Im Mozartsaal des Wiener Konzerthauses hatte Jonas Kaufmann gestern
einen seiner raren Wien-Auftritte, aber bekanntlich gilt: carum, quod
rarum.- wertvoll ist, was selten ist. Direktor Holender nennt in seinen
Memoiren Kaufmann zwar „den derzeit weltbesten Tenor“, hat ab er leider
nur für ganz wenige Auftritte des Tenorstars in der Staatsoper gesorgt.
Das soll nun besser werden, denn angeblich sind in den nächsten
Jahren bei uns Neuproduktionen von Lohengrin und Fanciulla del West mit
Jonas Kaufmann geplant.
Der Mozartsaal ist nicht groß und daher an und für sich bestens für den
Liedgesang geeignet, aber der gestrige Auftritt fand im Rahmen eines
Zyklus statt und war daher fast ausabonniert, was zu heftigem Gerangel
um die wenigen überhaupt in den Verkauf gelangenden Karten führte. Gar
zu viele Interessenten mussten wie in Bayreuth leer ausgehen. Das
Durchschnittsalter der Abonnenten war nicht viel höher als das der
Abonnenten der Philharmonischen Konzerte , aber dem Sänger des Abends
gelang es auch dieses überreife, lebenserfahrene Publikum, das sonst
recht gern auf seinen Händen sitzt, zu enthusiastischen Reaktionen zu
veranlassen. Schon beim Auftritt Kaufmanns und seines Pianisten
Helmut Deutsch, der sein Lehrer an der Musikhochschule war
und der ihn ständig bei seinen Liederabenden begleitet, gab es Beifall,
den andere Interpreten erst nach einer vorzüglichen Leistung am Schluss
ernten können.
Kaufmann selbst nennt den Liedgesang „die Königsklasse des Singens“ und
er schätzt die Vielfalt des dramatischen Ausdrucks, den ihm diese
Disziplin gestattet.
Das Programm umfasste Werke der beiden Jahresjubilare Schumann und
Mahler. Nach einem vehementen Beginn mit Heines Tragödie I folgte das
resignierende „ Es fiel in Reif in der Frühlingsnacht“. Die von Trauer
erfüllte Interpretation der letzten Zeile „sie sind verdorben,
gestorben“, wird man wohl nicht so schnell vergessen. Überhaupt war das
Programm von tiefstem Ernst erfüllt- nahezu alle vorgestellten Lieder
auf Gedichte von Heine, Hans Christian Andersen in Chamissos Übertragung
oder von Geibel und Rückert handelten von Tod, Liebesleid und Verzicht.
Mich haben im ersten Teil des Abends besonders die
düster-pessimistischen, Andersen-Lieder beeindruckt, von denen „Der
Soldat“ die Erschießung eines geliebten Freundes schildert Hervorragend
dabei die Interpretation des Klavierparts , der den Marschrhythmus und
den Trommelklang des Exekutionspelotons imitiert. Zuvor konnte Kaufmann
bei Heines Belsazar seinen Opernerfahrung in die Interpretation dieser
Ballade, die nichts weniger als den Kampf des eponymen babylonischen
Königs mit Gott selbst schildert, einbringen. In Geibels
Zigeunerliedchen II konnte man Kaufmanns technisch stets sicheres
ätherisches Piano besonders gut bewundern.
Niemals während des gesamten Liederabends, rettete er sich ins Falsett,
jeder gesungene Ton war rund und baritonal gestützt und niemals begann
er, wie dies so viele Liedinterpreten gerne tun, zu säuseln. Dabei
konnte Kaufmann bei den ausgewählten Liedern seine Hauptstärke, die
scheinbar mühelos produzierte strahlende Höhe, kaum einsetzen. Ganz
besonders hervorzuheben ist die beispiellose Wortdeutlichkeit, die ohne
die derzeit beliebte Konsonantenspuckerei erzielt wurde und die ein
Mitlesen der Lieder fast entbehrlich machte.
Nach der Pause Mahlers aufwühlende, in existentielle Tiefen vorstoßenden
Kindertotenlieder für mich der Höhepunkt des Abends. Bei der in
berückendem Piano vorgetragenen Phrase des zweiten Liedes „Ihr wollt mir
mit eurem Leuchten sagen: Wir möchten nah dir bleiben gern“ wurden
Taschentücher gezückt. Wunderbar die resignative Trauer des Liedes „Wenn
dein Mütterlein“ und das Aufbegehren gegen das Schicksal im letzten
Lied. Eine sehr gut passende Ergänzung dazu bildeten Lieder aus des
Knaben Wunderhorn, darunter auch Urlicht.
Kaum ein anderer Sänger vermag es, Liedtexte intellektuell derart zu
durchdringen und auszuschöpfen sowie die dargestellten Emotionen auf das
Publikum zu übertragen. Das bescherte dem Künstler Ovationen und Jubel
und brachte dem Publikum als Zugabe 4 weitere Lieder von Schumann und
Strauss. Mit Schumanns Mondnacht, diesem Inbegriff deutscher Romantik ,
endete der Abend glanzvoll.
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