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Der Westen, 26. Juli 2010 |
Lars von der Gönna |
Wagner: Lohengrin, Bayreuth, 25. Juli 2010
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Lohengrin-„Laborversuch“ eine Enttäuschung
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Bayreuth. Manchmal gelingt es, manchmal nicht. In diesem
Fall nicht: Hans Neuenfels inszenierte bei den Bayreuther Festspielen
Richard Wagners romantische Oper „Lohengrin“ als „Laborversuch“ und erntete
Buh-Rufe. |
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Man
kann machen, was man will: Es sickert immer vorher schon was durch. Dass der
Hans Neuenfels Richard Wagners romantische Oper um den Schwanenritter
Lohengrin als „Laborversuch“ inszenieren wolle, pfiffen in und um Bayreuth
die Spatzen schon lange von den Dächern.
Aber ist nicht Bayreuth an sich schon ein Laborversuch, namentlich das
Festspielhaus? Hier lassen sich jeden Sommer, fünf Wochen lang jeden Tag
knapp 2000 Menschen für viele Stunden freiwillig abschotten um mit sich und
der Kunst eins zu werden.
Manchmal gelingt es, manchmal nicht. Hans Neuenfels Lohengrin-Labor hatte
einerseits eine Ministerriege in die Premiere gezogen, wie Bayreuth sie
lange nicht erlebt hatte (Westerwelle, zu Guttenberg, Brüderle...),
andererseits dürfte das Kabinett dem Bühnengeschehen so ratlos gefolgt sein
wie große Teile des Publikums. Viele, viele Ratten – bei schmalem
Erkenntnisgewinn: Neuenfels „Lohengrin“ wurde ein viel bebuhter Opernabend
auf dem Grünen Hügel. Mancher hatte das geahnt, nicht zuletzt der Star
des Abends. Es war Jonas Kaufmann: Starrummel hin oder her, jedenfalls ein
deutscher Ausnahme-Tenor, dazu einer mit Laufsteg-Qualitäten, der die Damen
im Bayreuther-Parkett seufzen ließ und noch vor der Premiere bekannte: „Wir
sind auf alles gefasst!“
Aber bei der Enttäuschung über den Lohengrin von Neuenfels geht es nicht
darum, ob man konservativer oder progressiver Zuschauer ist. Was sein
Konzept von einer Lebenswelt im Labor, in die der Schwanenritter Lohengrin
eindringt, anfechtbar macht, ist dessen Haltlosigkeit. Neuenfels ordnet
alles seinem Konzept unter, aber kaum eine Chiffre wird aufgelöst,
aufgefächert. Was er wieder und wieder zeigt, ist ein Kosmos, dessen
Fundament der klassische Laborbewohner der westlichen Welt ist: die
Laborratte. Hier, in Wagners Lohengrin, ist sie Soldat und Braut,
Massenwesen und anpassungsfähiges Giertier. Aber ist nicht all das auch der
Mensch? Da dauert einen der Chor (musikalisch neben Jonas Kaufmann das
überragende Ereignis des Abends), der in aller prasserischen Vielfalt ins
Rattenkostüm schlüpfen muss.
100 menschengroße Ratten
Tatsächlich bringen die Ratten eine komische, fast slapstickhafte Farbe in
die Inszenierung. Sie ist nicht ohne Reiz, aber ihre Dominanz ist schwer
erträglich. Vor allem weil Neuenfels im gleichen Maße Hinwendung und
Sorgfalt in gleichwertiger Qualität zu den Hauptfiguren schleifen lässt.
Elsa, das Opfer einer Intrige, das Schurkenpaar Ortrud und Telramund – wer
und was sie in diesem Labor sind, lässt die Inszenierung nicht einmal ahnen.
Bemüht man als Theater-Provokateur 100 menschengroße Ratten, verspricht man
sich möglicherweise das Auftreten ihrer zentralen Fähigkeit: Intelligenz und
Biss. Beides bleibt an diesem oft spannungslosen Abend auf der Strecke. Die
Intelligenz, weil Neuenfels’ Rattengleichnis nicht ohne Plumpheiten
auskommt: Es gibt einen festlichen Anlass - also zieht die Ratte sich um.
Merke: Auch Ekel haben ein Sonntagsgesicht.
Der Biss geht dem Unternehmen ab, weil Reinhard von der Thannen für diesen
Lohengrin einen Designer-Chic auffährt, der Glätte vor Gefahr gehen lässt.
Von der Thannens Raum ist schön, glatt und unerfreulich im Unentschiedensein
zwischen Abstraktion und konventionellem Requisiteneinsatz. Einerseits
schrumpft der Baum der Gerichtsbarkeit um König Heinrich auf eine
schwindsüchtige Zimmerpflanze zusammen, andererseits wird ganz klassisch zu
großen blitzende Schwertern einer alten Ritterwelt gegriffen. Ansonsten
bleibt unterm kalten Licht im coolen Schachtelbau eine gigantischen
Kostümschlacht (von Karl Nagerfeld?) von Ratten im Cocktailkleid oder
Space-Look, dazu zahlreiche Schwanen-Begegnungen, von denen der bis zum
Schnabel gerupfte noch die mutigste ist.
So groß und aggressiv die Ratten-Geste erscheinen mag (und so sehr sie das
Publikum am Ende größtenteils wütend toben lässt), so üppig sind die
Leerstellen dieses Abends. Hans Neuenfels fällt ungewöhnlich oft in eine
Gestensprache, die wir aus abgestandenen Stadttheater-Inszenierungen kennen.
Was Menschen bewegt, verbindet, was Abhängigkeit bedeutet, Liebe, Hass:
Neuenfels findet (von wenigen Ausnahmen abgesehen) keine starken Bilder für
eine Oper starker Gefühle.
Dieser Lohengrin ist eine Kopfgeburt – eine Idee, die um jeden Preis
durchbuchstabiert wird. Das spürt man schmerzlich oft an diesem Abend, der
oft voller Künstlichkeit ist, aber selten voller Kunst. Und wenn am Schluss
als Bild für Elsas verschwundenen Bruder Gottfried ein Embryo aus einem
Schwanenei steigt und mit Nabelschnurstücken um sich wirft, dann ist der
Neuanfang durch einen kaum Entwickelten eine traurige Parallele zu vielem,
was in dieser Inszenierung schlicht in den ersten Schritten steckengeblieben
ist.
Ein Gewitter von Buh-Rufen
Anders die musikalische Bilanz. Mit einer lange nicht erlebten Euphorie
feierte man Jonas Kaufmann, diesen Lohengrin, der so wundersam leise und
doch tragend bis in die letzte Reihe vom Gral erzählt. Kaufmanns Stimme hat
eine suggestive Kraft, einen männlich-baritonalen Grund, eine straffe Höhe
ohne jede Enge. Lange hat man so etwas in Bayreuth nicht gehört. Die
Frau an seiner Seite (wenn auch – wie Opern halt sind - nicht fürs Leben)
ist die Elsa von Annette Dasch. In ihren stärksten Momenten strahlt die
Stimme der erfolgsverwöhnten Berlinern in betörenden Lyrismen, aber alles
ist bei ihr an der Grenze. Ihre Stimme ist für ein Wagner-Orchester einfach
zu klein. Dennoch: Jubel auch um sie.
Weniger gefeiert wurden die Bösewichte: Hans-Joachim Ketelsen (Telramund)
sprang kurzfristig ein – seine sinkenden Kräfte lassen ihm nicht mehr viel
Gestaltungsspielraum für die Partie. Evelyn Herlitzius muss Buhs hinnehmen.
Ihr scharfer Stimmstrahl ist imposant, aber leider auch dauerhysterisch und
ohne jenen Farbenreichtum, der uns Hexen gerne hören lässt.
Ein ehrenwerter König, von Neuenfels als schwache Schachfigur gezeichnet:
Georg Zeppenfeld. Über den Chor in Bayreuth ist viel gesagt worden. An
Abenden wie diesen ist er vielleicht die schönste Wagner-Stimme der Welt.
Sein Leiter Eberhard Friedrich vollbringt mit einer Hundertschaft
Präzisionswunder - und andere mehr.
Apropos Stimmen: Ein bisschen ungerecht der schmale Applaus für den
Bayreuth-Debütanten Andris Nelsons. Er dirigierte das Festspielorchester
sängerfreundlich, ohne Selbstherrlichkeit, mit spannenden Details und
souveräner Dynamik.
Als schließlich ein Gewitter von Buh-Rufen (auch Bravo-Gegenwehr blitzte
auf) das Regie-Team traf, sprangen Richards Wagner Urenkelinnen Katharina
und Eva auf die Bühne: zu stützen die von Antipathie Getroffenen. Sie hätten
es nicht gemusst. Den Neuenfels-Deal hatte noch ihr verstorbener Vater
Wolfgang eingefädelt. |
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