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Die Presse, 27. Juli 2010 |
WILHELM SINKOVICZ |
Wagner: Lohengrin, Bayreuth, 25. Juli 2010
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Wagners gerupfter Schwan im Ratzenstadel
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BAYREUTH 2010. Hans Neuenfels und Andris Nelsons
debütierten mit dem „Lohengrin“ auf dem Grünen Hügel. |
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Lohengrin“, die Neuproduktion der Bayreuther Festspiele 2010? Natürlich
nicht. Hans Neuenfels hat inszeniert, also etwas Eigenes herausgebracht, das
viele Zuschauer amüsiert und manche – die gekommen waren, „Lohengrin“ zu
sehen – sehr aufgeregt hat.
Die Musik also zuerst. Andris Nelsons, der 31-jährige lettische
Hoffnungsträger am Dirigentenpult: Das Festspielorchester reagiert auf seine
Gebärdensprache mit Ausschüttung von allerlei höchst eindrucksvollen
Akzenten, Attacken und sonstigen Furiosa. Während der oft sehr langen
Strecken zwischen den Eruptionen fehlt es dem jungen Kapellmeister freilich
an handwerklichem Geschick, Wagners lange Entwicklungslinien
nachzuvollziehen.
Der notorische Kampf mit der Akustik
In den großen Ensemblesätzen, namentlich im Finale des zweiten Akts,
verwandelt sich die Musik bald in eine Art tönenden Treibsands, in dem
sämtliche Einzelstimmen haltlos versinken. Dann die Bayreuther Akustik,
notorisch gnadenlos für Einsteiger. „Werkstatt Bayreuth“? Mag sein, das
„Lohengrin“-Vorspiel klingt kommenden Sommer schon durchhörbarer – und im
Anflug auf den Fortissimo-Gipfel von der Melodielinie geführt und nicht vom
harmoniefüllenden Blech. (Wo man auf der Zeitachse gerade war, suggerierte
diesmal nur Nelsons' Ritardando vor dem Beckenschlag...)
Wie auch immer: Die Lust des Dirigenten an der Provokation jäher Ausbrüche
und Überraschungsmomente trieb Früchte auf der Szene. Am ungleichen Paar der
Bösewichter, Ortrud und Telramund, ließ sich das Bayreuther Besetzungs-Weh
unserer Tage wunderbar ablesen; pardon: abhören. Hans Joachim Ketelsen,
alles andere als ein Bariton mit schöner Stimme, wurde dank vokaler Präsenz
und eminenter Wortdeutlichkeit zum Akteur des Abend. Aus seiner Kehle drang
kein schöner Ton, doch jede Sprachnuance, die ein veritabler Telramund
braucht. Das riss auch Evelyn Herlitzius zu drastischer Vokal-Aktion hin.
Sie brüllt mehrheitlich, doch das mit Methode, jeder bekommt das mit: Eine
solche Blume des Bösen sondert Schrecken aller Art ab.
Wenn diese beiden zu Beginn des Mittelaktes auf dem Boden herumkugeln, dann
gewinnt man beinah den Eindruck, Regisseur Neuenfels hätte sich da zu einer
Personenführung hinreißen lassen, die Wagners szenische und psychologische
Andeutungen in drastisches heutiges Theater umzusetzen wünscht.
Das Nämliche gilt für die Brautgemach-Szene, wo der bis dorthin
unglaublich dezente, ja zaudernde Lohengrin von Jonas Kaufmann mit einem Mal
seine tenoralen Säuselgewohnheiten ablegt und baritonal-männlich Stimme
gibt, um seine höchst frauliche Elsa, Annette Dasch, zum Vollzug der
ehelichen Pflichten zu überreden. Die aber scheut und zieht es vor,
nähere Informationen über den Gemahl einzuholen.
Bei Wagner kulminiert hier das Geschehen. Doch an „Geschehen“ mangelt es der
neuen Bayreuther Produktion ganz und gar. Jenseits jeglicher Sinngebung geht
König Heinrich (Georg Zeppenfeld, auch stimmlich sehr dezent) gleich zu
Beginn der Aufführung in die Knie: Sobald er nämlich sieht, dass sich seine
gräflichen brabantischen Vasallen in Ratten verwandelt haben.
Warum das so ist, wird wie alle anderen Fragen, die sich stellen könnten, an
diesem Abend nicht beantwortet. Dafür gibt es Trickfilmzuspielungen – eine
fiel zur Premiere aus! Und eine Slapsticknummer, die in jedem Zusammenhang
amüsant wäre, nur nicht während des großen Zwischenspiels, das Wagner zur
Überleitung ins Hochzeitsbild komponiert hat.
Im weitgehend sinnfreien sterilen Rattenlabor (Bühne: Reinhard von der
Thannen), über dem einmal Buhrufe fördernd ein gerupfter Schwan schwebt,
heißt es daher durchgehend: Ohren auf, wenn du ein Stück, wenn schon nicht
das (gerupfte) Stück von Wagner erhaschen willst.
Die „Gottgesandten“ in der Politikerloge
Jonas Kaufmann also als Lohengrin? Das bedeutet viele sehr elegante
Tenortöne, namentlich dort, wo sich der Sänger auf seine eigenwillige
Mischtechnik zwischen Kopf- und Bruststimme verlässt. Und das sind
erschreckend viele Passagen; was für sein Fortkommen nicht nur im heldischen
Fach fürchten lässt. Derzeit ist er ein guter Partner der
lyrisch-verhaltenen Elsa Annette Daschs – die ja ihrerseits achtgeben
sollte, ihren Sopran nicht zu überfordern.
Zuletzt ist immerhin eine Frage klar beantwortet: Warum dem vokal sicheren
Heerrufer Samuel Youns von Anbeginn die Haare zu Berge stehen. Selbst der
sonst in der Regel makellose Bayreuther Chor tönt ja diesmal beinah
schmächtig; vielleicht, weil ihn Neuenfels kaum wirkungsvoll führt und
selten direkt ins Publikum singen lässt. Mit einer Ausnahme: Als nach
zweimaligem Aufruf das Wunder geschieht und es hell im Saal wird, jubiliert
das gesamte Ensemble „gottgesandt, gottgesandt“ in Richtung Königsloge: Dort
saßen die deutsche Kanzlerin und unsere Frau Innenministerin.
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