dpa, verschiedene Zeitungen, 22. Dezember 2010
Paul Winterer (dpa)
Beethoven: Fidelio, Bayerische Staatsoper, 21. Dezember 2010
Verstörender «Fidelio» von Calixto Bieito
 
 
München (dpa) - Gefängnis oder Irrenhaus? Von beidem etwas bringt Skandal-Regisseur Calixto Bieito auf die Bühne des Nationaltheaters - und verstört damit das verwöhnte Münchner Opernpublikum bei seiner Neuinszenierung von Ludwig van Beethovens einziger Oper «Fidelio».

Drei Tage vor Heiligabend will sich die Premiere der Bayerischen Staatsoper am Dienstagabend nicht so recht als Weihnachtsgeschenk fürs Opernvolk einstellen. Zu ausweglos und bar jeder Zuversicht kommt die Deutung des Katalanen über das große Freiheitsopus des 19. Jahrhunderts daher.

Star des Abends sollte in der seit Monaten ausverkauften Münchner Neuproduktion Jonas Kaufmann werden, doch er hat einen schlechten Tag erwischt. Sein Tenor bleibt in der «mezza voce» seltsam blass, als beschwere ein Belag seine Stimmbänder. Nur die dramatischen Forti gelingen kraftvoll. Anja Kampe überstrahlt als Leonore dagegen sängerisch wie darstellerisch das gesamte Ensemble. Ihr Sopran glänzt in allen Lagen und hat auch in den Piani jenen Schmelz, wie ihn Kaufmann am Premierenabend vermissen lässt.

Bieito stellt ein riesiges Alu-Gestell mit Plexiglas-Käfigen auf die Bühne (Bühnenbild: Rebecca Ringst) - ein einziger Irrgarten, in dem der Gefangene Florestan schon bei der Leonoren-Ouvertüre und damit lange vor seinem eigentlichen Auftritt im 2. Akt keinen Ausweg findet. Guantánamo lässt grüßen: Nicht nur die Metall-Gestänge, auch der blaue Schlafanzug von Florestan erinnert fatal an die Haftbedingungen in dem US-Gefangenenlager auf Kuba.

Marzelline, die verliebte Tochter des Gefängniswärters Rocco, lebt ihre Zwangsneurose voll aus und nestelt ständig in ihrem Haar oder schmiert sich das Gesicht mit Lippenstift voll. Tänzer zappeln wie irrgeworden an Trapezen über dem Bühnenbild. Leonore schnürt sich die Brust und legt damit einen Teil ihrer Sexualität ab, ehe sie in der Rolle des Fidelio den geliebten Ehemann aus dem Gefängnis holt. Florestan ist in dunkler Isolierhaft ebenfalls zum Neurotiker geworden, der sich immerzu frisiert und den Kopf zu Boden schlägt - Tristesse total.

Da erheitern den Zuschauer fast schon an sich belanglose Regie-Gags: Leonore heftet im berühmten Gefangenenchor den Mithäftlingen Fotos ihres nicht aufzufindenden Geliebten ans Revers. Der von Marzelline verschmähte Liebhaber Jaquino malt sich Herzen und das unerwiderte Bekenntnis «I love you» auf die nackte Brust.

Steven Humes überzeugt als spinnöser Don Fernando ebenso wie Wolfgang Koch als Brutalo-Pizarro, Franz-Josef Selig als nachsichtiger Rocco, Laura Tatulescu in der Partie der schmachtend liebenden Marzelline und Jussi Myllys als kaltgestellter Liebhaber.

Hinter den Erwartungen zurück bleibt das Bayerische Staatsorchester. Dirigent Daniele Gatti dämpft die Spiellust eher als dass er die Musiker anspornen würde. Am Schluss liefern sich die illustren Premierenbesucher einen Wettstreit aus Bravi und Buh-Rufen. Jonas Kaufmann und allen voran Anja Kampe werden gefeiert, Gatti muss verhaltene Buhrufe hinnehmen, und Regisseur Bieito weiß nach seinem Bühnenauftritt nicht so recht, ob die Bravi oder die Buhrufe die Oberhand gewonnen haben.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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