optisch eine glaubhafte Figur.
Regisseur Neuenfels hat auf Feinheiten der Mimik und Gestik geachtet – noch
ein Plus dieses „Lohengrin“. So überzeugen Annette Dasch (Elsa),
Hans-Joachim Ketelsen (Telramund) und Evelyn Herlitzius (Ortrud) nicht nur
stimmlich, sondern auch schauspielerisch. Samuel Youn gibt dem Heerrufer die
passende stimmliche Präsenz – die Rolle ist für das musikalische Gelingen
des „Lohengrin“ eminent wichtig. Georg Zeppenfeld überzeugt als König
Heinrich.
Die szenischen Spannungsmomente werden aus dem Orchestergraben unterstützt.
Andris Nelsons führt das Festspielorchester zu einem entschlackten
Wagner-Klang. Jede Menge Feinheiten sind da zu hören. Statt schwülstiger
Romantik bietet der 31-jährige Lette kräftige Farben. Und selbst dann klingt
das Orchester schlank und durchsichtig. Die souveränen Chöre (Eberhard
Friedrich) setzen Akzente. Rattenkostüme scheinen beim Singen nicht zu
behindern. |
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