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Spiegel online, 26. Juli 2010 |
Aus Bayreuth berichtet Werner Theurich |
Wagner: Lohengrin, Bayreuth, 25. Juli 2010
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Wie man den Schwan rupft - Neuer "Lohengrin" in Bayreuth
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Jede Menge Ratten und dazwischen ein herausragender Jonas
Kaufmann als Titelheld: Star-Regisseur Hans Neuenfels servierte zum
gelungenen Bayreuth-Auftakt eine ironische "Lohengrin"-Version - provokant,
mit tollen Kostümen, aber auch ein wenig platt. |
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Der
Mensch: ein Laborversuch! Wir sind alle nur Ratten in der Falle einer
höheren, anonymen Macht, die uns in Seuchenanzügen und mit Spritzen
kontrolliert. Das Beste, worauf wir hoffen können, ist ein weißer
Schwanen-Ritter, der das Heil bringt.
Alles wieder hübsch provokant in Bayreuth 2010, und der schillernde Buhmann
heißt in diesem Jahr Hans Neuenfels, altgedienter Regie-Titan und lustvoller
Zertrümmerer von vermeintlich verlässlichen Opernstoffen. Seine neue
"Lohengrin"-Inszenierung bei den Wagner-Festspielen bringt eine Menge
putziger Nagetiere auf die Bühne, die die menschliche Gesellschaft, aber
auch den Umgang mit ersehnten Rettern karikieren. Leider sind Ratten als
Symbole gefährlich wohlfeil und ihr Profil vielfach abgekaut, weshalb
einiges an diesem Abend in die große "Nett gemeint"-Kiste der
Regietheater-Plattitüden rutschte.
Allen voran hat Titelheld Jonas Kaufmann sein Päckchen zu tragen. Der
Bayreuth-Debütant kann die Partie quasi im Schlaf singen und besitzt
obendrein eine schauspielerische Bühnenpräsenz, die als einzigartig gelten
kann. Wie er gleich zu Beginn mit einem rohen Kraftakt vorausdeutend und
kräftig schiebend den Bühnenraum vertieft, das setzt ein sehr plakatives
Zeichen.
Kaufmanns Lohengrin ist ein cooler Macher, der sich lässig und sicher
bewegt, dessen physische Präsenz die halbe Miete darstellt - ein Retter, wie
man ihn sich wünscht. Lohengrins Braut in spe, Elsa, die als Brudermörderin
in ihrer Heimat Brabant fälschlich beschuldigt wird, hätte sich keinen
effektvolleren Kavalier erträumen können.
Der Retter im Bräter
Doch Lohengrin muss mehr tun als nur Wände bewegen. Der Schwanenritter, den
man nicht nach Namen und Herkunft befragen darf, kommt als Jungmanager mit
Hemd und offener Krawatte daher, ein Sanierer für die Rattengesellschaft von
Brabant. Die Nager haben sein nützliches Federvieh, das ihn nach Brabant
bugsierte, in einen sargähnlichen Bräter gepackt und anschließend gerupft -
das gute Tier schwebt als nackter Braten am Schluss des ersten Aufzugs über
der Szenerie. Man ahnt es bereits: Der Mensch zerstört, was er liebt - die
Gesellschaft rupft ihre Retter.
Die Ratten als wohl organisiertes soziales System sind der visuelle Kern von
Neuenfels' Inszenierung, und der bildermächtige Regisseur dekliniert die
ironische Tiermetapher fleißig durch die Handlung. Allzu menschlich und
geradezu idyllisch, wenn die Rat-Society zur Feier der Lohengrin-Ankunft die
Fell-Uniformen ablegt und sich bürgerlich fein macht - mit Anzug und Hut,
aber die Rattenfinger und -füße bleiben. Man ist halt verrattet bis zum
Kern. Die Uniformen werden wie weiland in den ruhrpöttischen Kohlengruben am
Haken nach oben gezogen.
Neuenfels' Kostümbildner und Bühnenmeister Reinhard von der Thannen hat die
ganzen hübschen Outfits gestaltet, ihr Witz und ihre Ironie sorgten immer
wieder für Lacher im Publikum: Ob wunderbunte Fünziger-Jahre-Kostüme,
grellgelbe Freizeitanzüge oder verspielte Jung-Ratten in Rosa - alles geriet
herrlich burlesk, aber auch ein wenig platt.
Man trägt plötzlich "Schwan"
Lohengrins und Elsas Widersacher, Friedrich von Telramund und seine
Gespielin Ortrud, geben in Neuenfels' Arrangement quasi die Szenen einer
Ehe, wie sie in der Rattengesellschaft entsteht. Der im Prinzip eher
gutmütige Telramund fühlt sich von ihr missbraucht - ist jedoch gleichzeitig
fasziniert von der bissigen und temperamentvollen Karrierefrau. Evelyn
Herlitzius singt und spielt die Oberböse von Brabant mit gutturaler
Stimmgewalt, ihre physische Präsenz ist ein sehr sinnliches Gegengewicht zu
Lohengrin. Wie sie Telramund - etwas trocken, aber zuverlässig von
Hans-Joachim Ketelsen gegeben - in den Duell-Tod treibt, ist schlüssig und
anrührend realisiert.
Lohengrins Sieg, die Umgestaltung der Rattengesellschaft, vollzieht sich
leise und schrittweise. Erst im dritten Aufzug, als er und Elsa heiraten und
damit ihre Rehabilitation besiegeln wollen, wird das ganze Ausmaß seines
Wirkens sichtbar: Keine Rattenkostüme mehr, sondern todschicke, auf Köpermaß
geschneiderte Kutten beherrschen die Szene, das Schwanen-Logo ist zum hippen
Symbol auf aller Kleidung geworden. Man trägt plötzlich "Schwan" auf den
Klamotten, die zu Fan-Artikeln aus Lohengrins Sinnstifter-Shop mutiert sind.
Alles nur eine Frage des Message-Marketings und der beharrlichen Strategie.
Schade, dass Elsa mit ihrer Namensfrage das Lohengrin-Verbot brach und damit
die Zukunft verbaute: Lohengrin muss weiterziehen. Schon ist "Schwan" wieder
out. Lohengrin, der gerupfte Retter, hinterlässt getreu der Wagner-Vorlage
das neue Herrscherkind: kein Gott aus der Maschine, sondern ein hässliches
Alien-Baby aus einem Schwanen-Ei. Ein Kind, das der Rattengesellschaft mit
seinen Händen und Füßen schon wieder sehr ähnlich sieht.
Überwältigende "Gralserzählung"
Annette Dasch, Sopranstar und ebenso wie Jonas Kaufmann Bayreuth-Debütantin,
sang ihre Elsa zunächst verhalten, steigerte sich dann aber zu filigraner
Größe. Sie passt stimmlich glänzend zu Kaufmanns eher italienisch
gefärbtem Lohengrin, bei dem Eleganz vor breiter Heldenkraft geht; doch satt
und sicher schmettern konnte Kaufmann an diesem Abend zu jeder Zeit.
Überwältigend gelang ihm die finale Gralserzählung ("In fernem Land"); sie
wurde ein Wunder an Nuancen und Zwischentönen. Spätestens jetzt war klar,
dass Bayreuth zum Triumph für Jonas Kaufmann geworden war.
Auch der junge, viel gelobte, lettische Dirigent Andris Nelsons trat zum
ersten Mal auf dem Grünen Hügel an, und auch durch ihn wurde die
Gralserzählung zum Wunder an Harmonie und luftig-leichter Orchesterführung.
Zuvor hatte er nicht immer die ideale Disposition gefunden, doch über weite
Strecken setzten sein flottes Tempo und seine differenzierte Gestaltung
wichtige Akzente.
Wie alle Akteure steigerte sich auch Nelsons im Laufe der Aufführung. Sein
brillant brausendes Vorspiel zum dritten Aufzug kontrastierte wirkungsvoll
zu der subtilen Abtönung der Gesangsparts. Auch für Nelsons gab es, wie für
alle Gesangsparts inklusive der mächtigen Chöre (Leitung: Eberhard
Friedrich) frenetischen Schlussapplaus.
Klar, Hans Neunfels holte sich seine Buhs ab, zuckte aber ironisch lächelnd
mit den Schultern. "Dafür bin ich ja da!", schien er zu sagen. Und die
andere Hälfte des Publikums klatschte begeistert - immer hübsch kontrovers
auf dem Hügel, auch 2010.
Mit dieser Mischung könnte sogar die Runderneuerung von Bayreuth gelingen.
Die Wagner-Schwestern Katharina und Eva bekamen bei ihrem Bühnenauftritt am
Schluss des Premierenabends jedenfalls einen Monster-Applaus. Der
Festspielstart in diesem Jahr kann als Erfolg verbucht werden. |
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