So sieht ein echter Aufreger an der Bayerischen Staatsoper aus.
Beethovens Oper "Fidelio" erfährt durch den Regisseur Calixto
Bieito und den Dirigenten Daniele Gatti eine Neudeutung, die
München einen spannenden, das Publikum polarisierenden
Musiktheaterabend beschert.
Uneingeschränkten
Jubel gab es für die Sänger. Mit Anja Kampe (Leonore/Fidelio)
und Jonas (Florestan) steht ein überzeugendes Opern-Paar auf der
Bühne. Kampes Sopran gefällt durch den Verzicht auf
Schwere. Leonore ist nicht nur liebende Frau, sondern allen
Gefangenen eine starke Mutter Courage. Jonas Kaufmanns
Florestan fasziniert und erschüttert. Schier unfassbar bäumt
sich seine Stimme bei "Gott! Welch Dunkel hier!" aus dem Nichts
zu einem gewaltigen Fortissimo auf. Was der Mensch aus einem
Menschen machen kann, vermittelt Kaufmann als gedemütigter,
geschundener und von Ängsten Gefangener, gleichermaßen großartig
als Sänger und Darsteller. Florestan bewahrt seine menschliche
Würde mit Gesten voll Verzweiflung und dem unbezwingbaren Glanz
seiner Stimme. Großen Einsatz zeigen auch die übrigen
Sänger. Ausgezeichnet: Wolfgang Koch als Tyrann Don Pizarro und
Franz-Josef Selig als mitleiderweckender Aufseher Rocco. Laura
Tatulescu gibt seine umtriebige Tochter Marzelline, Jussi Myllys
den sie unglücklich liebenden Jaquino. Aus dem Minister Don
Fernando des Librettos wird "Batman-Joker" (Steven Humes), ein
ambivalenter Politikerclown, der Florestan zwar rettet, aber als
Herr über Leben und Tod seine Macht mit der Pistole zelebriert.
Das Gute wird nicht siegen, sondern die Willkür wird zum Prinzip
erhoben.
Drastisch
Nicht alle Einfälle Bieitos sind
schlüssig. Er vermittelt drastische Bilder, untermalt mit Texten
von Jorge Luis Borges und Cormac McCarthy. Ein spektakuläres
Stahl-Plexiglas-Gerüst (Rebecca Ringst) ersetzt das Gefängnis.
Der Raum lässt keinen Ausweg offen, und so verstricken sich
Solisten, Chor und Tänzer darin. Im zweiten Akt sinkt das Gerüst
zu Boden und entpuppt sich als Labyrinth, das die Protagonisten
sogar nach ihrer "Befreiung" aufsuchen: Gefangene ihrer selbst.
Auch Dirigent Daniele Gatti wartet mit Überraschungen auf. Dass
er vor dem Einsatz der Musik mit Buhrufen empfangen wurde, ist
unverständlich. Der Auftakt mit der Ouvertüre Leonore III passt
zur Interpretation Bieitos, in der wenig Platz für Liebe und
pathetische Ausbrüche bleibt. Gatti setzt der symphonischen
Wucht kammermusikalisch wirkende Momente entgegen. So fügt sich
ein Ausschnitt aus Beethovens Streichquartett op.132 a-Moll vor
dem Finale in diesen Fidelio. Die Musik schwebt als Trostspender
über den gequälten Menschen und steht gegen die
Hoffnungslosigkeit der Realität.