Fangen wir mit der Musik an:
Daniele Gatti wurde nach der
Premiere von Teilen des Publikums böse geschmäht. Jetzt, nach
der letzten Aufführung der ersten Serie, ist das keineswegs
nachvollziehbar. Einen „heroischen“ Beethoven will man nicht,
einen „weichgespülten“ aber auch nicht. Ja, was will man denn
dann eigentlich. Daniele Gatti hat hier einen höchst gelungenen
Mittelweg gefunden: einen „italienischen“ Beethoven. Wie erklärt
man das? Der Orchesterklang ist warm, ja, teilweise direkt
samtig. Wann irgend es möglich ist, lässt Gatti die Sänger große
Bögen singen; dazu brauchen diese zwar einen langen Atem, sie
werden aber vom Maestro auf Händen getragen, er streicht ihnen
diese herrlichen Bögen förmlich in den Mund. Bei all dem kam
aber dennoch die Dramatik keineswegs zu kurz. Mir hat Gattis
Fidelio bei dieser Aufführung ausnehmend gut gefallen (dem
Staatsorchester wohl auch, denn es spielte ganz vortrefflich);
es gab nun auch keine unangebrachten Buhrufe mehr. (Vielleicht
war das Ganze zur Premiere ja auch nur vorgeplante
Stimmungsmache….)
Die Sänger:
Da haben wir mit
Jonas Kaufmann das Glück einer Florestan-Idealbesetzung in
absolut jeder Beziehung. Er macht alles und lässt alles mit sich
machen in dieser „Spezialregie“, und liefert so ein höchst
ergreifendes Rollenportrait. Seine strahlende Höhe war nach den
erkältungsbedingten zwei Absagen wieder da. - Dagegen
darf man Anja Kampe rein stimmlich überhaupt nicht an den
hochdramatischen Besetzungen früherer Jahre messen. Selbst wenn
man gewillt ist, die Fidelio-Leonore als jugendlich-dramatischen
Sopran zu akzeptieren (muss man heutzutage ja), so bleiben doch
Kampes hörbare Kämpfe um das Erreichen der richtigen Tonhöhe bei
den Spitzentönen. Bis zu ihrer großen Arie hätte man zudem
annehmen können, sie spare ihre Reserven für diese auf. Und in
der Tat ging sie danach etwas mehr aus sich heraus, musste dem
Leonoren-Ideal jedoch trotzdem vokal einiges schuldig bleiben.
Dass sie als Erscheinung und als Darstellerin so enorm
überzeugend ist, bringt ihr letztlich großen Schlussapplaus ein.
Franz-Josef Selig ist stimmlich wie figürlich genau der
Richtige für Rocco, den (mitgefangenen) Kerkermeister. Wolfgang
Koch bringt das Kunststück fertig, trotz seines
Lustmörder-Images den Pizarro nicht als Brüllpartie zu
interpretieren. Koch singt mit einem schaurigen Raffinement, das
Gänsehaut erzeugend sein kann. Steven Humes gibt den zum bösen
„Joker“ umgemodelten Minister mit etwas tiefenarmem Bass aber
großer darstellerischer Überzeugungskraft. Laura Tatulescus
Sopran (Marzelline) ist zwar an sich groß genug, erscheint ob
seines Soubrettencharakters jedoch nicht unbedingt ideal für die
Rolle (allerdings in Relation zur vorhandenen Leonore stimmt’s
wieder). Ihr Jaquino, Jussi Myllis (mit leichtem, klarem Tenor),
muss während der Proben durch all die von ihm geforderte
Turnerei ganz schön abgenommen haben, vergleicht man das Foto im
Programmbuch mit seiner realen Erscheinung bei dieser Aufführung
am 8.1..
Die beiden Gefangenen wurden zuverlässig von
zwei Opernstudiomitgliedern – Dean Power und Tareq Nazmi –
gesungen. Letzterer beeindruckte mit großem Einsatz bei seinem
darstellerischen, vom Wahnsinn gezeichneten Solo. Natürlich sang
auch der STO-Chor (Sören Eckhoff) ganz ausgezeichnet.
Zur
Inszenierung von Calixto Bieito:
Vor einiger Zeit
diskutierten wir in kleinem Kreis über Opernregie und kamen
unvermeidlicherweise auf den größten aller Regie-Schocker,
Calixto Bieito zu sprechen. Bieito ist bisher ja vor allem für
seine an Körperflüssigkeiten reichen und nicht wenig ekligen
Bühnengeschehnisse berüchtigt. Wir kamen zu dem Schluss, dass
der Spanier nur mit einer einmal ganz anders gearteten Regie
überraschen könnte. Aber ob ihm dann etwas Sinnfälliges
einfallen würde? Nun, Bieito überraschte in München tatsächlich
mit einer Inszenierung, in der nur ein paar Tröpferl Blut
flossen, nämlich als der 2. Gefangene sich in seinem Wahnsinn
geradezu lustvoll mit seinem Stahlseil die Gurgel durchschnitt.
Das war nicht weiter grauslich, sollte wohl erschüttern und ging
vor allem Leonore sichtlich nahe.
Die Münchner
Inszenierung basiert auf der Fidelio-Fassung von 1814, mit der
Leonorenouvertüre III zu Beginn und Beethovens Streichquartett
op.132 in gekürzter Fassung vor dem Finale II (fanden manche
toll, mich überzeugte Letzteres weniger). Die Dialoge waren auf
ein Minimum gekürzt worden, eingefügt dagegen kurze
Textsequenzen von Jorge Luis Borges und Cormac McCarthy. Alles
sehr vorteilhaft.
Auch die Grund-Idee eines riesigen
Labyrinthes als Bühnenbild (Rebecca Ringst) ist grundsätzlich
sinnvoll. Nur über die technische Umsetzung und die
inszenatorische Nutzung des zunächst hochkant aufgestellten
Plexiglas-Labyrinthes darf man streiten.
Bieito ist also
eingefallen, dass alle Personen des Stückes in diesem Labyrinth
gefangen sind. Soweit so gut. Aber was macht der Regisseur nun
daraus?
Bereits während der Leonore III turnten Mitglieder
des Opernballetts akrobatisch – und leider unaufhörlich – in
diesem Gewirr aus Scheiben, Stangen und Seilen herum.
Bedauerlicherweise sind die Plattformen, auf denen immer wieder
gelandet wird, nicht fest fixiert (Gummilippen könnten hier
helfen!), so dass die Landungen der Artisten (und später auch
der Sänger, mit Stahlseilen und Karabinerhaken gesichert) stets
von Klappergeräuschen begleitet sind. Dazu gibt‘s die Zuschauer
blendende Lichtspiele. Dieses Herumturnen und nach Auswegen aus
dem Labyrinth Suchen ist bis zu einem gewissen Grad sinnfällig,
aber ununterbrochen geht es einem auf den Geist – und – es stört
ganz erheblich die Musik (siehe Geräusche). So kann man
zwischenzeitlich feststellen, dass man möglicherweise gar nicht
richtig mitbekommen hat, wie gut oder nicht die Leonore III
eigentlich musiziert war, bei all dieser Reizüberflutung. Dieses
Geturne zieht sich leider durch die gesamte Aufführung und man
wird dessen sehr schnell überdrüssig. Einzig und allein während
des (vom Himmel schwebenden) Streichquartettes gibt es ein paar
Momente der Ruhe auf der Bühne. Kollektiven Unmut provozierte
das ewig lange, von knarzenden Geräuschen begleitete Umlegen
eines der beiden Labyrinthteile zu Beginn des 2. Aktes,
begleitet von dumpfem Donnern. Das muss der Zuschauer nicht
sehen, das kann man bereits vorher erledigen.
Ärgerlich
fand ich im 2. Teil das Nichtbeachten des Textes und z. T. auch
der Musik. Da gab es doch geradezu lächerliche Dinge, wie „Nur
hurtig fort, nur frisch gegraben“, wobei keiner auch nur
andeutungsweise gräbt, sondern Rocco den armen Florestan
narkotisiert. Als sich Leonore über die Schwere des
Zisternensteins beschwert – „es ist nicht leicht“, schleift sie,
z. T. mit Hilfe Roccos, den am Boden liegenden Florestan durch
die Gegend – Jonas Kaufmann war nicht zu beneiden… - Bei „Oh
namenlose Freude, mein Mann/Weib an meiner Brust“, sind beide
Ehepartner ausschließlich mit Umziehen beschäftigt, eine
körperliche oder auch nur blickmäßige Annäherung findet nicht
statt. Während des Streichquartettes sitzen beide zunächst
nebeneinander auf dem Boden, bis sich Florestan seinen
Gefangenenanzug wieder holt und an seine Brust drückt, auch er
ein vom Wahnsinn gezeichneter.
Im Finalbild erscheint der
Minister als Joker, Abbild dessen, den Heath Ledger im Film so
nachdrücklich verkörpert hatte. Ein bisschen komisch, naja. Dass
dieser aber nun Floresten erschießt… - oder schießt er in die
Luft und Florestan meint in seinem Wahnsinn nur, er sei
getroffen, jedenfalls bricht er zunächst wie tot zusammen. Aber
Florestan hat ja noch was zu singen. Also rappelt er sich peu à
peu wieder auf um zum Finale in den musikalisch vorgegebenen
Jubel einzustimmen.
Zwischendurch hängen übrigens die
Artisten immer wieder mal von der Decke. Offenbar hat sich
Bieito in diesem Fall von seinen Landsleuten La Fura dels baus
anregen lassen, die so enorm erfolgreich künstlerische Akrobatik
auf die Opernbühne zu zaubern verstehen; aber eben
künstlerische, ganz im Sinne des jeweiligen Stückes. Bei Bieitos
Akrobatik fragt man sich – wozu das Ganze…
Fazit:
Musikalisch weitestgehend super. Inszenatorisch sind wir
einerseits nochmal mit einem blauen Auge davon gekommen, weil
Bieito einmal „anders“ inszeniert hat. Shocking ist dieser
Bieito nicht, nicht einmal aufregend. Ehrlich gesagt, ich fand
ihn eher langweilig – schlicht und einfach weil außer der
unentwegten Kletterei kaum etwas passiert, diese Kletterei aber
wiederum so andauernd, dass es einem schlichtweg auf die Nerven
geht („jetzt turnen die schon wieder“, brach es aus einem
Sitznachbarn heraus nach der vorherigen kurzen Ruhephase mit dem
Streichquartett). Aller Mitgefühl galt den Sängern.
Kaufmann vollbrachte sogar das Kunststück, und ein solches war
das wirklich, während „ins himmlische Reich“ noch höher zu
kraxeln, ohne gesangliche Einbuße – was für ein Künstler!