München (dpa) - Gefängnis oder Irrenhaus? Von beidem etwas
bringt Skandal-Regisseur Calixto Bieito auf die Bühne des
Nationaltheaters - und verstört damit das verwöhnte Münchner
Opernpublikum bei seiner Neuinszenierung von Ludwig van
Beethovens einziger Oper «Fidelio».
Drei Tage vor
Heiligabend will sich die Premiere der Bayerischen Staatsoper am
Dienstagabend nicht so recht als Weihnachtsgeschenk fürs
Opernvolk einstellen. Zu ausweglos und bar jeder Zuversicht
kommt die Deutung des Katalanen über das große Freiheitsopus des
19. Jahrhunderts daher.
Star des Abends sollte in
der seit Monaten ausverkauften Münchner Neuproduktion Jonas
Kaufmann werden, doch er hat einen schlechten Tag erwischt. Sein
Tenor bleibt in der «mezza voce» seltsam blass, als beschwere
ein Belag seine Stimmbänder. Nur die dramatischen Forti gelingen
kraftvoll. Anja Kampe überstrahlt als Leonore dagegen
sängerisch wie darstellerisch das gesamte Ensemble. Ihr Sopran
glänzt in allen Lagen und hat auch in den Piani jenen Schmelz,
wie ihn Kaufmann am Premierenabend vermissen lässt.
Bieito stellt ein riesiges Alu-Gestell mit Plexiglas-Käfigen auf
die Bühne (Bühnenbild: Rebecca Ringst) - ein einziger Irrgarten,
in dem der Gefangene Florestan schon bei der Leonoren-Ouvertüre
und damit lange vor seinem eigentlichen Auftritt im 2. Akt
keinen Ausweg findet. Guantánamo lässt grüßen: Nicht nur die
Metall-Gestänge, auch der blaue Schlafanzug von Florestan
erinnert fatal an die Haftbedingungen in dem US-Gefangenenlager
auf Kuba.
Marzelline, die verliebte Tochter des
Gefängniswärters Rocco, lebt ihre Zwangsneurose voll aus und
nestelt ständig in ihrem Haar oder schmiert sich das Gesicht mit
Lippenstift voll. Tänzer zappeln wie irrgeworden an Trapezen
über dem Bühnenbild. Leonore schnürt sich die Brust und legt
damit einen Teil ihrer Sexualität ab, ehe sie in der Rolle des
Fidelio den geliebten Ehemann aus dem Gefängnis holt. Florestan
ist in dunkler Isolierhaft ebenfalls zum Neurotiker geworden,
der sich immerzu frisiert und den Kopf zu Boden schlägt -
Tristesse total.
Da erheitern den Zuschauer fast schon an
sich belanglose Regie-Gags: Leonore heftet im berühmten
Gefangenenchor den Mithäftlingen Fotos ihres nicht
aufzufindenden Geliebten ans Revers. Der von Marzelline
verschmähte Liebhaber Jaquino malt sich Herzen und das
unerwiderte Bekenntnis «I love you» auf die nackte Brust.
Steven Humes überzeugt als spinnöser Don Fernando ebenso wie
Wolfgang Koch als Brutalo-Pizarro, Franz-Josef Selig als
nachsichtiger Rocco, Laura Tatulescu in der Partie der
schmachtend liebenden Marzelline und Jussi Myllys als
kaltgestellter Liebhaber.
Hinter den Erwartungen zurück
bleibt das Bayerische Staatsorchester. Dirigent Daniele Gatti
dämpft die Spiellust eher als dass er die Musiker anspornen
würde. Am Schluss liefern sich die illustren Premierenbesucher
einen Wettstreit aus Bravi und Buh-Rufen. Jonas Kaufmann
und allen voran Anja Kampe werden gefeiert, Gatti muss
verhaltene Buhrufe hinnehmen, und Regisseur Bieito weiß nach
seinem Bühnenauftritt nicht so recht, ob die Bravi oder die
Buhrufe die Oberhand gewonnen haben.