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Focus, 26. Juli 2010 |
Gregor Dolak |
Wagner: Lohengrin, Bayreuth, 25. Juli 2010
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Wagner-trunken bis zur Ernüchterung - Eine Tragödie auf
Ratten
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Vom großen Rausch in den Absturz: Hans Neuenfels´
„Lohengrin“ tanzt, kreist, taumelt um die Idee eines Tierversuchs – mit
Ratten, Ritter und natürlich Schwan. |
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Alkohol
ist keine Lösung – aber immerhin einen Versuch wert. Seit Wochen schlurft
der heilige Trinker der deutschen Opernregie durch Bayreuth. Bleich,
knollnasig, gurgelstimmig. Und erzählt vom Wein, den viel zu vielen
Tabletten, die er schluckt, um sein spätes Debüt bei den Festspielen über
die weltberühmte Bühne zu bringen. Wer nun Richard Wagners „Lohengrin“ durch
die Augen von Regielegende Hans Neuenfels, 69, betrachtet, der sieht: weiße
Ratten, schwarze Ratten, tanzende rosa Mäuse, allesamt nummeriert. Frauen
mit bunten Blütenhüten und Rattenschwänzen, gerupfte Schwäne,
Porzellanschwäne, sowie ein riesiges Schwanen-Ei, dem am Schluss ein
aufgedunsener Embryo an der Nabelschnur entsteigt, die er in kleine Stücke
reißt und um sich wirft.
Die Tierchen haben das Zeug zum Kult auf dem Grünen Hügel. Putzig und lustig
huschen die Chorsänger unter helmartigen Nagermasken, auf wabbeligen
Gummifüßen umher und kontrastieren mit den tragischen Stellen der
Geschichte. Die Schwanenkarikaturen dagegen sind eine fröhliche Provokation
für alle tugendwächterischen Wagnerianer, von denen es im Zuschauerraum
wimmelt wie auf der Bühne von Ratten.
Kein Exzess ohne Kater
Manchmal geraten diese Figuren wundersam und märchenhaft ins Tanzen. Dann
wieder taumelt die Inszenierung, strauchelt und landet jäh auf dem Boden.
Kein Wagner-Rausch ohne Absturz, kein Exzess ohne Kater. Vollkommen
musiktrunken sucht Neuenfels seinen Weg durch diese tiefromantische Oper um
den Schwanenritter. In den schönsten Momenten findet er Bilder, Szenen, wie
sie nur einem genialen Trunkenbold auf seinem Trip durch den Kopf schwirren
können.
Der wahrhaftigste Augenblick des Abends ist nicht von dieser Welt. Er stammt
aus jenem Zwischenreich, wo sich Bühne und Realität auf magische Art
kreuzen: Im zweiten Akt fährt Elsa von Brabant in einer gläsernen Vitrine
samt Porzellanschwan, den sie besingt, aus dem Hintergrund langsam an die
Rampe. Und auf einmal – erst fern, dann immer näher – spiegelt sich Dirigent
Andris Nelsons in der Scheibe. Im weißen T-Shirt steht er im
Orchestergraben, Wagners „mystischem Abgrund“, den noch nie ein Zuschauer
von seinem Platz aus zu sehen bekam, und dirigiert ganz hingegeben diese
zauberhafte Musik. Neuenfels hatte im Vorfeld betont, er wolle den zur
Publikumsseite hin verdeckten Graben gerne öffnen, damit jeder Nelsons bei
der schweißtreibenden Arbeit beobachten könne. Über Bande hat er es
geschafft.
Damit war der eigentliche Hauptdarsteller der Produktion nicht nur zu hören,
sondern auch zu sehen. Denn Kapellmeister Nelsons gelingt ein fabelhaftes
Dirigat. Luftig, voller Atem und sauerstoffreichen Kontrasten, filigraner
Harmonieführung und melodischem Puls. Traumschöne Vor- und Zwischenspiele.
Ein heller musikalischer Kopf zu einem inspirierten Schwipsschädel. Diese
beiden Häupter haben einen „Lohengrin“ erdacht, der manchmal die Schwerkraft
entmachtet, dabei aber mühsam an seinem Konzept zu schleppen hat.
Ein Laboratorium hat sich Neuenfels einfallen lassen, in dem Versuchsratten
einem Experiment unterzogen werden: Ein weißer Ritter kommt mit einem
sargschwarzen, von Nagern getragenen Schwanen-Nachen daher und verlangt von
seinem entflammten Weib, es dürfe ihn niemals nach Namen und Herkunft
befragen. Wie die Tierchen und Menschen auf diese Vertrauenszumutung
reagieren werden, das lässt der unsichtbare Theatergott einen Trupp
Laboranten in grünen Schutzanzügen an den Probanden von Brabant testen.
Manche der Tiere mutieren, wechseln die Körperfarbe oder gleich die ganze
Erscheinung. Die Hauptversuchsfrau, Elsa, kann auf Dauer nicht widerstehen –
und macht so den Ritterretter Lohengrin zunichte. Eine Tragödie auf Ratten.
Was im ersten Akt noch allzu versponnen beginnt, gelingt im zweiten Akt
eindrucksvoll. Hier entwickelt Neuenfels eine Leichtigkeit und
Verspieltheit. Er choreografiert die Ratten, lässt sie in ihren Käfigen zu
Wagners Musik tanzen. Eine bunte, assoziative Welt gerät kreisend im
Bewegung. Was der Regisseur anfangs noch an Personenführung unterlässt,
gelingt ihm in dieser Phase: berührende Duette, vor allem zwischen Elsa und
ihrer intriganten Gegenspielerin Ortrud, dem weißen und dem schwarzen Schwan
der Inszenierung.
Im dritten Akt aber bekommt Neuenfels die Fäden seines Konzepts nicht mehr
zu fassen: Zu Elsas verbotener Frage projiziert er ein riesiges „?“ auf die
Kulisse, gefolgt von Lohengrins zutiefst enttäuschter Antwort mit „!“.
Hinter der gesamten Arbeit aber bleibt ein Fragezeichen stehen. Auch weil
die Sängerleistungen eher durchwachsen waren. Annette Dasch (Elsa)
enttäuschte, hatte in der Höhe große Schwierigkeiten, sang matt und
merkwürdig gehemmt. Die Darstellerin ihrer Kontrahentin, Evelyn Herlitzius
(Ortrud) dominierte in Ensembleszenen über simple, undifferenzierte
Lautstärke, aber mit flatterigem Vibrato. Hans-Joachim Ketelsen (Telramund)
oder Georg Zeppenfeld (König Heinrich) blieben unscheinbar.
Buhgewitter für den Regisseur
So musste Jonas Kaufmann (Lohengrin) alle Last alleine schultern. In
raren Augenblicken ließ der Startenor seine Bravour aufleuchten, zuvorderst
im Gralsgesang am Ende. Aber das ganz große Feuer konnte auch er nicht
durchgängig am Leben erhalten. Am Ende immerhin erntete er stürmischen
Applaus, während Kollegin Herlitzius gnadenlos ausgebuht wurde. Nirgends
reagiert das Publikum so militant wie in Bayreuth. Das bekam Regisseur
Neuenfels zu spüren, der kopfschüttelnd-lachend im wahren Buhorkan stand. So
böse, dass sich die beiden Festspielleiterinnen Katharina Wagner und Eva
Wagner-Pasquier demonstrativ zu ihm auf die Bühne stellten. Wenn auch nur
für einen Vorhang. Als der gefallen war, verschwanden sie ebenso geisterhaft
wie sie erschienen waren.
Ein vielsagender Kürzestauftritt. Was diese erste wirkliche Neuproduktion
der beiden Halbschwestern über die Richtung ihrer Intendanz aussagt, bleibt
vage. Den Regisseur hatte noch ihr Vater Wolfgang Wagner verpflichtet. Die
Sängerdarbietung, die vor allem die Ältere der beiden hörbar verbessern
will, war suboptimal. Eine Spur von Ernüchterung bleibt.
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