Münchner Merkur, 26. Juli 2010
Markus Thiel
Wagner: Lohengrin, Bayreuth, 25. Juli 2010
Totale Symbol-Verirrtheit - "Lohengrin“ mit Jonas Kaufmann
 
Bayreuth - Hans Neuenfels hat für die Wagner-Festspiel „Lohengrin“ mit Jonas Kaufmann in der Titelpartie inszeniert. Die Kritik:
Alles Vorurteile. Intelligenter, reinlicher sind sie, als man so denkt. Lieben das Rudel, paaren sich aber auch bei guter Versorgung bis zur Überpopulation – mit allen üblen Folgen: Ob also weniger der Affe, sondern die Ratte als nächster Verwandter des Menschen taugt, der sie ja als Idealtier gern für Laborversuche missbraucht? Vor allem aber taugen die süßen Nager als Sympathieträger. Und dass dieser Bayreuther „Lohengrin“ mit seinen schwarzen und rosa Tierchen zwar Buhs erntete, bis auf ein „Pfui!“ auf offener Szene aber nicht im Tumult endete, ist daher schon sehr bemerkenswert.

Als Anti-Pathos-Maßnahme funktioniert der Einfall also leidlich: Dort, wo sich das Stück mit seinen Rüstungen und ebenso metallgepanzerter Musik vor einem aufbaut, lässt ihm Regisseur Hans Neuenfels die Luft heraus. Statt Mannenaufmärsche gibt es Kleinsäugergetippel inklusive Winkewinke beim Brautchor. Und als alle die Kostüme ausziehen, die an Haken in die Höhe fahren, wird auch deutlich: Neuenfels will im unbarmherzig hellen Licht mehr verhandeln als eine Fabelmärchenversion von Wagners traurigstem Drama.

Doch anders als Kollege Konwitschny, der seinen genialen „Lohengrin“ stringent durchgeführt in eine Schulklasse packte, liefert Verfremdung à la Neuenfels nur Splitterwerk. Als ob der Altmeister seinen Ideensack auf Reinhard von der Thannens keimfreier Blitzblank-Bühne ausgeleert hat, so kullern da die Assoziationsteile heraus.

Im Angebot: der Mensch als manipuliertes Laborwesen. Oder der im Sarg herbeifahrende, später gerupft herabhängende Schwan als Unheilstier. Oder aber, in offener Vitrine, als kostbares, utopisches Ausstellungsstück, während zwischen allem ein irrer Heinrich als Narrenkönig umherwankt. Momente spannender Verrätselung (wenn Lohengrin zum Vorspiel verzweifelt die Tür zur Szene öffnen will) und berückender Poesie (wenn sich zum Frauenduett der sonst in Bayreuth unsichtbare Dirigent in einer Glaswand spiegelt) stehen neben – weitaus größeren – Passagen totaler Symbol-Verirrtheit und schimmeliger Regietheater-Zutaten.

Alles gescheitert, keine Minne, kein Aufbruch nirgends, sagt Neuenfels dann im Schlussbild. Ein entstellter Embryo wird da als entzauberter Retter und neuer Schützer von Brabant präsentiert. Dass Lohengrin, der machtlose Held, dabei als einziger Normalo diese Wirrnis entert, dass Jonas Kaufmann sich gewissermaßen selbst spielt, zudem mit Erotik in Spiel und Stimme zum Fremdkörper im verkalkulierten Spiel wird, all das mag eine ungewollte Pointe des Abends sein.

Kaufmanns Lohengrin kommt nicht aus Parzivals Gralsrunde, eher aus Tannhäusers Venusberg. Kein ätherischer Ritter, sondern ein geerdeter Typ mit weißem Hemd und Stoffhose ist das. Und wenn man sich an Kaufmanns abgedunkelten Vokale, an sein gaumiges Timbre gewöhnt hat, dann wird sein mal strahlend-kraftvolles, dann wieder hinreißend lyrisches Singen zur Droge.

Viel risikolustiger als in München, extremer in den Emotionsausschlägen gestaltet der Star – ein triumphales Bayreuth-Debüt. Ein Triumph auch, der auf seine Elsa ausstrahlte:
Annette Dasch, ebenfalls neu am Hügel, kam beim Publikum überraschend gut weg. Wo sie als Armida oder Elettra mit Spielwut kaschiert, verlangt allerdings eine Elsa Bares. Mängel sind also unüberbörbar: die für die Partie zu lyrische Stimme, die verschattete Tongebung, die im dritten Akt nachlassende Spannkraft, vor allem aber eine ungesund erkämpfte Höhe.

Mithin also das Gegenteil von Evelyn Herlitzius, als Ortrud ein Naturereignis und, so wie sie die Bühne beherrscht, offenbar Neuenfels’ Muse, wenn Gattin Elisabeth Trissenaar mal nicht zur Verfügung steht. Eine Extremistin, die im Aufruhr ihre gute Stimmerziehung gern (und in der Rolle richtig) vergisst, mit heftigem Vibrato, Brüchen, auch wilden Spitzentönen gestaltet. Ebenso unerschrocken, aber ein Muster an ausgeglichener, markanter Kraft: Georg Zeppenfeld als Heinrich, Hans-Joachim Ketelsen (Telramund) blieb dagegen eine Nummer zu kleinformatig.

Eine Stückwerk-Aufführung also. Und das Dokument einer Wende, einer pikanten Generationenschau: Während Neuenfels den Resteverwalter seines Zitatenschatzes gibt, ist Dirigent Andris Nelsons noch auf dem (weiten) Weg. Hügel-Ungewohntes passiert bei ihm zuhauf: das leiernde, ungenaue Vorspiel, der fast entgleisende erste Aktschluss, das dumpfe, nicht immer gut blancierte Orchester, auch manche Chor-Passagen, in denen Eberhard Friedrichs gewohnt perfekt studiertes Ensemble nicht mehr aussingen kann, eher auf Durchkommen bedacht ist.

Doch dann geschieht auch anderes, vor allem in den Momenten, in denen Wagners Vision der besseren Welt zu Klang wird. Bei Nelson steht da die Zeit still und eine Tür offen: zu einer Utopie, wie sie in ihrer bestürzenden Schönheit, in ihrer liebenden Hingabe an die Partitur lange nicht mehr im Festspielhaus gehört ward. Und wenn der Lette zu mehr Stringenz, zu mehr Gefühl für die Architektur und Tempo-Relationen, auch zu mehr Entspannung, findet, ist ganz Neuenfels-Widriges möglich: dass da, neben dem Ritter oben, unten glatt noch eine weitere Lichtgestalt auftaucht.
 






 
 
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