|
|
|
|
|
Wiener Zeitung, 27. Juli 2010 |
Von Jörn Florian Fuchs |
Wagner: Lohengrin, Bayreuth, 25. Juli 2010
|
In der Scheune des Grauens
|
Unlogisch, provozierend, genialisch: Hans Neuenfels
inszeniert "Lohengrin" in Bayreuth |
|
Einen seltsamen Moment gab es nach dieser Festspielpremiere. Als beim
Applaus Hans Neuenfels der erwartbare Buhsturm entgegenbrandete, da standen
plötzlich die Wagner-Schwestern vor dem Vorhang, nicht etwa um dem Regisseur
Blümchen zu überreichen, sondern um selbst Beifall einzuheimsen. Was sollte
das?
Auf der nachfolgenden Feier im Neuen Schloss zu Bayreuth dröhnte dann der
Bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer über diverse Lautsprecher und
ehrte die Künstler. Hernach stellte er als Überraschungsgast Kanzlerin
Merkel vor. Selbige gratulierte ebenfalls, sie fände es toll, dass mit den
beiden Wagners die Tradition nun "irgendwie" weitergehe.
Rückblende, zwölf Stunden vorher: Auf dem Presseempfang erklärt Neuenfels,
wie absurd das eigentlich sei: der verrückte Komponist, ein debiler Monarch,
das versudelte Dorf Bayreuth. Die Stimmung ist exzellent und sogar Eva
Wagner-Pasquier, die sonst so schweigsame Intendantendame, sagt einige
Worte.
Allerlei und gar nichts
Wenig später folgt dann die erste Premiere des Tages. Auf einer Probebühne
probieren ein paar junge Musiker eine Kinderfassung des "Tannhäuser" (Idee:
Katharina Wagner). Alles spielt im Internat, "Tanni" wählt als beste
Freundin ein Skatergirl und vernachlässigt dabei das dickliche Mädel aus der
Nachbarklasse. Die skatende Venus lockt ihn mit grotesk hässlichem Spielzeug
in ihre Falle, der er jedoch entkommt und zur Strafe nach Rom muss.
Irgendwann kehrt er dann zurück, und alles weitere bleibt offen. Leider ist
die geraffte Opernversion weder kindertauglich noch Erwachsenen
unterhaltend, es ist eine kurios gescheiterte Mischung aus allerlei und gar
nichts und führt beim Publikum aller Altersstufen rasch zur Ermattung.
Etwas später gibt es dann nochmals eine Art Kinderoper. Eigentlich ahnten
wir es schon immer, das Festspielhaus ähnelt ja einer Scheune, und zu einer
solchen gehört Ungeziefer. Hans Neuenfels lässt die romantische Oper
"Lohengrin" in einem Labor spielen, es gibt weiße, schwarze und rosa Ratten,
die sich manchmal in halbwegs ordentlich gekleidete Choristen verwandeln.
Was war sonst noch geboten? Gleich mehrere Schwäne, darunter einer aus
Gummi, ein weiterer, den die böse Ortrud niederringt und der sich wundersam
wieder aufrichtet, und einer im schwarzen Sarg. Auch gab es Laboranten, die
von den Seiten in Reinhard von der Thannens meist klinisch weiß gehaltenen
Raum hereinstürzten, mal züchtigten sie die Tierchen, mal schien es
umgekehrt, als ein Beruhigungsserum gegenteilige Wirkung erzielte.
Während der erste Aufzug noch mit diversen Verwandlungen der Nagetiere
aufwartete, spielte der zweite Akt größtenteils vor einer schwarzen Kutsche,
mit der Ortrud und Telramund verunglückten, nachdem sie die Brabanter
Staatskasse geplündert haben. Im dritten Aufzug verwandelte sich dann auch
Telramund in eine Ratte, ein Film zeigte Ratten, die ein Gerippe mit
Königskrone abnagen. Elsa trug Schwarz, und Lohengrin verabschiedete sich,
nicht ohne zuvor einen Sarg mit riesigem Ei zu präsentieren, aus dem ein
Embryowesen zwischen Mensch und – man ahnt es – Nagetier entschlüpfte.
Diesem Zwitter mögen nun die inzwischen wie (menschliche) Soldaten wirkenden
Massen folgen.
Rätselhaft und mythisch
Vieles in dieser Inszenierung passt nicht zusammen, bleibt rätselhaft. Doch
in allem (W)Irrsinn blitzen immer wieder fast mythische Bilder auf, die sich
tief einprägen und nachwirken. Außerdem ist die ganze Rattenchoreographie
von einer absolut umwerfenden Komik, dagegen setzt Neuenfels intensivste
Momente.
Und die Musik? Mit Jonas Kaufmann steht ein Heldentenor zur Verfügung,
der manchmal einen gaumigen Anlauf nimmt, jedoch mit seinem vokalen Schmelz
und Schmerz vollauf überzeugt. Annette Dasch bleibt als Elsa reichlich
blass, forciert aber immerhin nicht. Ein Totalausfall ist Evelyn Herlitzius,
die sich grobschlächtig durch die Partie brüllt. Auch Hans-Joachim Ketelsens
Bariton ist hörbar in die Jahre gekommen. Exzellent waren Samuel Youn als
Heerrufer und vor allem Georg Zeppenfeld als König Heinrich. Der Lette
Andris Nelsons dirigierte sehr elegant, organisch, farbenreich, konnte aber
Abstimmungsprobleme nicht verhindern.
|
|
|
|
|
|