München – Florestan wird niemals frei: In seinem mit
großer Spannung erwarteten „Fidelio“ wagt Regisseur Calixto
Bieito eine psychologisierende Neudeutung von Beethovens
einziger Oper. Für Begeisterung sorgt Jonas Kaufmann.
1814 schien wieder einmal alles möglich – sogar die Heilung
der Welt. Napoleon hatte eben seinen ersten Abschied von der
Weltgeschichte genommen. Europa durfte sich fürs erste befreit
wähnen, inklusive der deutschen Lande, die ihres dazu
beigetragen hatten, den Tyrannen niederzuwerfen. Und Beethoven
träumte von der Liebe als ordnender und heilender Kraft nach
Krieg und Willkür. Das klingt heutzutage zu schön, um wahr zu
sein. Und so setzt Calixto Bieito, routinierter Verkäufer
allgemeiner Verunsicherungen, die ganze idealistische
„Florestan“-Geschichte auf neue Gleise: Der Kerker ist in uns,
in unseren Obsessionen und Ängsten. Befreiungskriege? Hier geht
es um gescheiterte Selbstbefreiung.
Starke Eindrücke
hinterlässt das Bühnenbild von Rebecca Ringst. Sie verlegt den
Kerker in ein bühnenfüllendes Gerüst, dessen Konturen mit
Neonröhren nachgezogen sind. Dieses Gerüst lässt sich
verschieben und umklappen. Mal erinnert es an den Plan einer
Computerplatine, mal an Rubiks Zauberwürfel – nur, dass es in
diesem Leucht-Parcours offenbar keinen Ausweg gibt. Mal
hektisch, mal apathisch klettern die Insassen dieses seltsamen
Kerkers auf und ab. Dieses Bild hätte man mühelos als inneren
Kerker interpretiert, auch ohne Bieitos Textkrücken: Statt der
im Libretto vorgesehenen Sprechstücke wird ein wenig penetrant
Borges zitiert, der große Argentinier, der mit seiner
unendlichen und allwissenden Monsterbibliothek ja schon den
Bauplan für Ecos „Name der Rose“ lieferte.
Bei Bieito
bleibt Florestan ein Gemütskranker, der sich nach seiner
Befreiung in seinen Kerker zurückzieht. Auch der Minister sorgt
nicht mehr für Rettung: Geschminkt wie Heath Ledger als „Joker“
in Batman, nimmt er die Befreiung der Gefangenen als sinistren
Willkürakt. Doch Bieito wartet mit Balsam auf seelische Wunden
auf: Vier Musiker, die in Käfigen vom Schnürboden herabschweben,
spielen Beethovens wunderschönen, schwerelosen „Dankgesang eines
Genesenen an die Gottheit“ aus dem späten Streichquartett op.
132. Ein gewagter, ein zauberischer Einfall.
Für
musikalische Streicheleinheiten sorgten auch Chor und Sänger,
allen voran Jonas Kaufmann als in aller Verletzlichkeit
raumbeherrschender Florestan, Anja Kampe als Leonore
und Wolfgang Koch als selbstzerstörerisch böser Pizarro. Buhs
dagegen für Dirigent Daniele Gatti. Nur ab und zu fanden Graben
und Bühne zu schmetternder Freiheitsmusik zusammen. Dass das
Staatsorchester unter Gatti vor allem in den leisen Passagen zu
einem schönen schwebenden Ton dunkler Samtigkeit fand, passte
aber irgendwie auch zum düsteren Grundton dieses Psychodramas.