Über
viele Jahre war Beethovens einzige Oper in legendärer Besetzung
ein Münchner Festspielhit unter Karl Böhm gewesen. Und ganz
selbstverständlich hatte auch Zubin Mehta das Chefstück bei der
letzten Inszenierung durch Peter Mussbach für sich reklamiert.
Gegen den Widerstand der Regie hatte Mehta bei späteren Reprisen
nach gängiger Tradition vor der Finalszene die dritte
Leonoren-Ouvertüre wieder eingefügt. Daniele Gatti, den die
Staatsoper für die aktuelle Premiere an Stelle des amtierenden
Generalmusikdirektors Kent Nagano ins Rennen schickte, stellte
das populäre Zugstück gleich unmittelbar an den Beginn des
Abends und erzielte dennoch nicht den erwünschten Effekt. Zu
keiner Zeit sprang der zündende Funke über. Die aufwühlende
Musik zerbröselte geradezu unter seinen Händen, ließ weder eine
klare dramaturgische Linie noch mediterranes Feuer erkennen.
Selbst das mitreißend bewegende Crescendo der alternativen
Ouvertüre blieb seltsam uninspiriert und wurde bei offenem
Vorhang von der Regie zudem gnadenlos verlärmt. Der Umstand
einer gewissen Beliebigkeit blieb Gattis Dirigat leider über die
gesamte Wegstrecke erhalten, wobei ihm der permanente Wechsel
zwischen Singspiel und dramatisch tiefer schürfenden Passagen im
ersten Aufzug hörbar am wenigsten lag. Das Bayerische
Staatsorchester war unter diesen Bedingungen von einer
Sternstunde ebenfalls weit entfernt, spielte seltsam unmotiviert
und bisweilen unpräzise. Auch stilistisch fehlte Gattis
Interpretation jede Orientierung. Trotz seines extrovertierten,
hinsichtlich der begleitenden Geräuschkulisse grenzwertigen
Volleinsatzes kamen im hymnischen Schlusschor (Einstudierung:
Sören Eckhof) evidente Koordinationsprobleme erschwerend hinzu.
Als dramaturgisch unsinniger Spannungskiller erwies sich der ihm
unmittelbar vorangestellte Auszug aus Beethovens Streichquartett
in a-moll. Der Unmut über das in weiten Teilen enttäuschende
Dirigat blieb erwartungsgemäß nicht aus.
Dabei hätte die
attraktive Besetzung durchaus einen großen Abend erwarten
lassen: Anja Kampe gestaltete die heikle Partie der Leonore
gemäß ihrer stimmlichen Möglichkeiten. Diese sind nach oben und
unten leider begrenzt. Entsprechend betonte sie die gut
ansprechende Mittellage, presste die Höhen zuweilen mit viel
Druck, sang aber stets mit einem Höchstmaß an Emotion und
gestaltete ihren Part in der Summe mitreißend intensiv.
Der aktuelle Medien-Darling Jonas Kaufmann erhielt für
seinen soliden Florestan zwar begeisterte, aber nicht
überschäumende Anerkennung. Möglicherweise war sein Tenor am
Premierenabend nicht optimal disponiert. Zeichnete sich
eventuell bereits eine Verkühlung ab, die ihn zum Jahreswechsel
schließlich zu Absagen zwang? Die große Kerkerarie gelang zum
Auftakt weitgehend überzeugend. Auch das geheimnisvoll wie aus
dem Nichts anschwellende „Gott" muss ihm in dieser Form erst
einmal jemand nachsingen und schließlich brillierte er im
„himmlischen Reich" scheinbar mühelos mit blendend fokussierten
Spitzentönen, wie man sie von ihm erwartet. Im Passaggio blieben
dagegen Wünsche offen. Oft verfärbte sich das markant baritonale
Timbre des Münchners auf eigenartige und befremdliche Weise,
bevor es die erlösende Strahlkraft zu entfalten vermochte.
Franz-Josef Selig mimte einen geschäftigen, in Sachen seiner
Tochter allerdings erfolglosen Ehekuppler Rocco mit sattem, gut
ansprechendem Spielbass. Freude machte der erfrischend
unverbrauchte Jacquino von Jussi Myllys, während Laura
Tatulescus Sopran für die Marzelline ein wenig zu unflexibel
klang. Über Mangel an stimmlicher Potenz und Lust an
hinterhältiger Barbarei konnte man sich bei Wolfgang Kochs
Pizarro nicht beklagen. Fieser lässt sich die Rolle kaum
verkörpern. Mit elegantem Bariton gab Steven Humes dem Don
Fernando in der hier intendierten selbstverliebten
PolitikerKarikatur zumindest musikalisch Gewicht.
Calixto
Bieito, mit dessen Erstengagement an der Bayerischen Staatsoper
wohl jeder einen handfesten Opernskandal einkalkuliert hatte,
erwies sich entgegen allen Befürchtungen oder Erwartungen als
„lahme Ente" ohne Biss. Dass sich der berühmt-berüchtigte
Regie-Berserker überdies hoffnungslos im Labyrinth einer
unsäglich aufwändigen Stahl-Plexiglas-Konstruktion (Rebecca
Ringst) verfing, war fast tragisch. Derart verbaut, blieb auf
der riesigen Bühne des Nationaltheaters oft nur die Rampe für
ein belangloses, auf wenige spektakuläre „Nummern" fixiertes
Spiel übrig. So sehr das Fehlen einer aktuellen politischen
Verortung zu begrüßen war, mangelte es der Regie an bekennender
Stellungnahme. Die visionäre Botschaft des Opus über Freiheit
und Gattenliebe lief völlig ins Leere. An ihre Stelle tra-ten
Momentaufnahmen aus den schicksalhaften Biografien
traumatisierter Gefangener-zu wenig für eine gültige
Interpretation dieses Schlüsselwerks, die sich den
traditionellen Zwischentexten verweigerte und an ihre Stelle
monologisierende Langeweile setzte.