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Der Standard, 22.10.2010 |
Ljubisa Tosic |
Liederabend, Konzerthaus Wien, 20. Oktober 2010
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Unter dem Mikroskop
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Startenor Jonas Kaufmann im Wiener Konzerthaus
Jonas Kaufmann (Jahrgang 1969) ist vielseitig und global als extrem
angesagter Tenor unterwegs: Cavaradossi in München, Lohengrin in Bayreuth.
Konzerte nicht nur im schmucken Liederrahmen, vielmehr 2011 mit der Netrebko
(und Erwin Schrott) auch in der Stadthalle; dann wieder ohne Mikro an die
Met als Wagners Siegmund. Und tatsächlich, da war noch Zeit, als 41-Jähriger
die Adorantenfamilie mit einer Autobiografie zu beschenken.
Der wohl
sehr volle Kalender hat einen zureichenden Vokalgrund: Der Münchner verfügt
über jenes spezielle Timbre, das einer Opernarie das gewisse narkotische
Etwas verleiht. Und natürlich sind auch beim Wiener Liederabend solch
akustische Wonnenminuten zu genießen.
Mahlers Urlicht kam ausgewogen
sanft über die Rampe, In diesem Wetter lebte von klangschöner Intimität, und
insgesamt ist alles sowieso von großer Wortdeutlichkeit. Allerdings ist
nicht zu überhören, dass (bei allen Klangreizen) jene Kraft zur konstanten,
bewussten Ausdifferenzierung von Details fehlt, über die Matthias Goerne,
Thomas Quasthoff oder besonders Bariton Christian Gerhaher verfügen.
Man hört glänzenden Episoden und vitale Strahletöne (Schumanns Geständnis).
Oft jedoch hat man das Gefühl, hier passe sich ein Lied den
Klangmöglichkeiten der Stimme an, wo es doch umgekehrt sein sollte.
Mancherorts wird dann eben falsettiert, andernorts wirken Töne knödelig. Es
war ein Abend, an dem ein effektvoller Opernsänger unter dem Mikroskop des
Liedes auch ein paar Grenzen offenbarte. Den Fans war's egal. Manche
schossen mitten im Vortrag Fotos, was wiederum Kaufmann nicht recht war. In
der Pause ließ er die Fotofans freundlich verwarnen.
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