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Der Standard, 27. Juli 2010 |
Ljubiša Tošić |
Wagner: Lohengrin, Bayreuth, 25. Juli 2010
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Opernexperiment mit Menschenmäusen
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Premiere von "Lohengrin": Regisseur Neuenfels entwirft
eine Laborsituation, in der Emotionen abgetestet und Mäuse zu Menschen
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Wer
- womöglich werden es vier Regisseure sein - den nächsten Ring des
Nibelungen in Bayreuth (2013) inszenieren wird, sagen die Wagner-Schwestern
Eva und Katharina nicht. Sicher ist nur, dass alle Teile von Siemens live
ins Freie übertragen werden. Neuerung in Bayreuth bedeutet unter dem
frischen Leitungsduo zunächst wohl den Versuch, eine Nachfrage populär und
symbolisch zu bedienen, der man eigentlich nicht gerecht werden kann.
So helfen Podcasts, Kinderoper auf der Probebühne und heuer eine
Walküre-Vorstellung für die geneigten Public-Viewing-Massen unter freiem
Himmel (21. August), Öffnung und Auffrischung zu signalisieren. Man ist ja
jedes Jahr so an die achtfach überbucht, für Karteninteressenten auf Jahre
hin also eine uneinnehmbare Burg. Man könnte locker auf Saisonbetrieb
umschalten und wäre immer noch voll. Aber nicht mehr Bayreuth. Es ist ja
alles sehr kompliziert und vor allem teuer hier.
So wundert es nicht, dass Katharina Wagner (quasi die Außenministerin der
Festspiele, während Eva Wagner-Pasquier eher im Bayreuther Inneren wirken
soll) jede vorgeschlagene Idee an den Wunsch knüpft, Sponsoren zu finden.
Auch beim Vorhaben, 2013 selbst die Frühwerke Wagners aufführen zu lassen.
Komödiantischer Aspekt
Immerhin: Für putzig-lustige Ratten ist in Bayreuth noch ausreichend Geld.
Hans Neuenfels hat sich solche ja gewünscht; er denkt sich Wagners Lohengrin
in ein Labor hinein, in dem ein Experiment um Vertrauen, Macht und neue
Ordnung stattfindet. Da sind Laborratten nicht mehr fern. Mit ihnen bringt
Neuenfels zunächst einen auch kindlich-komödiantischen Aspekt in seine
abseits der Mäuse die Beziehungen der Menschenfiguren überwiegend genau
gestaltende Inszenierung, der Reinhard von der Thannen helle geometrische
Räume gebaut hat.
Zum anderen bieten sie Neuenfels Schutz gegen jegliches Überpathos. Und sie
geben dem Chor jenen gestischen Freiraum, um als brabantische
Mäusevolkmassen einen schillernden Unruheherd zu bilden. So werden die
Tierchen, die schließlich langsam zu Menschen mutieren, bevor sie allesamt
umfallen, zum szenischen Dauergag, der gleichermaßen Wut provoziert wie
sympathieerfüllte Publikumsheiterkeit.
Neuenfels hat also seine Freude daran, Rezeptionsklischees zu unterlaufen
(hilfreich auch das Ordnung schaffende Laborpersonal in Schutzanzügen). Und
obwohl dies ganze Mäuseballett etwas von einer allzu verspielten
Gedankenkonstruktion hat, umgeht der Regisseur keinesfalls den schmerzvollen
Teil der Geschichte. Elsa (hohe Präsenz plus ein paar vokale Unsicherheiten:
Annette Dasch) ist hier gleich zu Beginn eine von Pfeilen durchbohrte
Angeklagte, die schließlich ihrem Retter die Identitätsfrage nicht erspart
und am Ende wie eine Witwe schwarze Resignation trägt.
Dazwischen wird sie in einer Vitrine ins Labor geschoben, oder sie trägt ein
Kleid aus Schwanenfedern. Oder sie trifft Lohengrin im Schlafgemach zum
Vertrauensdisput. Neuenfels hat ihn zum modernen, coolen Jüngling
stilisiert, der seine Ziele verfehlt und die Konsequenzen zieht. Wobei: Der
in allen Ausdruckslagen kultiviert klingende Jonas Kaufmann wirkt bisweilen
etwas unterinszeniert und damit als Kontrast zu dem genau ausgestalteten
Rest (etwa der souveräne Georg Zappenfeld als Heinrich oder der nicht immer
sichere Hans-Joachim Ketelsen als Friedrich).
Dem Schwan hat man reichlich Aufmerksamkeit geschenkt. Er kommt ausgestopft
im Sarg daher, er ist eine Keramikskulptur, die Ortrud (im Dramatischen
extrem derb: Evelyn Herlitzius) besteigen kann. Er kommt auch vom Himmel,
dann aber gerupft und federnlos. Und es kommen am Ende seine Federn wieder
im Sarg, der noch was bringt - ein Ei, in dem der neue Führer von Brabant
sitzt. Er ist ein schlecht gelauntes Neugeborenes, das Teile der Nabelschnur
herumwirft. Ist das der Überbringer von Hoffnung?
Dirigent Andris Nelsons hat sich da schon eher als Zukunftshoffnung
präsentiert. Das Orchester klingt kompakt, Nelsons verfügt über hohe
Innenspannung, sorgt für Transparenz und hat Sinn für die zart schimmernden
Feinheiten der Partitur. Bei manchem hatte er vielleicht zu viel
Strukturbewusstsein. Den Hauptzorn bekommt aber Neuenfels ab, wobei: Da war
auch viel Sympathie. Er würde übrigens gerne wiederkommen, wenn ihn die
Schwestern rufen. Zum Ring 2013. Ob's seine Opernmäuse dann noch gibt?
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