Was hat es nicht schon alles auf der Bühne gegeben, um
Beethovens einzige Oper szenisch möglichst nah an den Lobpreis
von Freiheit und Gattenliebe heranzuführen. Das Singspielhafte
in all das Pathos einzufügen, ist dabei nur eine der Klippen.
Sich nicht zu sehr aus der Balance bringen zu lassen, wenn sich
die Sänger der angestaubten Sprechtexte annehmen, eine andere.
Hinzu kommt die immer etwas heikle Frage, ob die als Fidelio
getarnte Leonore die Befreiung ihres eingekerkerten Ehemannes
Florestan wirklich bis zu Ende durchdacht hat ...
Aber es
geht ja vor allem um die Utopie der Liebe und die Kraft der
Freiheit, und wenn sich einer wie Calixto Bieito an das
bürgerliche Bekenntniswerk macht, dann darf man durchaus auf
einiges gefasst sein. Der Katalane tut so, als würde eigentlich
Kafka hinter der Geschichte stecken und nicht die Autoren mit
ihrem vor zweihundert Jahren noch unschuldig lodernden
bürgerlichen Freiheitspathos. Die gesprochenen Dialoge hat
Bieito kurzerhand gestrichen und durch knappe andere ersetzt.
Das Fehlen des Bekannten löst aber selbst dann, wenn man sich
sonst immer an ihnen stört, einen gewissen Phantomschmerz aus.
Dafür hat Bieito der Leonore (bevor sie sich vor aller Augen in
Fidelio verwandelt) Jorge Luis Borges Text »Labyrinth« und dem
Mörder Pizarro ein Credo des Bösen von Cormac McCarthy in den
Mund gelegt.
Das transparente, zweiteilige und bewegliche
Labyrinth, mit dem Rebecca Ringst die Münchner Opern-Bühne
füllt, hat durchaus die Qualität eines eigenständigen
Groß-Kunstwerkes, kommt aber nicht ganz ohne Eigengeräusche und
Eigengesetzlichkeiten als Bühnenbild aus. Hier muss man nicht
nur ziemlich sportlich klettern können. Dabei profilieren sich
besonders die (auch stimmlich) attraktive Marzelline Laura
Tatulescu mit ihren hochhackigen Schuhen, aber auch ihr
sportlicher Jaquino (Jussi Myllys).
Auch all die anderen
haben ein enormes Laufpensum, sozusagen »gegen die Wand« zu
absolvieren. Irgendwann hat man sich auch an das Klacken der
Sicherheitsseile gewöhnt. Und wenn sich der Gefangene, der beim
Gefangenenchor zum Leise-Sprechen mahnt und vor dem
Belauschtwerden warnt, mit besagtem Seil erdrosselt, dann
gewinnt dieses technische Utensil inhaltliche Bedeutung.
In dem Labyrinth, dessen vorderer Teil im zweiten Aufzug
effektvoll nach hinten abkippt, erscheint schon am Anfang ein
ziemlich depressiver Florestan im Schlafanzug. Völlig gebrochen,
wie ein eingeschüchtertes Kind, streicht er sich immer mal mit
dem Kamm durch die Haare. Bei den unmittelbar von der dritten
Leonoren-Ouvertüre in ein Flackern des Labyrinthes übergehenden
Tönen wird er obendrein geschüttelt wie von Elektroschocks beim
Foltern. Zu Bildern direkter Gewalt kommt es sonst nur, wenn
sich der pathologisch bösartige Don Pizarro (grandios
diabolisch: Wolfgang Koch) selbst mit dem Messer blutig verletzt
und ihm Leonore dann so was wie Säure über den Kopf schüttet.
Wobei nicht ganz klar ist, wozu Rocco (überzeugend: Franz-Josef
Selig) und sie das mit in den Kerker genommen haben.
Ansonsten entkommen die bekannten Musiknummern nie der
beklemmenden Ausweglosigkeit des Labyrinths, das alle seine
Bewohner traumatisiert hat. Wenn Don Fernando (Steven Humes)
aufkreuzt, dann wird das zu einem surrealen Einbruch aus einer
anderen Welt. Er sieht aus wie Jack Nicholson als Joker, der
meldet sich aus der Loge und erschießt dann als Akt der
Befreiung seinen Freund Florestan. Bieito spiegelt in den
Repräsentanten des Systems, das dieses Labyrinth ermöglicht,
jene Willkür der Herrschenden, die Gnade oder Verdammung nach
Gutdünken aussprechen können. Das wirkt auf den ersten Blick
absurd, hat aber durchaus Sinn.
Einen wirklichen Coup
gibt es in dieser Inszenierung, die fulminant beginnt und dann
vorhersehbar abgespult wird, aber doch. Sein Misstrauen
gegenüber Beethovens jubelndem Pathos übersetzt Bieito in eine
musikalisch-szenischen Einfügung – mit einem Stück aus dem
spätem Streichquartett op. 132 des Komponisten. Dazu schweben
die Musiker in drei Käfigen aus dem Schnürboden herab, verharren
über dem Labyrinth und stellen damit das folgende Finale
eindrucksvoll in Frage. Man mag selbst zu einer anderen Antwort
kommen wie der skeptische Bieito – die Frage aber macht Sinn und
ihre ästhetische Form ist originell.
Musikalisch bleibt
der Abend zwiespältig. Besondere Erwartungen richteten
sich an Startenor Jonas Kaufmann, die er vor allem da, wo er
sich in strahlenden Höhen seines Tenors aufschwingt, auch
erfüllte. Anja Kampe wirft sich mit Emphase in ihren
Fidelio bzw. ihre Leonore, wobei sie die letzte dramatisch
leuchtende Überzeugungskraft schuldig bleibt. Als problematisch
erwies sich Danile Gatti am Pult des Staatsopernorchesters. Sein
unklar routiniert bleibendes Interpretationsprofil und ein
diffuses Drauflos brachten ihm schon nach der Pause kräftige
Buhs ein, die sich dann wiederholten. Buhs für Bieito gingen in
der überwiegenden Zustimmung unter.