Der Neue Merker
DZ
Beethoven: Fidelio, Bayerische Staatsoper, 8. Januar 2011
MÜNCHEN: Bayerische Staatsoper – Der neue „FIDELIO“ – 8.1.11 
 
Fangen wir mit der Musik an:
Daniele Gatti wurde nach der Premiere von Teilen des Publikums böse geschmäht. Jetzt, nach der letzten Aufführung der ersten Serie, ist das keineswegs nachvollziehbar. Einen „heroischen“ Beethoven will man nicht, einen „weichgespülten“ aber auch nicht. Ja, was will man denn dann eigentlich. Daniele Gatti hat hier einen höchst gelungenen Mittelweg gefunden: einen „italienischen“ Beethoven. Wie erklärt man das? Der Orchesterklang ist warm, ja, teilweise direkt samtig. Wann irgend es möglich ist, lässt Gatti die Sänger große Bögen singen; dazu brauchen diese zwar einen langen Atem, sie werden aber vom Maestro auf Händen getragen, er streicht ihnen diese herrlichen Bögen förmlich in den Mund. Bei all dem kam aber dennoch die Dramatik keineswegs zu kurz. Mir hat Gattis Fidelio bei dieser Aufführung ausnehmend gut gefallen (dem Staatsorchester wohl auch, denn es spielte ganz vortrefflich); es gab nun auch keine unangebrachten Buhrufe mehr. (Vielleicht war das Ganze zur Premiere ja auch nur vorgeplante Stimmungsmache….)

Die Sänger:
Da haben wir mit Jonas Kaufmann das Glück einer Florestan-Idealbesetzung in absolut jeder Beziehung. Er macht alles und lässt alles mit sich machen in dieser „Spezialregie“, und liefert so ein höchst ergreifendes Rollenportrait. Seine strahlende Höhe war nach den erkältungsbedingten zwei Absagen wieder da. - Dagegen darf man Anja Kampe rein stimmlich überhaupt nicht an den hochdramatischen Besetzungen früherer Jahre messen. Selbst wenn man gewillt ist, die Fidelio-Leonore als jugendlich-dramatischen Sopran zu akzeptieren (muss man heutzutage ja), so bleiben doch Kampes hörbare Kämpfe um das Erreichen der richtigen Tonhöhe bei den Spitzentönen. Bis zu ihrer großen Arie hätte man zudem annehmen können, sie spare ihre Reserven für diese auf. Und in der Tat ging sie danach etwas mehr aus sich heraus, musste dem Leonoren-Ideal jedoch trotzdem vokal einiges schuldig bleiben. Dass sie als Erscheinung und als Darstellerin so enorm überzeugend ist, bringt ihr letztlich großen Schlussapplaus ein.

Franz-Josef Selig ist stimmlich wie figürlich genau der Richtige für Rocco, den (mitgefangenen) Kerkermeister. Wolfgang Koch bringt das Kunststück fertig, trotz seines Lustmörder-Images den Pizarro nicht als Brüllpartie zu interpretieren. Koch singt mit einem schaurigen Raffinement, das Gänsehaut erzeugend sein kann. Steven Humes gibt den zum bösen „Joker“ umgemodelten Minister mit etwas tiefenarmem Bass aber großer darstellerischer Überzeugungskraft. Laura Tatulescus Sopran (Marzelline) ist zwar an sich groß genug, erscheint ob seines Soubrettencharakters jedoch nicht unbedingt ideal für die Rolle (allerdings in Relation zur vorhandenen Leonore stimmt’s wieder). Ihr Jaquino, Jussi Myllis (mit leichtem, klarem Tenor), muss während der Proben durch all die von ihm geforderte Turnerei ganz schön abgenommen haben, vergleicht man das Foto im Programmbuch mit seiner realen Erscheinung bei dieser Aufführung am 8.1..

Die beiden Gefangenen wurden zuverlässig von zwei Opernstudiomitgliedern – Dean Power und Tareq Nazmi – gesungen. Letzterer beeindruckte mit großem Einsatz bei seinem darstellerischen, vom Wahnsinn gezeichneten Solo. Natürlich sang auch der STO-Chor (Sören Eckhoff) ganz ausgezeichnet.

Zur Inszenierung von Calixto Bieito:
Vor einiger Zeit diskutierten wir in kleinem Kreis über Opernregie und kamen unvermeidlicherweise auf den größten aller Regie-Schocker, Calixto Bieito zu sprechen. Bieito ist bisher ja vor allem für seine an Körperflüssigkeiten reichen und nicht wenig ekligen Bühnengeschehnisse berüchtigt. Wir kamen zu dem Schluss, dass der Spanier nur mit einer einmal ganz anders gearteten Regie überraschen könnte. Aber ob ihm dann etwas Sinnfälliges einfallen würde? Nun, Bieito überraschte in München tatsächlich mit einer Inszenierung, in der nur ein paar Tröpferl Blut flossen, nämlich als der 2. Gefangene sich in seinem Wahnsinn geradezu lustvoll mit seinem Stahlseil die Gurgel durchschnitt. Das war nicht weiter grauslich, sollte wohl erschüttern und ging vor allem Leonore sichtlich nahe.

Die Münchner Inszenierung basiert auf der Fidelio-Fassung von 1814, mit der Leonorenouvertüre III zu Beginn und Beethovens Streichquartett op.132 in gekürzter Fassung vor dem Finale II (fanden manche toll, mich überzeugte Letzteres weniger). Die Dialoge waren auf ein Minimum gekürzt worden, eingefügt dagegen kurze Textsequenzen von Jorge Luis Borges und Cormac McCarthy. Alles sehr vorteilhaft.
Auch die Grund-Idee eines riesigen Labyrinthes als Bühnenbild (Rebecca Ringst) ist grundsätzlich sinnvoll. Nur über die technische Umsetzung und die inszenatorische Nutzung des zunächst hochkant aufgestellten Plexiglas-Labyrinthes darf man streiten.

Bieito ist also eingefallen, dass alle Personen des Stückes in diesem Labyrinth gefangen sind. Soweit so gut. Aber was macht der Regisseur nun daraus?
Bereits während der Leonore III turnten Mitglieder des Opernballetts akrobatisch – und leider unaufhörlich – in diesem Gewirr aus Scheiben, Stangen und Seilen herum. Bedauerlicherweise sind die Plattformen, auf denen immer wieder gelandet wird, nicht fest fixiert (Gummilippen könnten hier helfen!), so dass die Landungen der Artisten (und später auch der Sänger, mit Stahlseilen und Karabinerhaken gesichert) stets von Klappergeräuschen begleitet sind. Dazu gibt‘s die Zuschauer blendende Lichtspiele. Dieses Herumturnen und nach Auswegen aus dem Labyrinth Suchen ist bis zu einem gewissen Grad sinnfällig, aber ununterbrochen geht es einem auf den Geist – und – es stört ganz erheblich die Musik (siehe Geräusche). So kann man zwischenzeitlich feststellen, dass man möglicherweise gar nicht richtig mitbekommen hat, wie gut oder nicht die Leonore III eigentlich musiziert war, bei all dieser Reizüberflutung. Dieses Geturne zieht sich leider durch die gesamte Aufführung und man wird dessen sehr schnell überdrüssig. Einzig und allein während des (vom Himmel schwebenden) Streichquartettes gibt es ein paar Momente der Ruhe auf der Bühne. Kollektiven Unmut provozierte das ewig lange, von knarzenden Geräuschen begleitete Umlegen eines der beiden Labyrinthteile zu Beginn des 2. Aktes, begleitet von dumpfem Donnern. Das muss der Zuschauer nicht sehen, das kann man bereits vorher erledigen.

Ärgerlich fand ich im 2. Teil das Nichtbeachten des Textes und z. T. auch der Musik. Da gab es doch geradezu lächerliche Dinge, wie „Nur hurtig fort, nur frisch gegraben“, wobei keiner auch nur andeutungsweise gräbt, sondern Rocco den armen Florestan narkotisiert. Als sich Leonore über die Schwere des Zisternensteins beschwert – „es ist nicht leicht“, schleift sie, z. T. mit Hilfe Roccos, den am Boden liegenden Florestan durch die Gegend – Jonas Kaufmann war nicht zu beneiden… - Bei „Oh namenlose Freude, mein Mann/Weib an meiner Brust“, sind beide Ehepartner ausschließlich mit Umziehen beschäftigt, eine körperliche oder auch nur blickmäßige Annäherung findet nicht statt. Während des Streichquartettes sitzen beide zunächst nebeneinander auf dem Boden, bis sich Florestan seinen Gefangenenanzug wieder holt und an seine Brust drückt, auch er ein vom Wahnsinn gezeichneter.

Im Finalbild erscheint der Minister als Joker, Abbild dessen, den Heath Ledger im Film so nachdrücklich verkörpert hatte. Ein bisschen komisch, naja. Dass dieser aber nun Floresten erschießt… - oder schießt er in die Luft und Florestan meint in seinem Wahnsinn nur, er sei getroffen, jedenfalls bricht er zunächst wie tot zusammen. Aber Florestan hat ja noch was zu singen. Also rappelt er sich peu à peu wieder auf um zum Finale in den musikalisch vorgegebenen Jubel einzustimmen.

Zwischendurch hängen übrigens die Artisten immer wieder mal von der Decke. Offenbar hat sich Bieito in diesem Fall von seinen Landsleuten La Fura dels baus anregen lassen, die so enorm erfolgreich künstlerische Akrobatik auf die Opernbühne zu zaubern verstehen; aber eben künstlerische, ganz im Sinne des jeweiligen Stückes. Bei Bieitos Akrobatik fragt man sich – wozu das Ganze…

Fazit: Musikalisch weitestgehend super. Inszenatorisch sind wir einerseits nochmal mit einem blauen Auge davon gekommen, weil Bieito einmal „anders“ inszeniert hat. Shocking ist dieser Bieito nicht, nicht einmal aufregend. Ehrlich gesagt, ich fand ihn eher langweilig – schlicht und einfach weil außer der unentwegten Kletterei kaum etwas passiert, diese Kletterei aber wiederum so andauernd, dass es einem schlichtweg auf die Nerven geht („jetzt turnen die schon wieder“, brach es aus einem Sitznachbarn heraus nach der vorherigen kurzen Ruhephase mit dem Streichquartett). Aller Mitgefühl galt den Sängern. Kaufmann vollbrachte sogar das Kunststück, und ein solches war das wirklich, während „ins himmlische Reich“ noch höher zu kraxeln, ohne gesangliche Einbuße – was für ein Künstler!
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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