Calixto Bieito ist endlich auch in München angekommen. Als
Drastiker auf Blut, Schweiß und Sperma setzend, hat der leise,
freundliche Katalane die Opernbühnen von Hannover bis Basel
aufgemischt und seine oft beeindruckende Gewaltspur
hinterlassen. Bei der Neuproduktion von Beethovens "Fidelio"an
der Bayerischen Staatsoper verzichtet der Regisseur auf
plakative Schock-Elemente, gibt der Gewalt zwar Raum, aber
fasziniert eher mit einem intelligenten Konzept und mit einer
stringent auf die Musik zielende Dialog-Neufassung, die sicher
auch auf anderen Bühnen Fuß fassen wird.
Der Regisseur
greift nicht zu Enzensbergers Fassung, sondern streicht die
Texte rigoros und lässt die Sänger an exponierten Stellen nur
wenige Worte von Jorge Luis Borges rezitieren. Etwa aus dessen
"Labyrinth", das als Idee die Inszenierung überhaupt prägt:
Bieito ließ sich von der Bühnenbildnerin Rebecca Ringst ein
mehrfach hintereinander geschachteltes Labyrinth aus Stahl und
Acryl hochkant auf die Bühne stellen. In diesem imponierenden,
neonleuchtenden Gestänge klettern durchgehend zerlumpte
Akrobaten herum. Aber auch die Sänger müssen in schwindelnde
Höhen (bis zu acht Meter) und klicken sich immer wieder - wie
die Elektriker am Strommast - mit einem Karabiner an die
Stahlseile. Eine Sicherheitsvorkehrung, die zum Symbol für das
Gefangensein, das Angekettetsein aller Protagonisten wird.
Neben der Dialog-Version bestach eine weitere gravierende
Veränderung: Vor dem Finale wurde nicht wie üblich die
Leonoren-Ouvertüre Nr. III (die gab es vorweg) gespielt, sondern
das gekürzte Molto Adagio aus Beethovens Streichquartett a-Moll
op.132. Gefangen in Käfigen schweben die vier Musiker über dem
Labyrinth und öffnen den Weg in eine andere Dimension...
Fremd, fast enttäuscht, haben sich zuvor Leonore und Florestan
gegenübergestanden. Da half es wenig, dass sie rasch in ihre
Alltagskleider schlüpften - wieder aussahen wie früher. Sie sind
andere geworden. Darüber kann auch der plakative Schlussjubel
mit phonstarkem Riesenchor und einem Minister, der als
clownesker "Joker" ("Batman") den lässigen Entertainer mimt,
nicht hinwegtäuschen. Irritierend, wenn er die Pistole
auf Freund Florestan richtet, ihn "erschießt"... Ein
Schreck-Schuss, der reicht, um diesen gefolterten, malträtierten
Gefangenen niederzustrecken. Jonas Kaufmann gibt ihm eine
schmerzliche Intensität. Das ganz langsam aus dem Nichts
anschwellende "Gott" zu Beginn seiner Arie erschüttert.
Ähnlich bedingungslos wirft sich Anja Kampe in die Partie der
Leonore. Sie berührt von Beginn an: Wenn sie sich die Brust
flach bindet, wenn sie alle Gefühlsfacetten in der großen Arie
auffächert, wenn sie, die weiche und warmherzige Frau sich in
den Säure-Angriff auf Pizarro steigert. Schade nur, dass ihre
Höhe oft angestrengt und flach klingt. Mittellage und Tiefe
hingegen sind bestens ausgeprägt und jedes Wort ist
verständlich. Franz-Josef Selig stattet Rocco mit seinem sonoren
Bass aus und gibt dem ebenfalls Geschundenen darstellerische
Präsenz. Mit fast viehischer Rohheit trumpft Wolfgang Kochs
Pizarro auf. Stimmlich eher schwach besetzt absolvieren
Marzelline (Laura Tatulescu) und Jaquino (Jussi Myllys) ihre
Kletterpartien mit Anstand. Am meisten enttäuschte allerdings
Daniele Gatti am Pult des Bayerischen Staatsorchesters.