Dass der Dirigent nach der Pause von ein paar Buh-Salven
empfangen wird, passiert in der Münchner Oper nicht alle Tage.
Daniele Gatti erging es so, als er in München die
Fidelio-Premiere dirigierte. Ganz überraschend kamen diese
Unmutsäußerung nicht, denn es war recht grob und kein Muster an
Präzision, wie Gatti sich mit dem Bayerischen Staatsorchester
seinen Weg zwischen Singspiel und Freiheitspathos bahnte.
Auch sonst hält sich der musikalische Ertrag dieser
Produktion in Grenzen. Sogar Startenor Jonas Kaufmann
überzeugte nur in den Höhen Florestans. Zwar kann
München mit Wolfgang Koch einen fulminanten-bösartigen Don
Pizzaro aufbieten. Und mit Franz-Josef Selig sicherte man sich
den kultiviert-eloquenten Rocco vom Dienst.
Anja Kampe
aber fehlte doch deutlich die dramatische Überzeugungskraft als
Fidelio/Leonore. Steven Humes (Don Fernando), Jussi Myllys
(Jaquino) und Laura Tatulescu (Marzelline) steuerten allenfalls
solide Rollenporträts bei. Das bleibt hinter dem Anspruch
zurück, mit dem Nikolaus Bachler sein Haus positioniert.
Gesetzt hatte er aber ohnehin hauptsächlich auf Regisseur
Calixto Bieito. Der Katalane hat sich mit seinem
Brachialrealismus vor allem in Deutschland einen Namen gemacht.
Da dieser bei ihm nie pure Provokation war und er mittlerweile
zu einem akzeptierten Erben eines Musiktheaters geworden ist,
dem es um gesellschaftliche Relevanz geht, gab es den in
regionalen Presse avisierten Skandal natürlich nicht - dafür
eine radikale Verschiebung der Vorzeichen, unter denen
Beethovens einzige Oper gemeinhin auf die Bühne kommt.
Bei Bieito wird es nicht zur Vorlage für eine Gewaltorgie als
Statement gegen die Diktatoren dieser Welt. Allerdings bleiben
da die heiklen Sprechtexte und das tändelnde Singspiel auf der
Strecke. Selbst vom musikalischen Pathos, mit dem Freiheit und
Gattenliebe bejubelt werden, bleibt szenisch nichts übrig. Dafür
dominiert eine Verunsicherung, die im Kontrast zur Musik ihre
Wirkung entfaltet.
Beklemmendes Bühnenbild
Rebecca
Ringst hat ein beklemmendes Labyrinth auf die Bühne gesetzt. Es
sind zwei hintereinander stehende Konstrukte, deren Konturen mit
Neonleuchten nachgezeichnet sind. In diesem Labyrinth sind sie
alle gefangen, traumatisiert und auf sich selbst zurückgeworfen.
Bieito sucht nach den Gefängnissen in uns und fordert seinen
Sängern geradezu artistische Höchstleistungen ab.
Zu
Beginn des zweiten Aktes kippt der vordere Teil dieses
Bühnenlabyrinthes dann langsam, nach hinten weg. Zu einem
Höhepunkt wird ein Innehalten vor dem Finale. Unmittelbar vor
dem Auftritt des Ministers schweben aus dem Schnürboden drei
Käfige mit Musikern herab, die mit einem Teil aus Beethovens
Streichquartett op 132 jeden Jubel mit stiller Weisheit und
tiefer Traurigkeit konterkarieren. Den Auftritt des Ministers,
dessen Erscheinen alles einrenkt, zeigt Bieito als Akt surrealer
Willkür. Der wie Jack Nicolson als Joker aussehende Don Fernando
erschießt zur allseitigen Verblüffung zunächst Florestan.
Da das aber nicht funktioniert, schreibt er ihm dann eben
das Wort "FREI" an das Schild, das er wie alle um den Hals
trägt. Doch Florestan hat seinen Knacks weg, entkommt dem
Labyrinth und sich selbst nicht mehr, wie auch die Gefangenen
mit ihren unbeschriebenen Schildern überfordert wirken.
Bieito setzt dem utopische Optimismus des bürgerlichen
Bekenntniswerks vom Anfang des 19. Jahrhunderts einen tief
sitzenden psychologisch grundierten Pessimismus vom Beginn des
21. Jahrhunderts entgegen. Szenisch ist das streitbar aber
konsequent. So gab es neben obligatorischen Buhs auch
entschiedene Zustimmung.