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Kurier, 27. Juli 2010 |
Gert Korentschnig |
Wagner: Lohengrin, Bayreuth, 25. Juli 2010
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Bayreuth: Sinnentleerter Möchtegern-Skandal
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Kritik: Die Bayreuther Festspiele haben für "Lohengrin"
den besten Tenor für die Titelpartie. Und scheitern dennoch an Richard
Wagners Werk. |
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Soll
ja niemand sagen, dass das ein Skandal war. Ein Skandal muss provokant sein,
einen ärgerlichen interpretatorischen Ansatz bringen, das Publikum
erschüttern oder zumindest Emotionen wecken. Im Idealfall für jene, die den
Skandal produzieren, bildet sich gleich nach Ausrufung dessen ein harter
Kern, der die Aufführung zum Kult erhebt. Im Idealstfall ändert sich
irgendwann die Wahrnehmung, und das, was einst ein Skandal war, wird von der
Rezeptionsgeschichte gewürdigt.
Also bitte: Kein Skandal.
Was Hans Neuenfels in Bayreuth mit seiner Inszenierung des "Lohengrin"
zeigt, ist einfach nur Nonsens. Nicht Klamauk, denn der bräuchte ein
Mindestmaß an Humor. Nein: Nonsens, sinnentleert, sinnlos.
Die Geschichte von Parsifals Sohn, der von der Burg Montsalvat zu den nicht
ganz so starken Menschen geschickt wird, um Elsa vom Vorwurf des
Kindesmordes freizusprechen, sich in sie zu verlieben, sie in ihn verliebt
zu machen, ihr aufzutragen, ihn niemals zu befragen, wer er sei (leider ist
sie dann so blöd, das doch zu tun) und am Ende abzuhauen wie viele Männer,
denen etwas nicht passt - diese Geschichte wird von Neuenfels in einem
Versuchslabor angesiedelt. Es geht um Experimente mit und an Ratten, um die
Schaffung eines höheren Wesens, ums Eingesperrtsein und um den Wunsch nach
Freiheit.
Der Chor tritt in Rattenkostümen auf, legt diese später ab und erscheint in
gelben Anzügen, dann im Smoking, jedoch mit Rattenfüßen und -Händen. Die
Damen sind fesche Mäuse.
Schon beim Vorspiel sieht man Lohengrin, der eine Wand des Bühnenbildes
mühsam nach hinten schiebt und damit dem Versuchslabor erst Gestalt gibt.
Ortruds und Telramunds Gemach vor der Burg von Antwerpen ist eine
verunfallte Kutsche mit einem toten Pferd davor. Das Münster gibt es nur in
Form eines Kreuzes. Der Schwan, auf dem Lohengrin erscheint, ist zunächst
ein echter, dann ein gerupfter, irgendwann einer aus Porzellan und
schließlich ein toter. Und am Ende springt der verwandelte Gottfried als
hässlicher Fötus aus dem Ei, zerreißt seine Nabelschnur - und die Masse
fällt tot um.
Sinnfrei
Soweit die absurde Ausstattung. Inhaltlich bizarr wird es durch die
Konfrontation mit dem Libretto. Wenn etwa König Heinrich seine Untertanen
als "liebe Männer von Brabant" anspricht und ihn nur Ratten anschauen - dann
fragt man sich: Ist das Neuenfelsens Abrechnung mit den Deutschen? Sind sie
nur Ratten, die sich erst langsam vermenschlichen und am Ende ihre Masken
ablegen? Hat er zu oft den Film "Ratatouille" gesehen - nein, dafür ist die
Regie zu unlustig. Will er eine Hommage an Gerhart Hauptmann zeigen? Oder
wurde er vom Film "Bernard und Bianca" inspiriert, in dem es ja auch einen
seltsamen Vogel gibt, der Probleme mit der Landung hat?
Da sich aber nichts der Logik Förderliches einstellt, verliert man zunehmend
die Lust, das auf der Bühne Nicht-Gedeutete selbst krampfhaft deuten zu
wollen. Mit "Lohengrin" hat diese Inszenierung jedenfalls nicht das
Geringste zu tun. Intellektuell zurechtbiegen kann man sich alles - aber
mehr Sinn bekommt der Abend dadurch nicht.
Dazu kommt ein Tabubruch, den Neuenfels begeht: Er stellt Elsa im zweiten
Aufzug in einem Glaskobel auf die Bühne, der leicht spiegelt. Dadurch sieht
man minutenlang den Dirigenten im Ruderleiberl bei der Ausübung seines
Handwerks. Ein Fauxpas, weil in Bayreuth das Orchester in einer Muschel
sitzt und es zum Gesamtkonzept des Wagner-Hauses gehört, dass die Musik wie
aus dem Nichts auftaucht. Dass die neuen Bayreuth-Chefinnen Katharina Wagner
und Eva Wagner-Pasquier das gleich im ersten Jahr nach dem Tod ihres Vaters
durchgehen ließen, verwundert sehr.
Jedenfalls ist es Bayreuth wieder gelungen, dass viel mehr über die Regie
diskutiert wird als über die Musik - insofern steht die neue Führung in der
Tradition der alten. Zur Ehrenrettung: Neuenfels wurde noch von Wolfgang
Wagner engagiert.
Musikalisch ist die einzige Bayreuther Premiere heuer ebenfalls eine Art
Versuchslabor mit vielen Debütanten.
Andris Nelsons am Pult des phänomenal klingenden Orchesters sorgt für
berückende Momente. Mit der Akustik hat er aber erkennbar Probleme und deckt
die Sänger immer wieder zu - was in Bayreuth sehr ungewöhnlich ist.
Interpretatorisch hat er zu "Lohengrin" keinen erkennbaren Beitrag zu
leisten, die emotionale Tiefe ist aber verblüffend. Nelsons ist drauf und
dran, Weltkarriere zu machen - vielleicht kam sein Bayreuther Debüt jedoch
ein paar Jahre zu früh.
Der Chor agiert trotz der blöden Viechereien grandios. Die Solisten sind
nicht durchgehend top besetzt. Georg Zeppenfeld bildet eine der Ausnahmen
als nobler König Heinrich. Hans-Joachim Ketelsen ist für Lucio Gallo als
Telramund eingesprungen und hat Mühen mit dieser Ratten-, nein Hundspartie.
Evelyn Herlitzius ist eine schrille, aber mächtige Ortrud, Samuel Youn ein
famoser Heerrufer. Annette Dasch stößt bei der Gestaltung der Elsa klar an
ihre Grenzen. Dass sie bei der Generalprobe von einem "Parsifal"-Requisit k.
o. geschlagen wurde, kann nur bedingt verantwortlich sein für Unsauberkeiten
bei der Intonation und Unsicherheiten in der Höhe.
Hinreißend agiert Jonas Kaufmann als Lohengrin. Er spielt neben den
vielen Ratten den einzigen Normalo dieser Produktion, sieht gut aus und
begeistert mit metallischen Spitzentönen, prachtvollen Schattierungen in
seinem fast baritonal tönenden Tenor, Wortdeutlichkeit und hoher
Phrasierungskunst. Allein seine Gralserzählung ist eine reine Freude.
Kaufmann ist es, der eine neue Dimension des Lohengrin präsentiert - und
nicht dieser Unsinn an Inszenierung.
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